Geschichte einer Gastarbeiter-Familie, die am Leben in Deutschland zerbricht.

Solino

Geschichte einer Gastarbeiter-Familie, die am Leben in Deutschland zerbricht.

23.11.2015

Von Claus Wecker, AP

Solino

Als eine Familie der ersten Generation von Gastarbeitern kommen die Amatos 1964 nach Duisburg und eröffnen mit Erfolg die erste Pizzeria. Regisseur Fatih Akin begleitet in seinem Film "Solino"die Familie 20 Jahre lang auf ihrem Weg zum beruflichen und privaten Glück.

Der Anfang ist grandios. Der deutsche Kinofilm "Solino" beginnt mit Szenen aus Italien, und die sind voller Leben. Mit ihren zwei Kindern Giancarlo und Gigi wollen die Eheleute Romano und Rosa Amato nach Deutschland. Denn dort, im Land der Vollbeschäftigung, werden im Jahr 1964 händeringend Arbeitskräfte gesucht. Das waren noch Zeiten! Beim Abschied am Bahnhof von Solino fließen Tränen. Doch die Szene gerät unversehens zur Farce, als sich Vorsteher und Zugführer darüber streiten, wer das Signal zur Abfahrt geben darf.

Die Ankunft in Duisburg ist wieder traurig. Die Familie kommt aus dem sonnendurchfluteten Apulien in eine graue Industrielandschaft. Eine heruntergekommenen Altbauwohnung dient als Bleibe. Rosa vermisst beim Kochen das heimische Gemüse, die richtigen Kräuter und Gewürze, eigentlich alles. Romano erkennt, dass die Arbeit unter Tage nicht das Richtige für ihn ist. Die Stimmung ist trist bei den Familienmitgliedern: So hatten sie sich den Neuanfang im Wirtschaftswunderland nicht vorgestellt. Ein leeres Eck-Lokal gegenüber ihrer Wohnung bringt sie auf die rettende Idee.

Deutschland braucht eine Pizzeria, sie werden sie aufmachen, und es wird die erste im Ruhrgebiet sein. Die Pizzeria, die sie nach ihrem Heimatdorf Solino genannt haben, wird tatsächlich ein Riesenerfolg. Mutter kocht im Keller, Vater macht den zuvorkommenden Oberkellner, und die beiden Söhne helfen, so gut sie können. Die großen Söhne Hätte doch Regisseur Fatih Akin die Geschichte in den 60er Jahren weitererzählt!

"Solino" wäre mindestens so gut wie die Vorgänger "Kurz und schmerzlos" und "Im Juli" geworden, mit denen Akin das deutsche Kino um realistische Schilderungen von Einwanderer-Schicksalen bereichert hat. Doch "Solino" macht einen Sprung in das Jahr 1974 und stürzt ab. Plötzlich sieht der Zuschauer Barnaby Metschurat und Moritz Bleibtreu. Einen Augenblick braucht man, bis es einem dämmert: Die beiden sollen jetzt die groß gewordenen Söhne Gigi und Giancarlo sein. Oder wäre vielleicht Bleibtreu nicht doch der bessere Gigi?

Selten hat man zwei Schauspieler so neben ihren Rollen stehen sehen wie in diesem Film. Mit einem Mal will nichts mehr zusammenpassen, da mag das Geschehen noch so dramatisch werden. Die temperamentvolle Rosa wird immer frustrierter in ihrer Kellerküche, während ihr Mann oben im Lokal den weiblichen Gästen schöne Augen macht. Schließlich erwischt sie ihn auch noch beim Fremdgehen. Aber nicht genug: Rosa bekommt Leukämie und geht mit Sohn Gigi zurück nach Italien. Gigi hat sich derweil im Filmemachen versucht und einen etwas unbeholfenen kleinen Dokumentarfilm gedreht, der prompt den ersten Preis bei den Ruhrfilmtagen gewinnt.

Doch weil Gigi bei der Mutter in Italien ist, nimmt Giancarlo den Preis entgegen und lässt sich als Nachwuchstalent feiern. Das Drehbuch von Ruth Toma, die schon für den kuriosen "Gloomy Sunday" die Vorlage lieferte, reiht Episode an Episode, ohne sich sonderlich um die Stimmigkeit zu kümmern. Für eine Familiensaga, die sich wie hier über ganze zwei Jahrzehnte erstreckt, braucht man einen langen Atem. Fatih Akin und Ruth Toma haben ihn nicht.