Tübinger Klimaschutz-Agentur

Geschäftsführer Daniel Bearzatto im Interview: Runter von den Kilowatts

Mit der Energiekrise hat der Bedarf an Beratung enorm zugenommen. Und Beratung ist nicht die einzige Aufgabe der Agentur. Geschäftsführer Daniel Bearzatto wünscht sich dringend mehr Personal.

13.10.2022

Von Moritz Siebert

Daniel Bearzatto. Bild: Denise Kleine

Daniel Bearzatto. Bild: Denise Kleine

Noch nicht alles ist am richtigen Platz, die Kartons sind noch nicht alle ausgeräumt, nicht alle Bilder aufgehängt: In ihren neuen Räumen in der Doblerstraße ist die Agentur für Klimaschutz aber angekommen. In den vergangenen Monaten sind Geschäftsführer Daniel Bearzatto und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr gefragt. Wer sich für Energieberatung interessiert, erfährt auf der Homepage der Agentur, dass mit fünf Tagen Wartezeit zu rechnen ist, bis Rückmeldung kommt. Und die Beratung von Privatleuten ist nur ein Teil der Aufgaben der Agentur.

Herr Bearzatto, die Agentur für Klimaschutz wird seit einigen Monaten regelrecht überrannt. Die extreme Nachfrage dürfte die Energiekrise ausgelöst haben, oder?

Schon seit 2021 spüren wir eine sehr starke Nachfrage. Mit der Energiekrise hat es aber extrem zugenommen. Wir haben unglaublich viele Anfragen; mit Terminen vor Ort sind wir mittlerweile im Februar 2023 angekommen. Wir machen pro Jahr insgesamt über 1000 persönliche Beratungen mit unterschiedlichen Formaten. Vor der Pandemie haben wir noch viele Beratungen in den Stützpunkten gemacht, durch Corona hat sich das komplett umgeschichtet auf Telefonberatung. Rund 500 Beratungen pro Jahr erfolgen telefonisch, hinzu kommen dann noch die Energiechecks in gleicher Größenordnung vor Ort.

Und das sind nicht die einzigen Aufgaben der Agentur...

Ja, neben der unabhängigen Energieberatung für Privathaushalte bearbeiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich noch viele andere Themen: Die Beratung von Unternehmen, kommunales Energiemanagement, Erstellung von Quartierskonzepten, die Betreuung der verschiedenen Landesförderprojekte wie die Solaroffensive oder das Qualitätsnetzwerk Bauen und ein Projekt des Landkreises zu Wärmenetzen. Da sind die Kapazitäten dann begrenzt.

Wie reagieren Sie?

Wir reagieren auch organisatorisch auf die erhöhten Anfragen. Wir machen Vorträge zum Beispiel mit der Kreissparkasse Tübingen als unseren langjährigen Hauptsponsor, um mehr Leute zu bündeln. Außerdem bauen wir eine digitale Energiesprechstunde auf. Am Ende kommt aber immer der Wunsch, dass die persönliche Situation individuell betrachtet wird. Da brauchen wir mehr Kapazität.

Das heißt mehr Mitarbeiter…

Die gesellschaftlichen Erwartungen an uns stehen im massiven Ungleichgewicht zu unserer Leistungsfähigkeit. Konkret haben wir dringenden Bedarf in den Bereichen Energieberatung von Privathaushalten, Beratung und Erstellung von Energiekonzepten für Kommunen sowie im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Gesellschafter haben sich letztes Jahr zu einer dauerhaften Grundfinanzierung verpflichtet. Das war ein ganz wichtiger Schritt. Die aktuellen Herausforderungen machen es jedoch nötig, diese Grundausstattung zu überprüfen. Es liegt also auf der Hand, dass hier die Landespolitik gefordert ist, sich substantiell an unseren Strukturen zu beteiligen und dadurch planetarischen und gesellschaftlichen Klimaschutz unter einen Hut zu bringen. Die Bewältigung dieser Daueraufgaben muss auch dauerhaft finanziert werden.

Was meinen Sie damit konkret?

Das Land hat im Zeitraum vor 10 bis 20 Jahren einen Einmalbetrag zur Gründung von Energie- und Klimaschutzagenturen auf Stadt- und Landkreisebene gewährt. Das Land hat sozusagen Kinder in die Welt gesetzt und weigert sich nun, substanzielle Unterhaltszahlungen zu leisten. Wir sollen uns mit willkürlichem Taschengeld begnügen, indem wir uns mit astronomischem Bürokratieaufwand auf zeitlich befristete Landesprojekte bewerben. Eiskalt ausbaden müssen das letztendlich die Privathaushalte, Unternehmen und Kommunen. Durch diese fehlende Einsicht in die Notwendigkeit, strukturelle Voraussetzungen zur Erreichung der eigenen Klimaschutzziele zu schaffen und zu verstetigen, untergräbt das Land die Erreichung der eigenen Klimaschutzziele.

Und die kommunale Ebene ist entscheidend beim Klimaschutz...

Ja, die Bewältigung der Klima- und Ressourcenkrise läuft hauptsächlich auf kommunaler Handlungsebene ab. Die Energie- und Klimaschutzagenturen nehmen deswegen eine Schlüsselrolle ein. Wir sind auch planerisch und konzeptionell unterwegs, etwa bei der Erarbeitung energetischer Quartierskonzepte für Kommunen. Bei Quartieren laufen die Stränge optimal zusammen, hier sind auch die Schnittstellen, nicht nur zu kommunalen Liegenschaften, sondern auch zu Privathaushalten und Unternehmen. Bei einem Projekt sind zum Beispiel ganz unterschiedliche Akteure beteiligt, die Kommune mit einer Schule, zwei Industriebetriebe, die Kreisbaugesellschaft mit Gebäuden, da kann man hervorragend infrastrukturelle Gelegenheitsfenster nutzen, um zum Beispiel ein Wärmenetz aufzubauen. Das bringt mehr Vorteile für alle, als wenn jeder vor sich hinwurstelt. Mit unserer digitalisierten Schnittstellenberatung vernetzen wir die verschiedenen Akteursebenen.

