TAGBLATT-Gesundheitstag zu Bandscheibenproblemen

Schmerzfrei zu sein war ein Glücksgefühl

Nach vier Jahren mit Bandscheibenvorfall und Rückenschmerzen entschied sich die Tübingerin Ines Dalil für die Operation. Rückentraining gehört seither zu ihrem Alltag.

04.04.2017

Von Angelika Bachmann

In der Kernspinaufnahme (MRT) ist deutlich zu sehen, wie die verrutschte Bandscheibe den Nervenkanal quetscht. Auch die Abnutzung der Wirbel ist auf dem Bild erkennbar. Bild: UKT

In der Kernspinaufnahme (MRT) ist deutlich zu sehen, wie die verrutschte Bandscheibe den Nervenkanal quetscht. Auch die Abnutzung der Wirbel ist auf dem Bild erkennbar. Bild: UKT

Beim Gesundheitstag des Universitätsklinikums und des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs am Donnerstag, 6.April, um 19 Uhr im Sparkassen-Carré geht es um Rückenschmerzen, insbesondere um Bandscheibenleiden. Das Podium besteht aus vier Experten: dem Ärztlichen Direktor der Orthopädischen Uni-Klinik, Prof. Nikolaus Wülker, dem Orthopäden und Oberarzt Dr. Christian Walter, dem Teamleiter Orthopädie am Therapiezentrum des Uni-Klinikums, Morten Meyer, sowie dem niedergelassenen Facharzt für Orthopädie, Dr. Marco Gesicki. Moderiert wird der Gesundheitstag von TAGBLATT-Redakteur Ulrich Janßen.Am liebsten einfach ausblenden. Wegdrücken. Nicht beachten. Wenn das nur ginge. Der Schmerz war irgendwann ein ständiger Begleiter. Setzte sich im unteren Rücken fest, kroch in die Beine. Fraß die Energie, stahl die Lebensfreude. „Man steht auf mit Schmerzen und die begleiten einen durch den ganzen Tag“, sagt Ines Dalil. Heute sind das alles nur noch Erinnerungen – und die junge Frau strahlt förmlich vor Erleichterung, dass sie diese Zeiten hinter sich gelassen hat.

Auslöser der Schmerzen war ein Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule. Die ersten Anzeichen machten sich vor etwa vier Jahren bemerkbar, erinnert sich die 36-Jährige. Eine falsche Bewegung, eine Drehung im Stehen oder im Sitzen – und sie spürte einen Schmerz in der Lendenwirbelsäule. Das wird schon wieder, habe sie sich damals gedacht, es zumindest gehofft. Schließlich ging sie dann doch zum Orthopäden. Der verschrieb Krankengymnastik. „Ich habe meine Übungen gemacht. Und zwischendurch wurde es auch besser“, erzählt Dalil.

Der Erfolg war allerdings nicht von langer Dauer. „Vor zwei Jahren sind wir umgezogen. Durch die Schlepperei wurde es dann schlimmer.“ Schließlich war klar, dass man den Beschwerden auf den Grund gehen musste. Eine Kernspinaufnahme zeigte dann deutlich: Ines Dalil hatte einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich. Ihr Orthopäde überwies sie in die Klinik. Dort sollte sie operiert werden.

Oder doch nicht?

Wie viele Patienten mit Bandscheibenvorfall stand Ines Dalil vor der Frage: Was tun? Soll der Bandscheibenvorfall operiert werden? Oder kann man mit Physiotherapie eine Stabilisierung erreichen? So dass auch die Schmerzen nachlassen? Die Ärzte rieten ihr, mit einer Operation noch zu warten und es erst nochmal mit konventioneller Therapie zu versuchen.

Wann sollte man einen Bandscheibenvorfall operieren? Und wann nicht? Das ist eine Frage, die jeder Patient zusammen mit dem Arzt entscheiden muss, sagt Dr. Christian Walter, Oberarzt an der Orthopädischen Uni-Klinik Tübingen. Führt der Bandscheibenvorfall zu Muskelschwächen und zu neurologischen Ausfällen – zum Beispiel, dass man Zehen oder einen Fuß nicht mehr anheben kann – sei eine schnelle Operation angeraten, so Walter, damit sich die Nerven wieder erholen können. Sonst bleiben dauerhafte Schädigungen zurück.

Ansonsten müssen Patient und Arzt abwägen: Wie belastend sind die Schmerzen? Ist der Patient ansonsten gesund oder gibt es etwa wegen einer Herzerkrankung ein erhöhtes Operationsrisiko? „Der Patient entscheidet mit“, sagt Christian Walter. „Man operiert nicht aufgrund der Bilder einer MRT-Untersuchung, sondern aufgrund der persönlichen Belastung.“

Ines Dalil ist eigentlich ein sportlicher Typ. Die Mutter zweier Kinder geht gerne walken. „Ich bewege mich gern und viel.“ Auch bei der Arbeit – an der Rezeption einer Physiotherapie-Praxis – ist sie nicht acht Stunden eingeklemmt auf einem Stuhl. Sie steht viel, ist viel in Bewegung. Ein tiefgreifendes Körperbewusstsein musste sie dennoch erst lernen. Dem Entschluss, sich nicht operieren zu lassen, folgte eine intensive Phase mit Physiotherapie nach dem „Tübinger Rückenkonzept“. „Die begann damit, dass ich vier Tage überhaupt nicht sitzen durfte.“ Eine interessante Erfahrung, wie Dalil findet. Denn der Mensch sei ja eigentlich nicht fürs Sitzen geschaffen.

