Horb · Das Mittwochs-Interview

„Sehr riskant und sehr unschweizerisch“

Zwischen Lernhilfe und Trendsportart: Street Racket findet immer mehr Anhänger auf der ganzen Welt. Erfinder Marcel Straub erzählt beim „Plausch um Sieben“ von der Entwicklung des Konzepts, dem Potenzial in Schulen und Vereinen sowie den Schwierigkeiten in der aktuellen Lage.

10.06.2020

Von Sascha Eggebrecht und Milos Kuhn

Von Dominica in die Schweiz: Marcel Straub will Street Racket auf der ganzen Welt bekannt machen.Privatbild

Von Dominica in die Schweiz: Marcel Straub will Street Racket auf der ganzen Welt bekannt machen.Privatbild

SÜDWEST PRESSE: Herr Straub, Sie wollten 2015 auf der Karibikinsel
Dominica eigentlich Tischtennis
unterrichten, fanden dort aber keine Platten vor. Sie mussten improvisieren und malten ein Feld auf den
Boden auf. Ist Ihnen dort die Idee für das neue Spiel „Street Racket“
gekommen?

Marcel Straub: Ja, aber noch nicht in der heutigen Form. Das war so, dass wir dann ein Rechteck mit einer Linie, die es unterteilt, auf den Boden gezeichnet haben. Wir haben schnell gemerkt, dass das mit Kreide gut geht. Allerdings ist es nicht so spannend, nur eine Linie zu überspielen. So sind dann
die charakteristischen Zonen entstanden. Schon in der Karibik
gab es dann auch sehr ähnliche Felder verglichen mit denen von heute. Trotzdem hat es noch ein bis zwei Jahre bis zur jetzigen Form gedauert.

Sicherlich gab es auf der Insel auch keine geeigneten Schläger und auch keinen guten Ball. Wie sah das Spiel in den ersten Stunden aus?

Weil wir davon ausgegangen sind, dass wir tatsächlich unterrichten dürfen, hatten wir viele gespendete Bälle und Rackets. Diese haben wir natürlich auch eingesetzt. Mit dem großen Aber, dass unser Spiel noch sehr windanfällig war und die Bälle durch Unausgeglichenheiten auf der Straße schnell versprungen sind. Für die Anfänger war es dementsprechend sehr schwierig.

Zurück in der Schweiz haben Sie an einem größeren Ball gearbeitet, der das Spiel langsamer machen sollte. Zudem sehen die Schläger so ähnlich aus wie die Holzschläger, mit denen man am Strand spielt.
Haben Sie sich an den Beach-
Rackets orientiert?

Es ist eigentlich das pure Gegenteil. Beach-Ball ist sehr schnell und durch den harten Ball nicht ganz ungefährlich. Der Ball darf nicht aufspringen, die Fähigkeiten müssen also sehr gut sein. Das Racket hat zwar eine ähnliche Form, aber wie gesagt, Beach-Ball ist sehr schwierig und deswegen für Anfänger nicht so gut geeignet. Wir wollten ein langsameres Spielen kreieren. Das klappt auch.

Dann mussten auch Regeln und
Felder ausgearbeitet werden.
Wann war das Spiel mit all seinen Formen produktionsreif?

Das Spiel steht ja schon eine Weile. Mit viel Aufwand, bewegtem Lernen und verschiedenen Unterstützern haben wir es aber natürlich weiterentwickelt. Aber die Grundform mit dem großen Feld, die war immer da. Das war wie selbstredend und hat sich harmonisch weiterentwickelt. Das Konzept an sich war in etwa hundert Stunden gebongt. Aber mit der Zeit haben sich Ideen weiterentwickelt. Das ist ein ständiger Prozess, der auch heute noch weitergeht.

Wie ist es Ihnen dann gelungen, das Spiel zunächst in Ihrem Heimatland, der Schweiz, populär zu machen?

Ich habe das Glück, dass ich gut im Schul- und Spitzensport vernetzt bin. Das hilft immer. Außerdem habe ich in der Stadt Zürich das Kompetenzzentrum für Schulsport mitaufgebaut und geleitet. So hatten wir Fort- und Weiterbildungen für Sportlehrer und ich ein gutes Netzwerk mit Interessierten. Ich konnte mich mit der Familie im Hintergrund auf das Spiel konzentrieren. Dann habe ich den Schritt gemacht, Street Racket weltweit zu pushen.

Das scheint ja hervorragend zu klappen. Sie haben Ihren Job als Sportlehrer an den Nagel gehängt. Auch Ihre Frau hat Ihren Juristinnenjob beendet. Sie setzen alles auf die Karte Street Racket. Ein riskanter Schritt?

Sehr riskant und sehr unschweizerisch. Wir wurden auch oft belächelt, weil wir so tolle Jobs für eine verrückte Idee aufgegeben haben. Aber wir haben immer das Potenzial gesehen und nie mehr zurückgeschaut. Wäre die Corona-Krise nicht gekommen, wäre das auch wunderbar aufgegangen. So haben wir aber viele Kurse abgesagt bekommen und dürfen auch keine Kurzarbeit anmelden. Wir hoffen, dass sich die Krise soweit mindert, dass wir wieder mit den Menschen arbeiten können. Es ist aktuell schon ungemütlich.

Dass die neue Sportart noch nicht bekannter geworden ist, liegt also auch an der Corona-Krise. Sie konnten, wie Sie sagen, keine Kurse geben – auch Kongresse fielen aus.
Ist das Projekt in Gefahr?

