Flüchtlingsarbeit: Eine Sache von Jahrzehnten

Seit Sommer arbeitet Boris Kühn als Integrationsbeauftragter bei der Stadt Mössingen

Es ist ein Jahr her, als Turnhallen notdürftig zu Unterkünften umfunktioniert wurden und Kommunen ganze Containerdörfer planten. Der Zustrom an Flüchtenden aus Kriegsländern nach Deutschland ist längst weniger geworden. In Mössingen sind es aktuell noch ein paar Menschen im Monat, die dazukommen.

16.11.2016

Von Moritz Siebert

Vieles in der Bürokratie ist einfacher geworden, sagt Boris Kühn, ...

Vieles in der Bürokratie ist einfacher geworden, sagt Boris Kühn, ...

„Ja, es sind weniger geworden“, sagt Boris Kühn: „Aber diejenigen die gekommen sind, die sind hier.“ Das vergesse man manchmal. „Und Menschen die hier bleiben, müssen hier auch ihren Platz finden.“ Sie müssen den Weg in die lokalen Strukturen, Anschluss bei Vereinen oder Arbeit finden, eine Fremdsprache lernen: „Flüchtlingsarbeit ist Sache von Jahren und Jahrzehnten.“

Seit Juli arbeitet Kühn als „Flüchtlings- und Integrationsbeauftragter“ bei der Stadt Mössingen. Ausgeschrieben hatte die Stadt die Teilzeitstelle im Frühjahr als „Flüchtlingskoordinator“. Die Bezeichnung wurde mit Kühns Amtsantritt aber geändert. „Ich koordiniere ja nicht Flüchtlinge oder Ehrenamtliche“, erklärt der 34-Jährige: „Mittelfristig geht es allgemein um Integration.“

Kühn versteht sich als Bindeglied zwischen Stadt, Behörden und Ehrenamtlichen. Innerhalb der Stadtverwaltung ist er Ansprechpartner für alle Fragen, die die Flüchtlingsarbeit betreffen. Er ist Anlaufstelle für die Mössingerinnen und Mössinger, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Aber auch alle anderen Bürger können sich mit ihren Anliegen an Kühn wenden, auch für kritische Stimmen hat er ein offenes Ohr. „Es ist mir ein Anliegen, alles offen zu kommunizieren.“

Spezialisiert sei er, beschreibt Kühn recht allgemein, auf „Interkulturelles“. Bevor er nach Mössingen gekommen ist, hat er an der Universität Luxemburg in der Migrationsforschung gearbeitet. Davor war er bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und bei der Evangelischen Landeskirche in Baden tätig. Er hat ein interdisziplinäres Studium mit Schwerpunkt Politik absolviert, zusätzlich ist er als Sprachlehrer ausgebildet. Neben der Teilzeitstelle als Mössingens Integrationsbeauftragter unterrichtet Kühn „Deutsch als Fremdsprache“ an der Volkshochschule.

Vom ehrenamtlichen Engagement in der Flüchtlingsarbeit in Mössingen ist Kühn beeindruckt. Der Freundeskreis Asyl sei in verschiedenen Arbeitsgruppen sehr gut organisiert, an Struktur sei schon sehr viel da. „Ich habe auch nicht den Anspruch, zu erklären wie sie ihre Arbeit machen sollen“, betont Kühn. Er unterstützt und sorgt dafür, dass es zu regelmäßigem Austausch zwischen allen Beteiligten kommt, neben dem Freundeskreis sind das die Stadtverwaltung und das Landratsamt. Bei Treffen, die alle sechs Wochen stattfinden, treffen sich Ehrenamtliche, Sozialarbeiterinnen und Ordnungsamt, um einzelne Fälle oder Anliegen von Aktiven zu besprechen. Ein Ziel aller ist es, mehr jüngere Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen. Unter den Geflüchteten sind eben überwiegend junge Menschen, im Freundeskreis überwiegend ältere.

