Horb · Das Mittwochs-Interview

„Sie müssen es wirklich wollen“

Im Live-Gespräch via Zoom sprechen Jugendbundestrainerin Jasmin Wöhr und Ex-Profi Michael Berrer über das Talentsystem im deutschen Tennis und die möglichen Erben von Angelique Kerber.

03.06.2020

Von Sascha Eggebrecht und Milos Kuhn

Bundesjugendtrainerin Jasmin Wöhr stand beim „Plausch um Sieben“ Rede und Antwort.Bild: Sascha Eggebrecht

Bundesjugendtrainerin Jasmin Wöhr stand beim „Plausch um Sieben“ Rede und Antwort.Bild: Sascha Eggebrecht

SÜDWEST PRESSE: Frau Wöhr, der heutige Plausch steht unter dem Motto: Kerbers Erben. Neben Angelique Kerber haben vor allem Julia Görges und Andrea Petkovic im vergangenen Jahrzehnt das deutsche Tennis geprägt. Können Sie jetzt drei
Namen aus dem Nachwuchsbereich nennen, die diese Plätze einnehmen könnten?

Jasmin Wöhr: Ich hätte da mehr als drei Namen. Ich arbeite ja eng mit ihnen zusammen. Eine wäre aber auf jeden Fall Alexandra Vecic. Auch Eva Lys, die ebenfalls Jahrgang 2002 ist. Vielsprechend ist auch Nastasja Schunk, die häufig am Bundesstützpunkt in Stuttgart trainiert.

Michael, welchen Spielern traust du den Durchbruch zu?

Michael Berrer: Schwierig. Die Spieler, die nachkommen, sind sehr jung. Sie müssen sich etablieren, das dauert seine Zeit. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass der oder der Nachfolger eines Zverevs wird. Der DTB macht aber mittlerweile viele Dinge besser. Ich glaube, man braucht Geduld, dann kommt Gutes auf uns zu.

Bräuchte das Herrentennis auch ein Talentteam?

JW: Das ist nicht so einfach. Barbara Rittner hat da viel gute Arbeit geleistet, man braucht es aber nicht unbedingt. Der DTB macht auch einen guten Job, viele ehemalige Spieler helfen. Es ist im Hinblick auf die jungen Spieler gut, wenn du jemanden hast, der das durchgemacht hat.

Apropos Durchbruch: Im Porsche-
Talent-Team wird hart gearbeitet. Warum schaffen trotzdem nur
wenige Spielerinnen den Sprung an die Spitze?

Der Weg ist eben lang. Die Breite unseres Kaders ist da und wir haben gute Spielerinnen. Wer sich durchsetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sie müssen es wirklich wollen, harte Arbeit ist das Wichtigste. Sie müssen über einen langen Zeitraum dranbleiben und geben sich dadurch selbst eine große Chance.

Eine Spielerin, die die Lücke zwischen den ganz jungen und den etablierten Spielerinnen schließen sollte, war Carina Witthöft. Sie pausiert und hat negative Schlagzeilen gemacht, weil sie selbst Unterricht anbot. Fehlt es den Spielerinnen auch am nötigen Biss?

Mit Carina Witthöft habe ich wenig zu tun. Sie hat viele Dinge, die sie grundsätzlich sehr gern macht. Das lenkt sie vielleicht ab. Sie hat sehr viel Talent, wenn aber nicht der ganze Fokus auf das Wesentliche gerichtet ist, kann man von diesem Weg abkommen.

Barbara Rittner hat gesagt, dass sie Witthöft nicht abgeschrieben hat. Haben Sie Kontakt mit der Hamburgerin? Könnte es ein Comeback
geben?

Ja, die Voraussetzungen sind da. Jetzt ist die Corona-Zeit. Wenn
die Motivation danach nochmal kommt und sie hart dafür arbeitet, kann sie nochmal zurückkommen. Abgeschrieben ist sie auf keinen Fall.

Ein weiteres Beispiel ist Lena Rüffer. Sie war deutsche Jugendmeisterin und nun hört man nichts mehr von ihr. Welche Gründe gibt es bei ihr?

Lena hat auch im Bundesliga-Team auf der Waldau gespielt. Sie hat sich gegen ihre Tennis-Karriere entschieden. Sie will kein Profi mehr werden, sondern studieren.

Michael, warum verlieren einige Spieler die Lust am Sport?

MB: Das ist doch eine super Entscheidung, wenn Spielerinnen bewusst einen harten Schnitt machen. Das muss man respektieren, es hilft nichts, wenn sie das nur anderen zuliebe machen. Man muss selbst diese Motivation haben und das ist nicht einfach. Du musst dich immer neu motivieren, um besser zu werden. Die Learnings, die Rüffer aus dem Tennis gezogen hat, wird sie in ihr weiteres Leben mitnehmen. Es muss alles Spaß machen, auch die harte Arbeit.

JW: Du musst auch ein bisschen der Typ dafür sein. Lena ist nicht so gern gereist und war nicht gern von zu Hause weg. Das müssen Profi-Anwärterinnen früh lernen.

Michael, hattest du auch mal so
Momente, als es nicht lief, in denen du ans Aufhören gedacht hast?

MB: Bei mir war es ja auch so mit dem Reisen. Die ersten Jahre war das schwierig. Mein Trainer hat mir gute Lektionen erteilt.