Sagen wir so: Wenn die Schulen weiterhin keinen Sportunterricht zulassen und sich die Menschen nicht fortbilden können, wird es schwierig. Wir haben aber auch ein digitales Angebot und hoffen, dass der Weg auch gewählt wird. Ich mache das mit großem Herz sowie Enthusiasmus und würde gerne wieder Face-to-Face mit den Menschen arbeiten. Die Prognose ist aktuell sehr schwierig. Wir haben auch nicht ein Budget, sondern einfach drauf los gemacht. Ein Leben, ein Traum. Wir gehen aber davon aus, dass wir mit einem blauen und schwarzen Auge davonkommen.

Wie viele Rackets haben Sie schon verkauft?

Da sind wir in den X-Tausenden. Die Rackets sind aber nicht unser Hauptziel. Operativ tätig sind wir nämlich für den Sport und die Bildung. Wenn man Street Racket spielt, ist das originale Racket natürlich gut. Es darf auch nicht zu groß sein. Trotzdem geht es in der Schule natürlich auch mit einem Schuh, einem Schulbuch, oder in der Küche mit einer Bratpfanne. Das funktioniert alles. Aber der Ball ist auch entscheidend. Da kann jeder solange er möchte andere Bälle testen und ausprobieren – am Ende landet er hoffentlich trotzdem bei uns.

Sie reden eher von einem Bewegungs- und Bildungskonzept als von einer neuen Sportart. Warum?

Erst einmal zur Sportart: Wir wollen in keiner Weise mit anderen Sportarten in Konkurrenz treten. Wir möchten die Menschen zum Racket vor der Haustüre greifen lassen. Wir sind der Meinung, dass die Grundformen nicht intensiv sind. Wir hatten den großen Wunsch, dass wir auch im Corporate-Bereich Gesundheit fördern können. Der Spieltrieb soll nicht wegen der Arbeit enden. Da gibt es viele Möglichkeiten, auch in der kleinen Pause dazwischen. Und wenn mehrere Tausend Menschen mehr ein Racket in die Hand nehmen, gehen auch mehr Menschen Tennis spielen.

Zum bewegten Lernen: Wir sind der Meinung, dass Kinder nicht gemacht sind, um nur herumzusitzen. Das Lernen sollte bewegt gestaltet werden. Wir können mit dem Rhythmus des Balls auch Matheaufgaben machen oder uns Wort für Wort eine Geschichte erzählen: Wenn ich den Ball schlagen muss, muss ich ein Wort sagen. Wir haben sogar ein Buch über das bewegte Lernen geschrieben.

Auch für Schulen kann Street Racket also interessant sein. Wird es künftig auf den Schulhöfen viele Street-
Racket-Felder zu sehen geben?

Das ist eines unserer Hauptziele. Es ist einerseits gut für die Kinder, die dadurch in die Materie reinkommen. Dann gehen sie nach Hause und können mit Freunden und Nachbarn oder Familie spielen. Da kann auch der Opa, der 85 ist, mit dem siebenjährigen Jungen spielen. Da können Kinder eine riesige Rolle im Zuge des Familienzusammenhalts spielen. Es braucht natürlich, bis das Spiel etabliert ist, aber diese Welle wird ganz bestimmt kommen. Die Felder sind im Nu gezeichnet, das macht entweder einer unserer Partner oder auch der Hausmeister.

In der Schweiz gibt es hunderte Schulhöfe mit besagten Feldern.
Wie sieht es in Deutschland aus?

Ich verliere das ein bisschen aus der Hand, aber einige Schulen haben es schon. Das meiste bekommen wir gar nicht mehr mit, weil die Sache an Eigendynamik gewinnt. Und das soll ja auch so sein. Wir hoffen einfach, dass die Menschen das Konzept so umsetzen wie gedacht.

Wie können Tennisvereine Street Racket in die Vereinsarbeit integrieren?

Die Standardparkplätze sind wie ein Standardfeld für Street Racket. Mit einer durchgezogenen Linie hat man ein Street-Racket-Einzelfeld. Wenn man auf einem Einzelfeld trainiert, dann kann man auf den Doppelfeldern längs zwei Felder pro Seite machen, wo 16 Kinder intensiv an ihren Skills arbeiten können. Das Doppelfeld ist natürlich nicht so breit, aber es geht um das Erlernen oder Verbessern dieser Skills. Meistens hast du bei Tennisvereinen auch hintenraus noch Platz oder hast das Klubhaus. Auch drinnen kannst du spielen und beispielsweise mit Klebeband arbeiten. Die Tennistrainer werden sofort viele Einsatzmöglichkeiten sehen.

Ist es auch irgendwann denkbar, dass es im Street Racket
Meisterschaften oder Punktspiele geben wird?

Wir bekommen immer mehr Anfragen, was mit Klubs, Ligen und Meisterschaften ist. Es ist natürlich geplant. Man kann auch eine eigene Liga etablieren, macht eine einfache Firmenliga. Spielt, wann immer ihr könnt! Der beste des Monats bekommt dann vom Chef zum Beispiel ein Speed-Racket-Set geschenkt. Eine solche Liga ist schnell aufgebaut, aber eine offizielle Liga muss wohlüberlegt sein.

Das ist ein großes Thema, dass wir noch besprechen müssen und werden. Wir haben eine App, mit der man alle Übungen für Street Racket herunterladen und spielen kann. Wir könnten dann auch via App eine offene Weltliga machen. Unser Wunsch ist es, in zwei bis drei Jahren, dass der, der in jedem Land am meisten gewinnt, zu einem World-Street-Masters-Turnier eingeladen wird.

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Erstellt:
10.06.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 26sec
zuletzt aktualisiert: 10.06.2020, 01:00 Uhr

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