Iranisches Kino am Puls des Lebens: Die Odyssee einer Frau durchs Reich der Taliban.

Reise nach Kandahar

Iranisches Kino am Puls des Lebens: Die Odyssee einer Frau durchs Reich der Taliban.

24.11.2015

Von che

Reise nach Kandahar

Das Filmland Iran war die große Kino-Entdeckung der neunziger Jahre. Neuerdings bekommt man davon auch in Tübingen etwas mit; die Filme "Der Kreis" und "Farben des Paradieses" liefen hier mit beachtlicher Resonanz.

Das ist auch gut so, denn die jüngeren iranischen Regisseure haben schon lange keine Lust mehr, blindlings dem Altmeister Abbas Kiarostami nachzueifern, dessen statuarische Wüsten-Roadmovies ("Der Geschmack der Kirsche") fürs Hollywood-geneigte Publikum oft schwer verdauliche Kost waren. Die zweite und dritte Generation des mittelöstlichen Filmwunders knüpft vielmehr keck an westliche Erzählstandards an und versteckt ihre Kritik an Gesellschaft und religiösem Wahn durchaus nicht mehr hinter symbolschweren Bildern. Davon kann man sich in "Reise nach Kandahar" und "Zeit der trunkenen Pferde" überzeugen.

Reise nach Kandahar ist natürlich in erster Linie ein Politikum. Gerade recht zur Befreiung Afghanistans von den Taliban wirft der Film einen Blick zurück auf das Terror-Regime der Schwarzköpfe. Die Geschichte ist authentisch: Eine Journalistin, die einst vor den Gotteskriegern nach Kanada geflohen war, reist illegal nach Afghanistan, um ihre Schwester zu suchen. Um kein Aufsehen zu erregen, muss sie die ortsüblichen Torturen auf sich nehmen: Vom Tragen der Burka, diesem mobilen Frauenknast, bis zu den Alltagsdemütigungen etwa beim Arztbesuch, wo die Untersuchung durch ein Loch im Vorhang vonstatten geht.

Aber auch der Rest der Bevölkerung hat nicht viel zu lachen: Vielen Männern wurden von Minen die Gliedmaßen zerfetzt; Kinder werden in Koranschulen mit stupiden Ritualen in Dummheit gehalten.

Der Film von Mohsen Makhmalbaf schildert eine Reise ins Herz der Finsternis, durchaus vergleichbar dem Horrortrip von "Apocalypse Now". Auch einige Bilder sind ähnlich spektakulär. Die Szene mit den an Fallschirmen vom Himmel segelnden Beinprothesen, nach denen Dutzende von Amputierten ein bizarres Wettrennen veranstalten, ist - gerade wegen ihrer oft kritisierten Frivolität - eines der stärksten und schockierendsten Statements gegen die Barbarei.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 58sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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