Jasmin, wie sah es bei dir aus?

JW: Partys gab es eher weniger, Studieren war hingegen schon ein Gedanke. Nach meinem Abitur hatte ich böse Verletzungen und musste ein Jahr pausieren, da war der Gedanke da. Aber mein Wille für Tennis war noch viel stärker, deswegen hat sich mir die Frage dann doch nicht so richtig gestellt.

Was muss ein Talent heutzutage mitbringen, um den Sprung an die Spitze zu schaffen?

Die technischen Voraussetzungen sind klar, die bringen sie von den Heimtrainern mit. Das Umfeld, die Eltern, die Fitness und die Kondition sowie Freiräume von der Schule und all das. Auch das Mentale natürlich. Ein wichtiger Baustein ist darüber hinaus die Ernährung, auf die sie achten müssen. All das zusammen macht einen guten Profi aus.

Ist Power wichtiger als der Touch?

Für die Einen ist es die Power, die anderen spielen aber auch gerne Variationen. Überwiegen tut aktuell das Power-Tennis, ich bin aber auch Fan von Touch-Tennis. Mir ist es wichtig, dass die Spielerinnen Spiele gut eröffnen können.

Ist es ein Problem für die Leistungsförderung, dass Kinder und Jugendliche heutzutage zu vielen Eindrücken unterliegen, zu vielen Hobbys
nachgehen?

Das finde ich gar nicht so schwierig. Manchmal würde ich mir ein bisschen das Gegenteil wünschen. Julia Middendorf spielt zum Beispiel noch Fußball, Mara Guth dagegen sehr gut Tennis, aber sie tut sich bei Fußball oder Basketball schwer. Die Voraussetzungen sind teils echt unterschiedlich. Ich würde mir wünschen, dass sie manchmal etwas mehr allgemein sportlich unterwegs sind.

Trainerkollege Jürgen Müller hatte im letzten „Plausch um Sieben“ gesagt, dass es wichtig ist, was am Ende herauskommt. Er meinte damit Spieler wie Dominik Koepfer oder Michael Berrer, die sich erst sehr spät verbessert und den Sprung in die Top 100 geschafft haben. Das Fördersystem sieht im WTB ja so aus, dass das Bezirkstraining ab dem 13. Lebensjahr beendet ist, wenn bis dahin der Sprung in den WTB-Kader nicht
geschafft worden ist. Sollte eine
Förderung nicht länger andauern?

Sie kommen dann vom Bezirk zum Verband und wenn sie dort positiv auffallen, könnten sie zu uns kommen. Es gibt aber genug Beispiele, die zeigen, dass man dranbleiben muss. Viele haben den Durchbruch erst, wenn sie etwas älter sind. Bei den einen oder anderen macht es eben erst später „Klick“. Man muss dranbleiben und das auch unterstützen.

Besser gefördert werden könnten Talente auch, wenn sie in einem Internat sind. Nach den ganzen Umbauarbeiten am Stützpunktzentrum Stammheim soll irgendwann auch ein solches entstehen. Wie weit sind die Arbeiten da vorangeschritten?

Das neue Athletenhaus ist super für die Corona-Zeit, denn es ist schon eröffnet und wir konnten Lehrgänge absolvieren. Jede Spielerin hat ihr eigenes Zimmer. Sie haben dann einige Freiheiten und können eine gute Balance zwischen Schule und Training finden.

Michael, was hältst du von Internaten?

MB: Ich denke, das ist sehr individuell. Es ist aber auf jeden Fall eine super Idee. Nur dann kann ein Umfeld entstehen, in dem man sich gegenseitig hochpusht. Die Infrastruktur ist schon perfekt. Es wird vieles sehr gut gemacht. Ich denke, dass im Tennis Glück auf dem Platz dazugehört, manchmal brauchst du das aber auch im Training. So kann die Karriere in die richtigen Wege geleitet werden. Das kann auch sehr schnell gehen.

Wichtig ist auch Mentaltraining. Porsche-Talent-Team-Mitglied Alexandra Vecic war jüngst bei uns zu Besuch. Sie sagte, dass sie kein geregeltes mentales Training machen würde. Warum ist das so?

JW: Ich finde, das ist ein wichtiger Baustein. Unser Ziel ist es, das zu forcieren. Jede Spielerin muss aber auch für sich selbst entscheiden, inwiefern sie dabei aktiv werden möchte. Die Spielerinnen können auch individuell mit einem Mentalcoach ihres Vertrauens arbeiten.

Die Profis dürfen ja schon wieder etwas länger trainieren. Hat man den Spielerinnen die Pause zu Beginn der Arbeit auf dem Platz angemerkt?

Ganz im Gegenteil, wir haben die Corona-Pause genutzt, um intensiv Fitness zu machen. Wir haben per WhatsApp Videos mit Aufgaben verschickt und man konnte sehen, dass es voran geht. Die ersten ein bis zwei Tage waren holprig, dann ging es ganz schnell.

Wie gehen die jungen Spielerinnen sonst mit der Corona-Situation um?

Sie sind ein bisschen gelangweilt, die Sessions im Wohnzimmer auf der Matte waren natürlich nicht allzu spannend. Die Turniere und die Wettkämpfe fehlen ihnen. Jetzt gilt es, die Situation, die man nicht ändern kann, optimal zu nutzen und wenn es wieder losgeht, optimal vorbereitet zu sein.