Videokonferenzen

Schau mir in die Augen ...

Wettlauf mit Apple & Co: Unternehmer Carsten Kraus will mit einer Software namens Casablanca die Onlinekommunikation verändern.

14.11.2020

Von Laura Liboschik

Mit einer Software sollen die Augen bei Videokonferenzen auf die Kamera gerichtet werden. Foto: © Irina Bg/shutterstock.com

Mit einer Software sollen die Augen bei Videokonferenzen auf die Kamera gerichtet werden. Foto: © Irina Bg/shutterstock.com

Corona hat das Kommunikationsverhalten in Unternehmen drastisch verändert. „500 Millionen Menschen weltweit nutzen Videokonferenzen“, sagt Carsten Kraus. Der Chef des Pforzheimer Software-Unternehmens Omikron und KI-Experte ist einer davon. „Bei all diesen Online-Konferenzen schaut man seine Gesprächspartner nie direkt an. Augenkontakt fehlt“, sagt er. Häufig könne man die Mimik des anderen nur schwer erkennen, erst recht wenn die Kamera ungünstig stehe.

Das störte den Unternehmer. Kraus entwickelte eine Software, die die Blickrichtung virtuell in die Kamera verschiebt. Die Gesprächspartner schauen nach wie vor auf den Bildschirm und dennoch haben sie Augenkontakt. Die Software richtet die Augen mitsamt dem Gesicht zur Kamera aus. Um seine Idee rasch voranzubringen, hat Kraus ein Start-up gegründet. Das hat er passenderweise „Casablanca.ai“ getauft, in Reminiszenz an die legendären Filmszenen, wenn Humphrey Bogart Ingrid Bergmann zuprostet: Schau mir in die Augen, Kleines!

Kraus, in dessen Firma Omikron sich 130 Mitarbeiter mit Datenqualität und E-Commerce-Suche beschäftigen, will das Tempo hoch halten. Die Software ist fertig. Nun soll ein kleines Entwickler-Team das digitale Geschäftsmodell programmieren. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Weltweit arbeiten Entwickler an der Optimierung der Videotools. Auch der US-Tech-Riese Apple hat eine Lösung angekündigt: nur die Augen, unabhängig von der eigentlichen Blickrichtung, virtuell in Richtung der Kamera auszurichten.

Carsten Kraus hat schon viele Innovationen auf dem Markt. Zum Beispiel den FACT-Finder. Foto: privat

Carsten Kraus hat schon viele Innovationen auf dem Markt. Zum Beispiel den FACT-Finder. Foto: privat

Von diesem Ansatz hält Kraus wenig: „Es ist komisch, wenn man sich wegdreht und nur die Augen in die Kamera gerichtet sind“, findet er. Deshalb soll Casablanca das ganze Gesicht drehen indem es die Teile des Gesichts, die aus einer bestimmten Perspektive nicht zu sehen sind, neu zeichnet – im Einklang mit dem Rest, damit es authentisch ist, erläutert er.

Von entscheidender Bedeutung ist Augenkontakt bei Bewerbungsgesprächen. Selbst die finden zu Corona-Zeiten oft online statt. Bis es eine Softwarelösung gibt, wird die Situation optimiert. Uta Weissenborn, Betriebsratsvorsitzende beim internationalen Pharmaunternehmen MSD am Standort München, sagt: „Das Wichtigste ist, dass die Kamera bei Konferenzen möglichst fokussiert und mittig vor einem steht.“ Es sei unvorteilhaft, wenn die Hälfte des Gesichts nicht richtig zu sehen ist. Generell ist sie aber von Videogesprächen überzeugt: „Vielleicht sind die Bewerber in ihrem gewohnten Umfeld sogar entspannter.“ Auch bei internen Meetings sei die Resonanz positiv. Alle 15 Betriebsräte seien mit dieser Form der Kommunikation zufrieden.

Wie wichtig die richtige Perspektive bei Videotelefonaten ist, betont auch Stefanie Vits. Die Münchnerin ist Psycholinguistin und Rhetorik-Trainerin. Bei psychologischen Themen seien Onlinetermine schwierig. „Für Selbstwerttraining ist realer Kontakt unersetzbar. Es geht um Körpergefühl.“ Rhetorikseminare seien online hingegen kein Problem. Dazu gehöre die richtige Kameraeinstellung. Deshalb steht die externe Kamera bei ihr oben im Raum, erfasst Vits sowohl am Schreibtisch als auch am Flipchart. Ihre Seminare mit bis zu 14 Teilnehmern finden wegen der Corona-Pandemie fast ausschließlich online statt. Softwarelösungen hält sie für ihren Bereich nicht für notwendig.

Lösung für große Konferenzen

Softwareunternehmer Kraus arbeitet dennoch an einer Lösung für Situationen mit mehreren Gesprächspartnern. Details will er nicht verraten. „Es gibt vielleicht noch Möglichkeiten, mein Patent zu umgehen“, befürchtet er. Offen sei zudem, ob es ein günstiges Abomodell für Endkunden geben wird, oder ob er mit einem Videokonferenz-Anbieter kooperiert. Vom Potenzial solcher Software ist er überzeugt: „Im Rennen um den riesigen Videokonferenz-Markt geht es jetzt darum, wer die beste Lösung findet.“

Corona lässt Video-Apps boomen Grafik: Raiola / Quelle: Statista

Corona lässt Video-Apps boomen Grafik: Raiola / Quelle: Statista