Poetikdozentin Siri Hustvedt im Interview

„Solche Kritik bekommen Männer nie zu hören!“

Siri Hustvedt über Donald Trump, ihre Romane, Neuropsychologie und die Kunst der Fiktion.

15.11.2016

Von Peter Ertle

Poetikdozentin Siri Hustvedt Bild: Metz

Poetikdozentin Siri Hustvedt Bild: Metz

Erste Frage, natürlich: Sind Sie jetzt traumatisiert, trumpatisiert?

Siri Hustvedt: Ich bin es. Es war so unerwartet, es hieß vorher ja, dass Clinton vorne läge. Die Umfragen waren falsch, weil die falschen Leute befragt wurden. Was daran lag, dass diesmal Leute wählten, die noch nie vorher gewählt hatten. Wir haben es mit einer Bewegung zu tun, die eher wie eine Ansteckung funktioniert, eine gefühlsmäßige Ansteckung, da geht es gar nicht so sehr um irgendeine spezifische Ideologie. Was es nicht weniger gefährlich macht. Ich denke übrigens nicht, dass Hillarys Wahlkampagne schuld ist oder sie selbst. Sie hatte keine Anhänger unter der schwarzen Bevölkerung, ja. Aber Bernie Sanders auch nicht. Elizabeth Warren auch nicht. So dass die Koalition, die Barack Obama hielt, in keinem Fall hätte aufrecht erhalten werden können.

Vor der Wahl sagten Sie, die weißen Männer über 60 würden bald keine Rolle mehr spielen und hofften auf die wachsenden Minderheiten. Jetzt sieht es so aus, als ob auch viele Frauen Trump gewählt hätten, auch viele unter den Einwanderinnen.

Es war wohl auch eine beachtliche Zahl von weiblichen Hispanics, die für Trump stimmten. Es war eben ein Fehler, zu glauben, dass sie wie ein Block stimmen würden, dass es in der community nicht auch Rivalitäten und unterschiedliche Sympathien gäbe. Dass die typische Kultur der „weißen Männer über 60“ keine Zukunft hat, halte ich nach wie vor aufrecht. Diesmal hatten viele Trump-Wähler das Gefühl, das weiße John Wayne-Amerika unter Barack Obama verloren zu haben. Sie haben es sich wieder geholt. Wir hatten ja acht Jahre lang einen extrem gebildeten, eleganten Präsidenten, der das „andere“ Amerika verkörperte.

Könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass sein Name unbewusst an einen Helden der amerikanischen Kultur erinnert: Donald Trump –Donald Duck. Die gleichen Vokale!

Ich bin die erste, die zugibt, dass Namen unterbewusst eine große Rolle spielen und möglicherweise auch hier: Wir verwenden umgangssprachlich ja oft „to trump someone“ (jemand übertrumpfen). Nein, ich glaube, was wirklich eine Rolle spielte, und das ist eine traurige Sache – ich bin gerade dabei, oben in meinem Hotelzimmer darüber zu schreiben – dass die Medien eine sehr einseitige Berichterstattung pro Clinton hatten und damit, auch wenn sie es nicht beabsichtigten, die Trump-Kräfte unterstützten.

Zu ihren Büchern: Ich kenne drei Leute, die Ihren erfolgreichsten Roman „Was ich liebte“ nicht zu Ende lesen konnten, weil er an einer bestimmten Stelle zu grausam war. Wenn das so hart zu lesen ist – war es auch hart zu schreiben?

Ich habe sechs Jahre an diesem Buch geschrieben. Aber die Szene, um die es mit Sicherheit geht, habe ich in einem Rutsch geschrieben, danach nie mehr umgeschrieben, nie mehr auch nur angefasst. Erst ganz am Schluss, um zu überprüfen, ob es das war, was ich wollte. Es war, was ich wollte.

Ist Paul (Auster) Ihr erster Leser, sind Sie seine erste Lerserin? Wie haben wir uns das vorzustellen im Hause Auster/Hustvedt?

Ja, ich lese ihm so alle 75, 100 Seiten vor, er ist da eifriger, liest mir gewöhnlich einmal pro Woche vor. Wir unterhalten uns über die Prosa, gehen einzelne Worte durch, überprüfen Adjektive . . . Manchmal üben wir substantielle Kritik.

Hat einer von Ihnen daraufhin schon mal etwas Wesentliches geändert?