Etwa 350 Geflüchtete, überwiegend aus Syrien und Afghanistan, leben zur Zeit in Mössingen. Davon sind etwa 80 bereits in der Anschlussunterbringung – teils in Privat-, teils in städtischen Wohnungen. Wie viele Menschen monatlich in die Anschlussunterbringung kommen, sei schwer zu sagen. „Wann eine Anerkennung kommt, das ist eine Black Box“, beschreibt Kühn. Sicher ist aber, dass die Zahl derjenigen, die nach ihrer Anerkennung eine Wohnung suchen, steigen wird. Hier hofft die Stadt auch auf die Bereitschaft privater Eigentümer, Wohnraum zu vermieten. Die Integrationsstelle kann hier beraten.

Ein weiteres Thema, um das Kühn sich kümmert, sind Arbeitsgelegenheiten: „Die Flüchtlinge wollen etwas tun.“ Auch die Stadt selber schafft solche gemeinnützige Tätigkeiten, etwa in der Stadtgärtnerei, wo seit Kurzem drei Asylbewerber mithelfen. Kühn kann Hilfe bei bürokratischen Fragen bieten, auch Vereinen oder Kirchengemeinden. „Was die Bürokratie betrifft, ist vieles einfacher geworden“, erklärt Kühn: „An Zugangsrechten scheitert auch die Suche nach einem richtigen Job eigentlich kaum mehr.“ Er beobachtet in letzter Zeit eher, dass Beschäftigungsverhältnisse an den Firmen selbst scheiter: weil entweder nicht bekannt ist, dass die Zugangsschwellen niedriger geworden sind, oder weil Betriebe gute Sprachkenntnisse fordern, die häufig noch nicht vorhanden sind.

„Sprache ist eines der wichtigsten Themen bei der Integration“, sagt Kühn. Es sei zentral, dass die Geflüchteten Sprachkurse besuchen: „Die Leute profitieren davon.“ Integrationskurse, wie sie in Tübingen angeboten werden, möchte Kühn auch für Mössingen.

Firmen sollten Ansprüche an Sprachkenntnisse nicht zu hoch stecken, findet Kühn. Grundlagen erwerben Flüchtlinge in Kursen, richtig Deutsch lernen sie aber eben erst im alltäglichen Kontakt. Das gängige Modell, dass Flüchtlinge ein Arbeitsangebot erhalten als Belohnung für einen absolvierten Sprachkurs, sei nicht ideal: „Man kann nicht erwarten, dass alle erst perfekt Deutsch lernen.“

... Mössingens neuer Integrationsbeauftragter. Bilder: Franke

... Mössingens neuer Integrationsbeauftragter. Bilder: Franke

Infos zur Flüchtlingssituation in Mössingen

Am kommenden Dienstagabend, 22. November, bietet die Stadt einen Informationsabend zum Thema „Flüchtlinge in Mössingen“. Beginn im Bürgersaal des Rathauses ist um 18.30 Uhr.

Ein Jahr nach der sogenannten „Flüchtlingswelle“ leben etwa 350 Geflüchtete – vor allem aus Syrien und Afghanistan – in Mössingen.

Die Stadt informiert gemeinsam mit den zuständigen Abteilungen des Landratsamts darüber, wie und wo die Menschen wohnen, welche Leistungen sie erhalten, wie die haupt- und ehrenamtliche Begleitung funktioniert, wie es um Spracherwerb, den Schulbesuch oder die Kita-Plätze steht. Nach mehreren kurzen Präsentationen, besteht Gelegenheit, den Verantwortlichen Fragen zu stellen. Danach können sich die Teilnehmer in einer der Kleingruppen „Sprache“, „Wohnsituation und Nachbarschaft“ oder „Sozialarbeit und ehrenamtliche Unterstützung“ genauer informieren und mit den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Gespräch kommen.

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16.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 28sec
zuletzt aktualisiert: 16.11.2016, 01:00 Uhr

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