Die auch für Förderprogramme entscheidend ist.

Investive Förderprogramme sind immer mehr an das Vorhandensein eines Konzepts geknüpft, wer keins hat, bekommt keine Eintrittskarte. Man muss sich konzeptionell damit auseinandersetzen. Die Gemeinde Dußlingen bekommt für die erste Ausbaustufe des Wärmenetzes bei 2,7 Millionen Euro Gesamtkosten etwa 2 Millionen Euro Förderung. Die Basis war das Quartierskonzept. Wir brauchen mehr von diesen Konzepten und auch in den Kommunen mehr Personal für die Umsetzungsbegleitung.

Wie viele solche Konzepte sind denn aktuell in Arbeit?

Die Quartierskonzepte in Dußlingen und Ammerbuch sind abgeschlossen. Ein Konzept in Starzach wird gerade finalisiert, an Nummer vier und fünf sind wir dran.

Wenn die Agenturen überlastet sind, können sich Interessierte ja auch an selbstständige Energieberater wenden.

Selbständige Energieberater machen teilweise auch Erstberatung. Aber an denen fehlt es auch, weil die an anderer Stelle gefordert sind, etwa bei der Baubegleitung oder beim Erstellen von Sanierungsfahrplänen. Unsere Leistung besteht darin, Orientierung und Unterstützung zu geben sowie blinde Flecken aufzudecken. Wir tragen zum besseren Verständnis der eigenen Situation bei und zeigen die Handlungsmöglichkeiten auf, um den Prozess danach definieren zu können. Er ist ein wesentliches Instrument zur maximalen Energieeinsparung. Nichts ist schlimmer als eine Sanierung, die schief gelaufen ist, oder wenn man Fördermittel verpasst hat. Gerade wegen der Komplexität der technischen, gesetzlichen und fördertechnischen Fragestellungen muss Vieles von Anfang an passen.

Wir haben über den privaten und den kommunalen Bereich gesprochen. Ist die Nachfrage im gewerblichen Bereich denn ähnlich gestiegen?

Der Handlungsdruck und die Verunsicherung sind da gewaltig. Die Unternehmer dürfen wir deswegen nicht hängen lassen. Ich weiß von Firmen, die haben vor ein paar Monaten noch 1500 Euro Flüssiggasabschlag bezahlt, jetzt sollen sie 6000 bis 8000 Euro zahlen. Die Unternehmen bekommen den sogenannten KEFF-Check, eine kostenfreie Überprüfung, wie sie sich energieeffizienter aufstellen können, und einen Termin vor Ort. Wir informieren dabei auch über Förderprogramme.

Trotz Förderung bedeutet eine energetische Sanierung immer auch Investition. Ist denn zu befürchten, dass durch Inflation, durch extrem steigende Energiekosten Unternehmen, aber auch Privatleuten, dafür dann das Geld fehlt?

Es gibt viele Maßnahmen, die eine große finanzielle Aktivierungsenergie erfordern und zunächst nicht zu stemmen sind. Immer mehr Leute sind da in dieser Situation gefangen. Aber wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Sie glauben nicht, was man an unerkannten Energiefressern findet, die sich auch ohne große Investition beseitigen lassen. In Unternehmen kann das beispielsweise beim optimierten Betrieb von Druckluftkompressoren sein oder bei Deckenheizungen, von denen behauptet wird, sie seien aus – und sie sind trotzdem an. Im privaten Bereich können das ungedämmte Heizungsleitungen sein, schlecht eingestellte Heizungen, abgedeckte und nicht entlüftete Heizkörper oder alte Pumpen. Wärmeverluste können wir ja nicht mit eigenen Augen sehen. Aber bei einem tropfenden Wasserhahn kriegt man sofort ein schlechtes Gewissen.

Das Interesse, Energie zu sparen, ist mit der Energiekrise massiv gestiegen. Hat denn
der Klimawandel das Bewusstsein für Energiesparen noch nicht geschärft?

Doch, durch die Auswirkungen des Klimawandels, die Trockenheit, durch den Bumerangeffekt, dass das alles zurückkommt, dadurch ist das Bewusstsein gestiegen. Aber wir predigen das ja seit Jahrzehnten – und wurden anfangs ausgelacht. Jetzt merken die Leute, jetzt wird’s ernst. Im Großen und Ganzen war Energie halt billig. Wir reden viel über erneuerbare Energien aber klar ist, wir müssen runter von den Kilowatts. Unser Energiehunger ist insgesamt zu groß: An diese Stellschraube müssen wir ran.

Infos zu Beruf und Agentur

Partner Gesellschafter der Agentur für Klimaschutz sind der Landkreis Tübingen, die Stadtwerke Tübingen, Rottenburg und Mössingen, Kreishandwerkerschaft und Architektenkammer. Seit Juli sitzt die Agentur in der Doblerstraße 13.

Energieberater Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Voraussetzung sind ein Studium oder ein Handwerksberuf. Für die Berechtigung zu geförderten Beratungsleistungen ist Weiterbildung nötig.

Daniel Bearzatto Der Geschäftsführer der Agentur für Klimaschutz hat an der Rottenburger Hochschule Erneuerbare Energien studiert. Seit 2014 leitet er die Agentur.

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Erstellt:
13.10.2022, 13:42 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 04sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2022, 13:42 Uhr

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