Klamotten auf Rädern

Sarah Senner fährt mit einem mobilen Laden durchs Land – und hat jetzt auch einen standfesten

Sarah Senner ließ sich mal zur Kauffrau ausbilden. Jetzt designt sie Klamotten. Plant Hochzeiten. Legt auf. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ihr neuer Laden in der Langen Gasse – und ein Omnibus.

01.09.2016

Von kathrin löffler

Diese Frau macht Crawall. Sarah Senner entwirft Dinge zum Anziehen und in der Wohnung aufstellen. Designdevise: wild und frei.Bild: Sommer

Diese Frau macht Crawall. Sarah Senner entwirft Dinge zum Anziehen und in der Wohnung aufstellen. Designdevise: wild und frei.Bild: Sommer

Tübingen. Die Frau sortiert aus. In Sarah Senners Gefährt ist nicht jeder willkommen. Naja: nicht jede. Das Eintrittsverbot gilt nur für eine sehr spezielle Gruppe Vergnügungsorientierter: Junggesellinnen müssen ihre sogenannten Abschiede woanders feiern. Grund: „Man kann die Dinge auch schnell runterwirtschaften“, sagt Senner. Sie will ihr Gefährt lieber mit „außergewöhnlichen Events“ bespielen als mit „Drecksaufesten“.

Das Gefährt ist ein Bus. Kein läppischer Kleintransporter, kein VW-Bus, in dem zeitgenössische Abenteurer einem hippieesken Lebensstil huldigen, ein richtiger Omnibus. Zwölf Meter lang, rabenschwarz, moderat monströs. So ein Trumm steht eher nicht im Fuhrpark einer durchschnittlichen 31-Jährigen. Senner nutzt ihren Bus für den Job. Sie fährt ihn selbst. Brotberufliche Busfahrerin ist sie aber nicht. Man muss da ein wenig ausholen.

Sarah Senner, tätowierte Arme, Nasenpiercing, schwarz lackierte Fingernägel, stammt aus Nehren. Ihre Berufslaufbahn begann mit einer Ausbildung zur Groß- und Einzelhandelskauffrau. Dann folgte eine zur Werbetechnikerin. 2009 machte sie sich selbstständig: Sie entwirft Marketingstrategien für Existenzgründer, beklebt Autos, gestaltet Logos, Visitenkarten und Homepages. Manchmal auch Arbeitskleider. Senner hat aber so etwas wie einen chronischen Kreativitätsdrang. 2012 wurden aus den Arbeitskleidern T-Shirts, Schals, Zipper, auch Geldbeutel und Kopfhörer. Senners Mutter ist gelernte Näherin, sie half mit, das eigene Label „Crawall“ war geboren. Crawall mit C, weil Senner „schon einen provokanten Namen“ wollte, darunter aber eher ein freies Lebensgefühl als irgendetwas Aufrührerisches und Gewalttätiges versteht. Anfangs vertrieb sie ihre Klamotten über einen Online-Store. War ihr aber irgendwie zu lahm. Sie suchte einen Vertriebsweg, der „richtig reinhaut“. Dann hatte sie diese Schnapsidee.

Senner telefonierte mit ihrem Kunden, einem Tübinger Fahrschulinhaber, meldete sich für den LKW-Führerschein an, bestand die Prüfung, reiste in den Westerwald, kaufte sich dort einen Omnibus, rekrutierte ihre Brüder zu Umbauarbeiten, entfernte die Sitze, tönte die Scheiben, schweißte Regale ein, verkleidete die Innenseiten mit Holz und zog außen schwarze Folie drüber. 2014 packte sie das Crawall-Sortiment in ihren neuen Verkaufsraum auf Rädern und fuhr beim Tübinger Stilwild-Designmarkt vor. „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe.“ Seither waren Sarah und ihr Bus unter anderem beim Stuttgarter Lichterfest, beim Christopher Street Day oder Lifestyle-Markt in Lörrach. Am besten ist das Ankommen. Geschäftspartnerin Anne Armbruster freut sich jedesmal wie Bolle auf die Blicke der Umstehenden bei der Ankunft. „Einparken ist auch geil“, sagt Sarah. Nur Tunnel und Serpentinen im Schwarzwald sind so eine Sache. Da hat sie schon Blut geschwitzt.

