Tübingen · Kommentar

VfB-Wahl: Riethmüllers Rhetorik hat nicht gereicht

Hansjörg Lösel zur Präsidentschafts-Wahl beim VfB Stuttgart

16.12.2019

Von hdl

Christian Riethmüller bewarb sich als VfB-Präsident. Bild: Ulrich Metz

Christian Riethmüller bewarb sich als VfB-Präsident. Bild: Ulrich Metz

Für viele der rund 2000 Brustring-Freunde war die außerordentliche Mitgliederversammlung des Vereins für Bewegungsspiele (VfB) Stuttgart am Sonntag schon gegen 14 Uhr ein Erfolg. Da verkündete Thomas Hitzlsperger, Chef der Fußball-AG, seine frohe Botschaft zum 3. Advent: Im Stadion wird künftig wieder ein lokales Bier von Stuttgarter Hofbräu ausgeschenkt.

Die Hanns-Martin Schleyer-Halle johlte, schon drei Stunden später herrschte aber Kater-Stimmung bei Christian Riethmüller: Der Chef der Tübinger Buchhandelskette Osiander musste sich im Rennen um die Präsidentschaft dem Unternehmer Claus Vogt aus Waldenbuch geschlagen geben.

Zwar hatte auch Riethmüller mit 1029 Stimmen die 50-Prozent-Hürde genommen, zu Vogt fehlten aber rund 300 Stimmen. Hintergrund der krummen Zahlen ist das etwas eigenwillige Wahl-Prozedere beim VfB – laut Vereins-Satzung wurden beide Kandidaten einzeln gewählt, Mehrfach-Nennungen waren möglich.

Er sei auch ein bisschen erleichtert, gestand Riethmüller kurz nach der Wahl in den Katakomben der Schleyer-Halle. Tief saßen die Eindrücke der im Vorfeld gegen ihn lancierten Kampagne, eine Woche vor der Wahl hatte auch der Körper gestreikt, der Tübinger musste Wahlkampf-Auftritte absagen. Am Sonntag zeigte Riethmüller aber noch mal Kampfgeist mit einer leidenschaftlichen Rede.

Über drei Stunden lang hatte sich die Mitgliederversammlung zuvor hingezogen, nervtötende Anträge zur Geschäftsordnung schläferten viele ein. Riethmüller war als erster der Kandidaten an der Reihe, aber sofort hellwach. Der 45-jährige sprach ohne Manuskript, hielt es bald nicht mehr hinter seinem rot-weißen Pult aus, sondern ging bis an den Bühnenrand aufs Publikum zu.

Zeit für Nebelkerzen war keine mehr, der Tübinger redete Klartext: „Ich habe den Wahlkampf unterschätzt“, gestand Riethmüller, und bezog sich vor allem auf die Dynamik in den sozialen Netzwerken. Sein im April verfasster Post zu VfB-Profi Santiago Ascacibar hatte für Wirbel gesorgt, auch mit einer ausdrücklichen Entschuldigung am Sonntag ließ sich wohl nicht mehr alles einfangen. „Ich habe mir fest vorgenommen, keine Facebook-Kommentare mehr zu schreiben“, erklärte Riethmüller.

Und nutzte die Mitgliederversammlung zu grundlegenden Überlegungen. Political Correctness sei „wichtig für unsere Gesellschaft“, werde gleichzeitig aber „zu einer Waffe, um Menschen das Wort im Munde herumzudrehen“, sagte der Osiander-Chef. „Irgendwann traut man sich nicht mehr, Dinge zu sagen, weil man mehr darauf achtet, Dinge nicht zu sagen.“

Dafür erntete er mehr Applaus als Vogt – wer die Versammlung indes über fast fünf Stunden lang verfolgt hat, den beschlich der Eindruck, dass Riethmüller vielleicht eine Spur zu kratzbürstig, zu widerborstig war für den VfB. Eine „General-Inventur“ hätte es mit einem Tübinger Präsidenten beim Traditionsverein gegeben, „eine sehr kritische Fehleranalyse, nicht um Schuldige zu finden, sondern um daraus zu lernen“, wie er es ausdrückte – darauf waren etliche aus dem Stuttgarter Establishment vielleicht gar nicht sonderlich scharf.

Wolf-Dietrich Erhard, der Vorsitzende des Vereinsbeirats, strahlte jedenfalls über beide Backen, als er seinem Duz-Freund Vogt gratulieren durfte. Auch wenn sich an dessen Rede morgen kaum einer erinnern wird.