Lorenzo Zimmer über die Hitze im Schlafzimmer

Sommernachtstraum (4): Die Wüste schläft nie

Irgendetwas klebt an meinem Bein. Stoff. Durchnässter Stoff in der Kniekehle – nicht sehr angenehm. Ich versuche, ihn abzustreifen, scheitere kläglich, verwickle mich nur weiter. Dann lasse ich das Gewand eben an. Vielleicht besser so, sonst hole ich mir einen Sonnenbrand.

18.08.2018

Von Lorenzo Zimmer

Ich stapfe durch die Wüste. Schleppe mich voran. Meine Kehle ist staubtrocken, die Augen tränen vom umherwehenden Sand. Das salzige Nass rinnt aus den Augenhöhlen, versickert in meinen porösen Wangen und verkrustet dort.

In solchen Momenten frage ich mich, wieso ich keine Höcker auf dem Rücken trage. So ein Wasserspeicher würde mir guttun. Doch ehe mir noch welche wachsen, verwerfe ich den Gedanken. Wer will schon als Tauschobjekt für ein Grundstück, eine Ziegenherde oder eine hübsche Touristin verschachert werden? Da bleibe ich lieber Zweibeiner, ziehe das Menschsein dem Kamelsein vor. Wenn man 200 Liter in 15 Minuten saufen kann, ist man in der Lieblings-Eckkneipe zwar der Star – aber zu welchem Preis?

Irgendwas erkenne ich am Horizont. Kein Kamel. Etwas Weißes flimmert in der weiten Ferne. Ich wusste nicht viel in meinem Leben. Manches schon: Dass ein Mathe-Studium nichts für mich wäre. Dass der Wetterbericht selten stimmt. Dass ich nichts weiß. Und, dass ich diesen Sehnsuchtsort am Rande meines Blickfelds irgendwie erreichen muss.

Immer deutlicher wird die weiße Kuppel, die sich gar nicht bedrohlich, viel mehr verheißungsvoll über dem vor Hitze flimmernden Wüstensand abzeichnet. Ich quäle mich auf die Zielgerade. Nach Stunden des Marsches durch die erbarmungslose Hitze und die Luft voller Sandkörner habe ich dann meinen Bestimmungsort erreicht. So muss sich Neil Armstrong gefühlt haben, als er den Schritt aus der Landefähre auf den Mond tat. Oder Indiana Jones, als er die Schatzkammer des Gralstempels betrat. Ich gehe durch den portalartigen Eingang des Iglus mitten in der Wüste.

Je weiter ich hineingehe, desto stutziger werde ich. Wieso strahlt das riesige Konstrukt aus Eis keine spürbare Kälte ab? Ich höre das Eis knacken. Es ist also wirklich da, ich kann es hören, sehen, nur nicht spüren. Doch wieso zerfließt es nicht – hier, mitten in der Wüste? Warum zergeht es nicht im gleißenden Licht der Sonne? Zu viele Fragen. Ich wache auf.

Endlich kann ich mein Bein aus der Umklammerung des völlig nassgeschwitzten Bettlakens befreien. Als der jetzt im August lieb- und unverzichtbar gewordene Turm-Ventilator im Schlafzimmer den Scheitelpunkt seiner Drehung erreicht, knackt das Plastik-Gestell. Hört sich ein bisschen an, wie das Knacken eines Eisblocks, auf dem zu viel Gewicht lastet. Ich stehe auf, schlage das Laken zur Seite. Feiner Sand rieselt auf den Schlafzimmerboden.

Zum Artikel

Erstellt:
18.08.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 14sec
zuletzt aktualisiert: 18.08.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!