Bewegung im Kreis (4): Christine Laudenbach auf dem Schönbuchturm

Schöne Aussichten, doch worauf?

Wer auf den Schönbuchturm bei Herrenberg will, muss zuerst den Stellberg hinauf. Beides ist zu schaffen. Manche Besucher sehen das nicht ganz so. Zum 360-Grad-Panorama

17.08.2018

Von Christine Laudenbach

Der Schönbuchturm schraubt sich in den Himmel bei Herrenberg. Bild: Metz

Der Schönbuchturm schraubt sich in den Himmel bei Herrenberg. Bild: Metz

Im Wald herrscht Betrieb, das zeichnet sich schon bei der Einfahrt zum Parkplatz ab. Vor dem Naturfreundehaus stehen Tübinger und Reutlinger, Stuttgarter und Böblinger dicht beieinander. Die meisten von ihnen zieht’s zum Turm. Auch wenn von hier aus nur zu ahnen ist, wo sich das neue schmucke Bauwerk in den Himmel schraubt.

Kaum eingetaucht ins Schönbuchgrün sind dann die Wegmarken nicht zu übersehen. Wie Brotkrumen führen sie Besucher zum Ziel. „Noch 400 Meter bis zum höchsten Panorama-Blick über den Schönbuch“ informiert die erste Stele. „Acht Stützen aus heimischem Lärchenholz geben dem Schönbuchturm kraftvollen Halt“, eine weitere. So zieht sich das, bis Treppen und ein Schotterweg die letzte Steigung erschließen.

Die Kombination aus leichtem Anstieg plus belehrender Info stößt nicht bei allen Besuchern auf Gegenliebe: Besonders Jugendliche scheinen sich an diesem Feriennachmittag eher zum Turm zu quälen, so mein Eindruck. Mit langen Gesichtern. Müssen wir da hin?, steht in ihren Mienen. „Lest ihr auch, was auf den Schildern steht?“, setzt ein Vater bei seinen beiden Jungs noch eins drauf und erntet: Augenrollen. Kleinere Kinder können es jedoch meist kaum erwarten. „Ich seh ihn schon!“, ruft ein Mädchen, das vor lauter Aufregung gar nicht weiß, in welche Richtung es zuerst rennen soll: Vor zum Turm oder zurück zur Oma.

n 35 Meter Höhe pfeift der Wind (oben). Der Blick durchs Innere ist fast so spektakulär, wie der zum Horizont. Bild: Metz

n 35 Meter Höhe pfeift der Wind (oben). Der Blick durchs Innere ist fast so spektakulär, wie der zum Horizont. Bild: Metz

Auf 580 Metern, der zweithöchsten Erhebung des Schönbuchs, teilt sich das Grün – und da steht er, der Turm aus Stahl und Holz. Modern und mondän. Um ihn herum: Menschen. Den Kopf im Nacken, die Hand am Handy. Um die sich nach oben auffächernden Lärchenholzstützen laufen zwei Treppengänge. Sie verleihen dem gut 1,4 Millionen Euro teuren Bauwerk ein bisschen etwas von einer Murmelbahn – zugegebenermaßen einer recht imposanten Murmelbahn, deren 110 Tonnen Gewicht fest in einem Fundament ankern und mit 1,1 Kilometern Stahlseil verzurrt sind.

Soweit der Blick von unten. Auf 348 Stufen führt es über zwei Zwischenplattformen nach oben auf 35 Meter Höhe. Aber Achtung: Es gibt Regeln. Und die gilt es zu beachten. Einbahnstraßensymbole am Drahtgeflecht des Geländers erklären, wo es nach oben geht und wo nicht. Schließlich gibt es zwei Treppenläufe. „Sie haben aber schon gesehen, dass es immer nur in eine Richtung geht?“, dröhnt es mir entgegen. „Offenbar nicht“, entgegne ich und ernte: Augenrollen. Beim nächsten Aufgang passe ich besser auf.