Ich fand einmal, dass das Ende eines seiner Romane nicht funktioniert und er hörte auf mich. Er hatte immerhin drei, vier Jahre an diesem Buch geschrieben. Das ist nicht leicht. Aber wir nehmen einander eben sehr ernst. Ich denke, jeder braucht einen Leser seines Vertrauens, jeder Autor, bei manchen sind es die Lektoren, bei anderen enge Freunde. Und ich bin mit dem Leser meines Vertrauens nun mal verheiratet.

Ihr letzter Roman „Die gleißende Welt“ ist eine Art Maskenspiel.

Es ist vor allem ein Roman über die Frage, was ein Roman ist. Das ganze Buch ist eine Art Allegorie. Die Wahrheit liegt nicht in einer bestimmten Perspektive oder Stimme, sie ist vielstimmig, und hat viele Momente der Doppelbödigkeit.

Und es ist gemein für Kritiker. Denn jede Kritik liest sich wie eine noch ungeschriebene, weitere Stimme des Romans.

Stimmt! Jede einzelne Kritik ist schon antizipiert.

Sie haben einen Kritik fressenden Roman geschrieben!

(lacht) Richtig! Und es war extrem befriedigend. Es gab so viele Kommentare zu diesem Roman. Was habe ich alles über meine Hauptfigur Harriet Burden hören müssen: (mit verstellter, hoher Stimme): „Oh ich mag sie nicht! Sie ist gar keine nette Frau.“ Genau. Sie ist keine nette Frau, das war auch nicht die Idee. Der Roman ist nicht leicht zu verstehen mit seinen vielen unterschiedlichen Stimmnen, all den Fußnoten, er ist hoch theoretisch.

Genau, manche Leser sagen: Warum muss sie ständig zeigen, was sie alles weiß, warum ist sie so kompliziert, so verdammt intellektuell? Wären Sie ein Mann, wäre man vermutlich großzügiger.

Großzügiger? Man würde es feiern! Nennen Sie mir einen einzigen Schriftsteller, der dafür kritisiert wird! Solche Kritik bekommen Männer nie zu hören.

Sie beschäftigen sich seit 20 Jahren mit Neurobiologie, auch mit Psychoanalyse. Für viele ist das ein Antagonimsus. Gibt es eine Lücke zwischen der Hirnforschung auf der einen und unserem subjektiven (Unter-)Bewusstsein auf der anderen Seite?

Ja, es gibt eine Lücke. Aber es gibt auch eine Richtung, die sich „Neuropsychologie“ nennt. Viele Leute haben vergessen, dass sich auch Freud mit Neurologie beschäftigte, acht Jahre lang, er schrieb an einem Buch, das ein link zwischen body and mind sein sollte, er hielt es für misslungen, aber das ist es nicht. Heute gibt es eine Reihe von Wissenschaftlern, die versuchen, subjektive Erfahrung und Hirnforschung zu verbinden. Ein Problem ist: Man kommt auf diesem Gebiet nur schwer zu einer Beweisführung.

Wahrnehmung ist eines der zentralen Motive ihrer Romane und Essays. Ganz allgemein gefragt – und weil es doch immer heißt, man solle keine Vorurteile haben: Ist Wahrnehmung ohne Vorurteile überhaupt denkbar?

Wahrscheinlich nicht. Es gibt einige Gründe dafür. Wir nehmen meist das wahr, was wir erwarten. Wir nehmen nach bestimmten Erfahrungsmustern wahr, wir konstruieren, erschaffen. Und das meiste wird zur Gewohnheit, läuft automatsich ab. Man kann das reflektierende Bewusstsein aber trainieren. Ich glaube, dass die Kunst der Fiktion genau das leisten kann.

Die Vorträge der Poetikdozenten

Der Fahrplan der Vorlesungen ist diesmal einfach: Nach der gestrigen ersten Vorlesung von Siri Hustvedt spricht sie heute und morgen wieder, jeweils um 20.15 Uhr in Hörsaal 25, Kupferbau. Am Donnerstag, 17. November um 20.15 Uhr spricht Vittorio Gallese im Audimax. Am Freitag, 18. November findet um 17.15 Uhr im Audimax

eine Podiumsdiskussion zwischen beiden statt.

Abends um 19 Uhr gibt es dann den Festakt 20 Jahre Poetikdozentur, auf dem Siri Hustvedt den Vortrag „Returning to places one has never been – except in books“ hält, bevor Gastredner Raoul Schrott den Festvortrag „Warum Jubiläen?“ hält.