Parteien

„Radikaler Sound“: Klimaliste macht Grüne nervös

Die Klimaliste steckt noch in den Kinderschuhen, macht Ministerpräsident Kretschmann aber schon nervös. Woran liegt das?

17.11.2020

Von ROLAND MUSCHEL

Samira Böhmisch engagiert sich für die Klimaliste. Foto: privat

Samira Böhmisch engagiert sich für die Klimaliste. Foto: privat

Stuttgart. Samira Böhmisch (23) sagt, in der Klimapolitik laufe vieles falsch. „Das hat bei mir lange ein Ohnmachtsgefühl ausgelöst.“ Als sie durch einen Zeitungsbericht auf die Klimaliste aufmerksam geworden sei, habe sie gewusst: „Da will ich mich engagieren. Ich will später sagen können, dass ich alles versucht habe, dass das Leben lebenswert bleibt.“ Seit Sonntag ist Böhmisch, die im Master „nachhaltige Agrar- und Ernährungswissenschaft“ studiert, Kandidatin der neuen Partei. Im Wahlkreis Lörrach tritt sie zur Landtagswahl im März 2021 an.

Böhmisch ist Teil einer wachsenden Bewegung, die den Klimaforderungen der Wissenschaft zum Durchbruch verhelfen will „Unser Hauptziel ist die Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad und bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Daran müssen sich alle Maßnahmen messen lassen“, sagt Böhmisch. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, was in der Klimapolitik getan werden müsse, lägen vor. „Wir wollen dafür sorgen, dass die Politik sie auch umsetzt.“

Erst Ende September ist die Klimaliste BW in Freiburg mit dem Ziel gegründet worden, bei der Landtagswahl in möglichst allen 70 Wahlkreisen anzutreten. Zwar steckt die junge Partei in den Kinderschuhen, benötigt noch Unterschriften und Kandidaten. Aber: Über 20 Nominierungen haben bereits stattgefunden. Wichtiger noch: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Konkurrenz um eines der grünen Kernthemen durch Warnungen bereits größer gemacht als die Klimaliste auf dem Papier ist: Deren Gründung sei „eine ernste Angelegenheit“, die „gravierende Folgen“ haben könne. Er meinte: seine Abwahl.

Kurzfristig fürchten Strategen im Staatsministerium, dass die Klimaliste die Grünen in einigen Wahlkreisen entscheidende Stimmen kosten könnte, um Direktmandate zu halten. Und mittelfristig das Schicksal der alten Volksparteien CDU und SPD, die Partei-Neugründungen an ihrem rechten, respektive linken Rand dauerhaft geschwächt haben. Die Grünen-Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand geben sich indes gelassen: „Im Hinblick auf die Landtagswahl sagen wir Grüne klar und selbstbewusst: Ambitionierte Klimapolitik und wirksamen Klimaschutz gibt es nur mit uns Grünen. Wo die Klimaliste zu uns in Konkurrenz tritt, stellen wir uns dem politischen Wettbewerb – mit einer überzeugenden Bilanz und einem ambitionierten Programm.“

In Städten wie Kempten oder Köln, wo Klimalisten bei Kommunalwahlen angetreten sind, sei das ökologische Lager insgesamt gestärkt worden, argumentiert dagegen die Klimaliste „Wir haben die Partei nicht gegen die Grünen gegründet, sondern auch gegen CDU oder FDP oder SPD, die noch weniger für den Klimaschutz tun. Wir sind mit der kompletten Lage unzufrieden“, sagt Sandra Overlack, Vorstandsmitglied der Klimaliste BW. Es gehe hier um „existenzielle Fragen, wir halten es für unsere Pflicht, da reinzugehen“, sagte die 19-Jährige, die Wirtschaftsingenieurwesen studiert und im Wahlkreis Rastatt kandidiert. „Wir sind die erste Partei, die sich aus Notwehr gegründet hat. Einen Rückzieher wird es daher nicht geben.“

Es ist eine Tonlage, die Kretschmann ansatzweise auch schon mal angestimmt hat. Auf dem Grünen-Landesparteitag in Sindelfingen im Herbst 2019 hatte er die Klimapolitik der Bundesregierung scharf gegeißelt. „Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich ohne die Fridays-For-Future-Bewegung nicht so aufs Blech gehauen, wie ich's gemacht habe“; dann hätte er „einen so radikalen Sound“ wohl nicht gewählt, hatte der Ministerpräsident hinterher erklärt.

Aus Sicht der Kritiker ist es beim radikalen Sound geblieben, was Kretschmann von sich weist: „Die, die uns kritisieren, können uns leider nicht sagen, wie man mehr erreicht.“ Bei der Klimaliste glauben sie dagegen, dass sie allein durch ihren Antritt bei der Landtagswahl den Druck auf die anderen Parteien immens erhöhen, mehr zu tun.

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Erstellt:
17.11.2020, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 17.11.2020, 06:00 Uhr

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