Mehr als der wöchentliche Einkauf

Seit 17 Jahren ist der Jakobusmarkt fester Bestandteil des Miteinanders in der Unterstadt

Kisten mit Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln und Äpfeln. Am Stand gegenüber eingelegte Oliven und andere mediterrane Köstlichkeiten: Das Angebot auf dem Jakobusmarkt ist vielfältig. Zahlreiche Kunden kommen aber längst nicht nur, um einzukaufen. Für viele gehört der samstägliche Rundgang einfach zum Wochenende.

11.04.2016

Von Ingmar Lorenz

Es herrscht reger Betrieb auf dem Jakobusmarkt am Samstagvormittag. Die meisten Kunden kommen regelmäßig zum Einkauf und auf ein Schwätzchen. Bild: Metz

Es herrscht reger Betrieb auf dem Jakobusmarkt am Samstagvormittag. Die meisten Kunden kommen regelmäßig zum Einkauf und auf ein Schwätzchen. Bild: Metz

Es ist kalt am Samstagmorgen in der Tübinger Unterstadt. Obwohl ich beim Aufstehen deutlich Vogelgezwitscher hören konnte und die Wiesen allmählich wieder grüner werden, bekomme ich kalte Füße, sobald ich längere Zeit vor einem der Stände stehen bleibe. Obst und Gemüse aus regionalem Anbau, Honig, selbstgemachte Marmelade, Wurst, Käse, Fisch, aber auch Schnittblumen aller Art bieten die Marktbeschicker jeden Samstagvormittag an. Einige Stände sind so groß, dass die Verkäufer ständig in Bewegung bleiben müssen, um alle Kunden bedienen zu können. Mit Sicherheit ein gutes Mittel gegen die Kälte. Andere haben ihre Ware auf einem kleinen Tisch vor sich ausgebreitet. Die Besucher lassen nicht lange auf sich warten und bald wird es eng zwischen den Ständen.

Man kennt sich. Die Kunden fachsimpeln über ihre Einkäufe. Aber auch übers Wetter oder die Arbeit lohnt ein Schwätzchen. Der Umgangston zwischen den Verkäufern und ihren Stammkunden ist ebenso herzlich, denn viele zieht es jeden Samstag auf den Platz rund um die Kirche.

„Für mich ist das beinahe schon ein Ritual“, antwortet Bettina Klaiber auf die Frage, warum sie ihre Einkäufe auf dem Jakobusmarkt erledigt. „Das ist ein Teil meiner Wochenendentspannung.“ Außerdem sei es samstags die einzige Möglichkeit in Tübingen, auf dem Markt einzukaufen. „Wenn Sie berufstätig sind, kommen Sie unter der Woche einfach nicht auf den Markt“, sagt auch Volkmar Krämer. Für den Kirchentellinsfurter ist der Besuch des Jakobsmarktes ein fester Bestandteil seines wöchentlichen Ausflugs in die Tübinger Innenstadt.

Fast schon

mittelalterlicher Charme

Hinzu kommt die Atmosphäre, rund um die Jakobuskirche. „Das hat beinahe einen mittelalterlichen Charme“, beschreibt Hans-Jürgen Bleyer die Stimmung. Er arbeitet in dieser Woche vertretungsweise als Verkäufer, ist daneben aber auch wie üblich Kunde bei den anderen Händlern. Dadurch kennt sich Bleyer auf dem Jakobusmarkt besonders gut aus und empfiehlt mir die „saumäßig gute Bratwurst“, die es beim Metzger gibt.

Die Verbindung von regionalen, qualitativ hochwertigen Produkten und der einzigartigen Stimmung haben dem Markt offenbar sogar überregional zu Beliebtheit verholfen, wie Ursula Glass berichtet. „Ein Bekannter kommt hin und wieder extra aus München, um auf dem Jakobusmarkt einzukaufen.“ Obwohl ich doch daran zweifle, dass es allein der Markt ist, der Glass Bekannten nach Tübingen lockt, beginne ich zu begreifen, warum es die Kunden hierher zieht. Während ich meine Runden um die Kirche drehe, lasse ich mich allmählich von der Atmosphäre anstecken. Als ich die Schnittblumen von Karin Mayerlen bewundere, fällt mein Blick auf die Kinder und Jugendlichen vom Zirkus Zambaioni, die den Besuchern vor dem Chor der romanischen Kirche eine Kostprobe ihres Könnens zeigen und Flyer für ihre kommenden Auftritte verteilen. Verbunden mit dem Reden und Lachen der Kunden sowie den Verkaufsgesprächen wird der Markt dadurch zu einem Spektakel.

Viele der Marktbeschicker berichten mir, dass sie aus der Region kommen, etwa aus Ammerbuch oder sogar direkt aus Tübingen. Einige haben dagegen weitere Strecken zurückgelegt, um ihre Waren hier anzubieten. So auch Helmut Hennegriff, der jeden Samstag aus Oberkirch nach Tübingen kommt, um Obst und Gemüse aus eigenem Anbau zu verkaufen. Diesen Weg nehme er aber gerne in Kauf, berichtet er mit badischem Akzent. Es sei ein schöner Weg durch den Schwarzwald, fügt er lachend hinzu.

Früher Schweine,

heute buntes Sortiment

Seitdem 1999, nach rund 30 Jahren, zum ersten Mal wieder Waren rund um die Jakobuskirche angeboten wurden, ist Hennegriff dabei. Auf dem Platz wurden in 50er Jahren Schweine verkauft, später gab es dort ein buntes Warensortiment. An die Debatte, die bei der Wiederbelebung geführt wurde, kann er sich noch erinnern. Vor rund 17 Jahren waren die Meinungen über den Jakobusmarkt in Tübingen gespalten: Während die Befürworter eine Chance für das Viertel witterten, sahen die Gegner die Gefahr, dass sich die Anwohner durch das wöchentliche Treiben gestört fühlen könnten. Dabei ging es weniger um den Markt an sich, als vielmehr um den Lärm, der beim Auf- und Abbau der Stände entsteht. „Man hat sich damals darauf geeinigt, dass der Markt erst um acht Uhr morgens aufmacht“, erläutert Hennegriff. So ist es bis heute geblieben. Auf- und Abbau seinen rund um die Jakobuskirche zwar nicht einfach, erklärt Blumen-Frau Mayerlen und deutet dabei auf die vielen Stufen auf dem Kirchenhof. „Inzwischen hat es sich aber eingespielt und alles läuft reibungslos.“

Das bestätigt auch Diakon Peter Kögler. Als Anwohner bekommt er den morgendlichen Aufbau der Stände zwar mit, fühlt sich dadurch aber nicht gestört, wie er mir versichert. Den Markt selbst hält Kögler für eine Bereicherung für das Viertel. Als Diakon der Kirche, die im Zentrum der Marktstände steht, bemüht er sich um ein freundschaftliches Verhältnis mit den Marktbeschickern. Dazu gehört auch, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden der Gemeinde jeden Samstag ihre Runden über den Markt drehen, um die Verkäufer mit heißem Kaffee zu versorgen. Die Marktbesucher haben die Möglichkeit sich im Gemeindehaus mit Heißgetränken und Butterbrezeln zu stärken. Und tatsächlich: Das „Café zur Marktzeit“ ist voll. Auf den Tischen die Kaffeetassen, darunter die typischen grünen Einkaufstüten. Mir wird klar, dass der Jakobusmarkt mehr ist, als eine Möglichkeit einzukaufen. Für die meisten ist er ein Ort der Kommunikation und des Miteinanders. Ich bestelle einen Kaffee und spüre, wie meine Füße allmählich wieder warm werden.