„Wer zahlt für unseren Konsum?“

SPD-Bundestagsabgeordneter Stefan Rebmann gab Auskünfte über Fairtrade und die Flüchtlingssituation

Der Mann kennt sich aus in seinem Metier. Zwei Stunden fesselte der Mannheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Rebmann, im Bundestag auch stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Zuhörerschaft in den Räumlichkeiten der Horber Arbeiter-Wohlfahrt (Awo) in der Neckarstraße.

02.04.2016

Von Willy Bernhardt

Der SPD-Ortsverein mit Thomas Mattes (Zweiter von links), Viviana Weschenmoser (Zweite von rechts) und Kreisvorsitzender Gerhard Gaiser hatte mit Stefan Rebmann einen echten Experten bei der Flüchtlingsfrage eingeladen. Bild: wib

Der SPD-Ortsverein mit Thomas Mattes (Zweiter von links), Viviana Weschenmoser (Zweite von rechts) und Kreisvorsitzender Gerhard Gaiser hatte mit Stefan Rebmann einen echten Experten bei der Flüchtlingsfrage eingeladen. Bild: wib

Horb. Stefan Rebmann rückte 2011 für Peter Friedrich (SPD) in den Bundestag nach, als dieser für die Grün-Rote Landesregierung als deren Vertreter nach Brüssel ging. Letzte Woche erst kam er von einer Reise aus Nepal zurück und ermöglichte auch wegen seiner Reisen zuvor in Krisengebiete dieser Welt einen profunden, bisweilen fesselnden Einblick in die für Außenstehende oft schwer zu durchschauenden Situationen insbesondere in Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika.

Es sei inzwischen viel beim Thema „Flüchtlinge“ über die Bekämpfung von „Fluchtursachen vor Ort“ zu hören, betonte Rebmann gleich eingangs, um dies jedoch gleich mit der Gegenfrage „Wer zahlt für unseren Konsum?“ zu konterkarieren.

Die Horber SPD-Chefin Viviana Weschenmoser war schon etwas stolz, einen Experten wie Stefan Rebmann in Horb für einen Vortrag willkommen heißen zu können. „Zumal Horb ja auch eine Fair-Trade-Stadt ist.“ Zusammen mit Hans-Eckardt Rüter vom „Weltladen“ hatte Weschenmoser den SPD-Parlamentarier für einen Horb-Besuch gewinnen können.

Und Stefan Rebmann räumte gleich eingangs mit einer weit verbreiteten Mär auf. Von den aktuell knapp über 60 Millionen Flüchtlingen weltweit seien deren 38,2 so genannte „Binnenflüchtlinge“, die in ihrer „Ursprungsregion“ blieben und gar nicht erst den Weg – etwa nach Europa – antreten. Knapp 20 Millionen Menschen darunter seien „Klima-Flüchtlinge“, gab er zu bedenken. Afghanen, Somalier und Syrer machten 53 Prozent der Flüchtlinge aus, die um Einlass nach Europa ersuchten. „Hauptaufnahmeländer“ in 2014 seien die Türkei mit 2,6 Millionen Flüchtlinge vor Pakistan (1,5 Millionen) und der vergleichsweise kleine Libanon mit 1,15 Millionen Flüchtlingen gewesen. Fluchtursachen seien vornehmlich Kriege, bewaffnete Konflikte, Gewalt. Aber auch der Klimawandel mit Extremwetter und sich häufenden Naturkatastrophen allergrößten Ausmaßes sowie Umweltzerstörung, Armut, Hunger, Epidemien sowie Perspektivlosigkeit und keine Chancen auf Bildung und Beschäftigung. Rebmann verwies aber auch darauf, dass in 2014 rund 130 000 Flüchtlinge wieder in ihre ursprünglichen Herkunftsländer zurückgekehrt seien.

Es sei jedoch eine Herausforderung ohnegleichen, vor Ort Perspektiven für Menschen zu schaffen, die frei sind von Sklaverei, Schuldknechtschaft, Zwangs- und Kinderarbeit, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung. Stefan Rebmann nannte die untragbaren Zustände, unter denen Menschen auf dem Bau oder in der Textilindustrie für weniger als Hungerlöhne arbeiteten, was auch für Arbeiter auf Feldern und Plantagen sowie in Fabriken, Minen oder Steinbrüchen gelte. Allein in der indischen Millionen-Metropole Mumbai würden rund 200 000 Prostituierte gezählt. Weltweit würden an Zwangsprostitution rund 100 Milliarden Euro jährlich verdient. Anders formuliert: „Weltweit gibt es im Moment 38,5 Millionen moderne Sklaven.“ Am übelsten gehe es in Mauretanien zu, dann folgten Usbekistan, Haiti, das Emirat Katar und Indien. Deutschland liegt in diesem internationalen Ranking auf Platz 147, berichtete der SPD-Abgeordnete. Auf 168 Millionen wird die Zahl ausgebeuteter Kinder zwischen fünf und 17 Jahren weltweit beziffert. Immer extremer ausgeprägt sei auch das so genannte „Land-Grabbing“, das zu unermesslichen ökologischen Schäden und zu Umweltzerstörung beitrage. Als Beispiel nannte der Referent etwa die Produktion von Palm-Öl. Zu bedenken gab er auch, dass nur ein Prozent der in Deutschland käuflichen Schokolade so genannte „Fair-Trade-Schokolade“ sei.

An einem etwa in Bangladesch produzierten T-Shirt, welches in Deutschland für 4,99 Euro verkauft werde, verblieben an Arbeitslohn letztlich nur schäbige 0,049 Euro für die das T-Shirt unter härtesten Bedingungen anfertigenden Menschen. So etwas wie „Arbeitsschutz“ zähle dort nicht und bis zu 20 Prozent der in Deutschland erhältlichen Kleidung stamme aus Bangladesch. Anschaulich schilderte Stefan Rebmann seine Eindrücke vom Besuch des „Rama Plaza“ in Bangladesch, bei dessen Einsturz am 24. April 2013 1100 Menschen getötet und 2500 verletzt wurden. Erst fünf Firmen hätten inzwischen voll in den damals gegründeten Entschädigungsfonds eingezahlt, deren 13 hätten bis jetzt zu wenig entrichtet und 15 ausländische Firmen, darunter Benetton und NKL, hätten gar nichts überwiesen.

Dringendst geboten sei es, sich an den Krisenherden dieser Welt unter anderem für mehr Rechtsstaatlichkeit, eine fairere Welthandelsordnung sowie einer nach vorne gerichteten Klima- und Umweltpolitik zu verkämpfen. „73 Prozent der Weltbevölkerung genießt keinerlei Schutz“, lautete das apokalyptisch anmutende Fazit von Rebmann.