Und bereits in diesen vier Tagen habe sie bemerkt, dass sich Haltung und Muskeln irgendwie anders anfühlten. Die erste Konsequenz: „Sitzen muss nicht immer sein!“ Sie achte heute mehr auf Abwechslung. Ausgesprochen konsequent machte sie fortan ihre Übungen. Und sie lernte, auf ihren Körper zu hören. Der signalisierte ihr sehr deutlich, dass er die Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur einforderte.

Dalil schaffte es, ihre Situation zu stabilisieren. Alles in allem war 2015 ein gutes Jahr, findet sie im Rückblick. Dann kam der Januar 2016 und mit ihm die Schmerzen, vehementer, als sie jemals zuvor waren. Nun strahlten die Nervenschmerzen auch in die Beine aus. „Man steht auf mit Schmerzen, sie begleiten einen durch den ganzen Tag“, erinnert sich Dalil an diese Zeit. „Mir fehlte es an Energie und Konzentration.“ Ihr Mann und ihre beiden Kinder – heute 10 und 14 Jahre alt – hätten ihr zwar viel geholfen und sie unterstützt. Allmählich sei die Situation aber auch belastend für die Familie geworden. Nun doch operieren?

In dieser Zeit tauschte sich Ines Dalil oft mit ihrer Zwillingsschwester aus, die auf der Alb lebt. Kurios: Die Schwester hatte zwei Jahre zuvor genau dieselben Beschwerden, genau dieselbe Operation, die ihr nun bevorstand. „Ich wusste, was auf mich zukam.“ Die nächste Kernspinuntersuchung zeigte: Der Bandscheibenvorfall hatte sich verschlimmert. Zudem zeigte das Bild deutlich, dass nicht nur die Bandscheibe verrutscht war, sondern zwischen dem vierten und dem fünften Lendenwirbel auch ein deutlicher Verschleiß der Wirbelsäule (Osteochondrose) zu sehen war.

Es gibt viele Gründe dafür, warum sich Bandscheiben verschieben oder Wirbel abnutzen, sagt Christian Walter, bei dem Ines Dalil mittlerweile in Behandlung war. Manchmal liegt die Ursache in einer angeborenen oder während des Wachstums entwickelten Fehlstellung der Wirbelsäule, manchmal sind es Fehlbelastungen oder Überlastungen, die diesen empfindlichen Teil des menschlichen Bewegungsapparates aus dem Lot bringen. Mancher Rückenpatient wird während seiner Erkrankung auch das Wort „idiopathisch“ kennenlernen, was so viel heißt wie, dass die Ursache nicht ergründet wurde oder gar nicht herausgefunden werden kann. Vielleicht liegt es auch daran: „Die menschliche Wirbelsäule ist eigentlich nicht für den aufrechten Gang gemacht“, sagt Walter. Manchen macht das mehr Probleme als anderen.

„Man sollte ausprobieren, ob man es mit Physiotherapie hinbekommt“, sagt Ines Dalil heute. Aber für sie war nun der Punkt gekommen, an dem es für sie richtig war, operiert zu werden. Die Operation wurde für den 11. November 2016 angesetzt. Während der Operation wurden zuerst der vierte und der fünfte Wirbel mit zwei über einen Stab verbundenen Schrauben stabilisiert. Anschließend hat Operateur Christian Walter den Nervenkanal freigeschnitten, sodass kein Druck mehr auf die Nerven ausgeübt wurde. Die degenerierte Bandscheibe hat er komplett entfernt. Stattdessen wurde ein künstlicher Abstandshalter zwischen die Wirbel gesetzt, ein so genannter „Cage“, also ein kleiner Korb, der mit körpereigenem Knochenmaterial gefüllt wird. Damit sind zwar die beiden betroffenen Wirbel künftig versteift. Die Beeinträchtigungen dadurch sind aber minimal – im Vergleich zur Stabilität, die der Wirbelsäule dadurch gegeben wird.

Dass nach einer Operation alle Schmerzen weg sind, kann kein Arzt seinem Patienten versprechen. Das war auch eine der Ängste, die Dalil hatte: Operiert zu werden und trotzdem noch Schmerzen zu haben. Doch bei ihr war die Operation zu hundert Prozent erfolgreich. „Schmerzfrei zu sein war ein Glücksgefühl!“ erinnert sie sich an die ersten Tage nach der Operation. Auch wenn die Reha-Phase nicht unanstrengend war. Drei Monate war sie krankgeschrieben, dann begann die Wiedereingliederungsphase.

Dazu gehört bis heute, konsequent zu bleiben, wenn der Alltag wieder einzieht: Drei Mal am Tag macht sie ihre Übungen. „Ich stehe extra früher auf, um dafür Zeit zu haben.“ Mittags legt sie bei der Arbeit eine Pause für die Übungen ein. Die dritte Sequenz ist abends dran. „Wenn ich das nicht mache, fühle ich mich nicht wohl.“ Zudem setzt sie klare Prioritäten: „Wenn ich Stress habe, schalte ich einen Gang zurück. Erst komme ich, dann der Rest. Wenn man so etwas mal mitgemacht hat, will man das nicht mehr haben.“

In der Kernspinaufnahme (MRT) ist deutlich zu sehen, wie die verrutschte Bandscheibe den Nervenkanal quetscht. Auch die Abnutzung der Wirbel ist auf dem Bild erkennbar. Bild: UKT

In der Kernspinaufnahme (MRT) ist deutlich zu sehen, wie die verrutschte Bandscheibe den Nervenkanal quetscht. Auch die Abnutzung der Wirbel ist auf dem Bild erkennbar. Bild: UKT

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Erstellt:
04.04.2017, 23:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 37sec
zuletzt aktualisiert: 04.04.2017, 23:00 Uhr

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