Requiem der Söhne auf ihre toten Väter Willy Brandt und Günter Guillaume.

Schattenväter

Requiem der Söhne auf ihre toten Väter Willy Brandt und Günter Guillaume.

24.11.2015

Von Wolfgang Hübner, AP

Schattenväter

Manchmal kann Kino so aufregend sein. In letzter Zeit ist das immer öfter dann der Fall, wenn ein Dokumentarfilm auf dem Programm steht, also das reale Leben und nicht ausgedachte Geschichten das Leinwandgeschehen bestimmen. Ein bemerkenswertes neues Beispiel dafür ist "Schattenväter" von Doris Metz. Der Film zeigt zwei Männer mittleren Alters, die seit dem 24. April 1974 schicksalhaft miteinander verbunden sind und doch ganz verschiedene Lebenswege gegangen sind und gehen.

An jenem Apriltag vor nun über 31 Jahren wurden Günter und Christel Guillaume, die Eltern des damals 17-jährigen Pierre, wegen Landesverrats verhaftet und für lange Jahre hinter Gitter gebracht.

Und zugleich endeten für den damals zwölfjährigen Matthias die Kindertage in jenem Bonner Kanzlerbungalow, den sein berühmter und populärer Vater samt Familie wenig später ebenso räumen musste wie das Amtszimmer. Der Rücktritt vom wichtigsten politischen Amt der Bundesrepublik war die unweigerliche Konsequenz.

Heute ist Matthias Brandt ein sehr erfolgreicher Schauspieler, Pierre Boom, der den Namen des Vaters abgelegt hat, hat in Berlin ein Grafikdesign-Büro. Doris Metz ist es gelungen, die beiden Männer zu einem Rückblick auf den jeweiligen Vater vor der Kamera zu bewegen. Das war gewiss ein heikles Unterfangen, das viel Einfühlungsvermögen verlangte. Doch der bayerischen Filmemacherin ist es auf überzeugende Weise gelungen, ein desillusionierendes Requiem der Söhne auf die toten Väter zu dokumentieren.

Sympathische Männer

Es ist allerdings auch ein berührender Film über ein noch immer von der einstigen Teilung gezeichnetes Land. Beides zusammen macht "Schattenväter" zu einem Ereignis, das seinen Platz im Kino verdient. Naturgemäß bewegt sich und spricht der gelernte Schauspieler Matthias Brandt vor laufender Kamera etwas unverkrampfter als der Sohn des inzwischen verstorbenen DDR-Agenten.

Sympathische Männer sind sie beide. Und der Kanzler-Sohn sorgt auf seine hintergründige Art für die witzig-ironischen Momente, wenn der die leer stehende, beklemmend bieder wirkende Dienstvilla seines Vaters durchstreift.

Dabei erinnert er sich amüsiert an die vielen hohen Politiker, die dort zu Besuch waren. Die meisten von ihnen hat Matthias Brandt als unverbindliche "Hinterkopftätschler" in Erinnerung, nur der stets so grimmig wirkende SPD-Zuchtmeister Herbert Wehner habe sich damals wirklich für den fußballbegeisterten Jungen interessiert. Als Vater bekommt Willy Brandt von Sohn Matthias miserable Noten, wenngleich in nachsichtiger Weise, ohne Verbitterung. Der Politiker muss innerhalb der Familie ohnehin ein Einzelleben geführt haben.

Erst auf dem Sterbebett des langjährigen SPD-Vorsitzenden fand der Sohn endlich auch emotionalen Zugang zum Vater, der viele Jahre ein Fremder für ihn war.

Pierre Booms Bruch mit seinem Vater Günter Guillaume hingegen bleibt auch über den Tod hinaus. Der Film zeigt, dass es dafür nur allzu gute Gründe gibt. Gespenstisch wird die Dokumentation, wenn der Guillaume-Sohn in einem leeren alten Stasi-Vorführraum sitzt und noch einmal einen Lehrfilm sieht, dessen fragwürdiger Held sein vom DDR-Staat hochdekorierter Vater ist. Was für den erwachsenen Pierre Boom persönlich schwer erträglich ist, konfrontiert den Betrachter mit düsteren deutschen Zuständen, die noch vor 20 Jahren tägliche Realität waren.