Aber dieser Kreativitätsdrang: Senner plant und gestaltet auch Feste und Events, vom Einladungsbriefchen bis zum Blumenschmuck. Das geht gut mit noch so einem Fabile von ihr zusammen: auflegen. Nur, dass sie ihr DJ-Equipment halt nicht bloß in popeligen Sälen aufstellt. Sondern eben im Bus.

So war das beispielsweise im vergangenen Jahr in Hechingen. Zwei Rockabillys gaben sich dort das Jawort. Senner parkte ihren Bus aka mobile Outdoorbar aka fahrender Club vor der Kirche und sorgte für den Soundtrack zu Häppchen und Sekt. Sie beschallt Firmenevents und manchmal auch offensichtlich zügellosere Festivitäten: „Wenn ich dann aus meinem Bus heraus auflege und alle eskalieren, denke ich mir: Wie geil ist das denn?“

Eine im Wortsinn bodenständigere Verkaufsstrategie verfolgt Senner seit Mai. Da eröffnete sie in der Langen Gasse ihren – huch, oldschool! – Laden zum Crawall-Label. Dort gibt es nun: Jeans, Jumpsuits, Taschen. Für Frauen und Männer. Alles ziemlich lässig, ziemlich clean, in ziemlich unpenetranten Farben. Senner: „Ich mag schwarz.“ Blümchenkleidermädchen müssen woanders shoppen. Dafür ist ein wenig Bockigkeit vorgestrigen Textilkonventionen gegenüber erwünscht. Senner gibt ein Beispiel: Neulich kam eine etwa 70-Jährige in den Crawall Store. Schaute sich um und sagte: „Dafür bin ich zu alt.“ Und Senner so: „Wer gibt das vor?“ Die Kundin habe nämlich so ein Langarmshirt anprobiert und das habe „ultrageil“ zu ihren grau melierten Haaren ausgesehen. Regeln? Eh überbewertet. Senner versteht sich beruflich als Anarchistin: „Beim Designen bin ich wild und frei.“

Die Klamotten im Laden hängen zwischen modegemäß abgeranzten und wieder aufgehübschten alten Sachen: Baugerüsten, Holzpaletten aus den 50er Jahren, Schulbänken, Apothekerschränken, Schreibmaschinen. „Shabby chic“ sagt der Wohnexpertenzeitgeist dazu. Denn der Store ist gleichzeitig Showroom von Anne Armbruster: Malerin, Lackiererin, Innendesignerin. Nun ja, eigentlich ist der Store überhaupt so eine Art crawalliges Headquarter. Im Hinterzimmer hat sich Senner das neue Büro für ihre Werbetechnik-Aufträge eingerichtet. Wenn gerade keine Kunden Beratung brauchen, denkt sie sich Tatoos für Freunde oder Klebefolienbilder für Bobbycars und Motorräder aus. Oder neue Projekte. Mit einem Café in der Boutique will es Senner nämlich auch noch versuchen. Und mit Crawall-Partys. Und mit einem eigenen Lifestyle-Markt. Und sie will auf jeden Fall mal Arbeitsplätze schaffen. Wie gesagt: chronischer Kreativitätsdrang.

Das war mal ein Transportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs. Schwarze Farbe drauf, DJ-Anlage rein, Buffet davor, voilà: Outdoorbarclub auf Rädern.Privatbild

Das war mal ein Transportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs. Schwarze Farbe drauf, DJ-Anlage rein, Buffet davor, voilà: Outdoorbarclub auf Rädern.Privatbild

Das war mal ein Transportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs. Schwarze Farbe drauf, DJ-Anlage rein, Buffet davor, voilà: Outdoorbarclub auf Rädern.Privatbild

Das war mal ein Transportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs. Schwarze Farbe drauf, DJ-Anlage rein, Buffet davor, voilà: Outdoorbarclub auf Rädern.Privatbild