Die überdimensionierte „Murmelbahn“ ist mit Stahlseilen verzurrt. Bild: Metz

Die überdimensionierte „Murmelbahn“ ist mit Stahlseilen verzurrt. Bild: Metz

Zuerst jedoch gilt es auf Plattform eins die Aussicht zu genießen. Als Genuss empfinden das in 10 Meter Höhe längst nicht alle. „Es kann doch nichts passieren“, spricht eine Frau ihrer Freundin gut zu. Die presst sich weiter ängstlich an einen der Holzpfeiler im Zentrum. Schließlich lässt sie sich erweichen und traut sich im Windschatten der Begleiterin doch noch weiter hinauf. Auf Plattform zwei (20 Meter) hält es sie dann aber nur ganz kurz. „Das war mehr, als ich je geschafft habe“, sagt sie stolz und trotzig und strebt, den Blick krampfhaft am Boden, zum Treppenabgang. Mit ihrer Angst vor Höhe ist sie längst nicht alleine hier. Vom Teenager aufwärts wird auf Plattform eins gezittert. Manche bleiben gleich ganz unten und ermahnen die, die es wagen, „nicht so nah ans Geländer!“ zu gehen.

Ganz oben zittert es dann tatsächlich. Der Turm schwankt, was das Sicherheitsgefühl nicht unbedingt erhöht. Auch meine Knie schlottern ganz leicht. Zumal auch das Geländer aus filigranem Drahtgeflecht den Blick sowas von durch lässt. Ebenso den Wind. Auf altmodisch gemauerten Kirchtürmen, denke ich, ist mehr drum herum. Mehr zum Festklammern irgendwie. Viele hier oben stehen in der Mitte der Plattform. Das Kinn auf der Brust, die Hand am Handy. Der Blick zwischen den Pfeilern nach unten ist großartig. Der Blick übers Geländer Richtung Horizont ebenfalls. Die Alb tut sich auf und braune Felder. Viel Grün. Wo ist Herrenberg? Wo Tübingen? Im Gegensatz zum verschwenderischen Info-Angebot am Boden fehlen hier oben Hinweistafeln. Dabei wüsste man gerne, weshalb es am Horizont staubt. Und hinter welchem Hügel sich die Hochhäuser verbergen.

Einbahnverkehr. Auf dem Weg nach unten bin ich (diesmal) auf der richtigen Seite (rechts). Bild: Metz

Einbahnverkehr. Auf dem Weg nach unten bin ich (diesmal) auf der richtigen Seite (rechts). Bild: Metz

Wer Glück hat, ist in kundiger Begleitung unterwegs. Andreas Kuntner und seine Frau erklären dem Besuch aus Görlitz gerne und geduldig ihre Heimat. „Da hinten ist Ehningen, dort drüben Jettingen“, sagt Kuntner und zeigt mal in die eine, mal in die andere Richtung. Unter der Staubwolke liege der Steinbruch, erklärt er weiter, und dass weder die Herrenberger Kirche noch die Hochhäuser zu sehen sind, sei völlig klar: Hügel und viele Bäume versperren die Sicht. Die Kuntners kennen sich offenbar gut aus. Dennoch wünschen auch sie sich, dass bald Info-Tafeln die schöne Aussicht erläutern. Das Paar aus Herrenberg ist seit der Eröffnung im Juni bereits zum zweiten Mal auf dem Turm. Der Blick sei toll, sind sich beide einig, die Lage ebenfalls. Sie hoffen sehr, dass es nicht „noch mehr Rummel gibt“ im Naturpark, dass niemand „eine Würstchenbude hinstellt“ am Fuße des Bauwerks. Das Schorle gebe es auch im nahegelegenen Naturfreundehaus.

Im Biergarten erkenne ich dann auch viele bekannte (Turm-)Gesichter wieder: Hier sitzen Großeltern mit ihren Enkeln vor einem Eis, Wanderer und Mountainbiker vor einem Radler. Und Familienväter mit ihren Söhnen.

Abseits von Baggersee und Freibad eintauchen in Bewegungsangebote, die man bislang nicht unbedingt auf dem Schirm hatte: Für „Bewegung im Kreis“ hat sich das TAGBLATT ein paar im Kreis- und Nachbarschaftsgebiet herausgepickt.

Der Schönbuchturm, 3 Kilometer nordöstlich von Herrenberg, ist von Tübingen aus über Ammerbuch kommend ausgeschildert. Geöffnet ist von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit. Der Eintritt ist frei.

Ein Besuch lohnt sich auch und gerade für ungeübte, schwindelfreie Wanderer. Wer sich nicht nur vom Auto zum Turm bewegen will, kann von Tübingen aus mit dem Fahrrad durch den Schönbuch – oder anschließend in den nahegelegenen Waldseilgarten.

Zum Dossier: Bewegung im Kreis

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Erstellt:
17.08.2018, 18:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 00sec
zuletzt aktualisiert: 17.08.2018, 18:00 Uhr

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