Son of Saul

Son of Saul

Das Oscar-dekorierte Drama erzählt die Geschichte eines jüdischen Häftlings, der im KZ Auschwitz einen toten Jungen rituell beerdigen will.

21.02.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Son Of Saul

Filme über den Holocaust gibt es viele, aber nur wenige wagen sich ins Herz der Finsternis, die Vernichtungslager. Zu groß ist die Gefahr, eine einschlägigen Genrefilmen ähnelnde Gewaltorgie oder ein den industriellen Massenmord verniedlichendes Rührstück abzuliefern.

„Son of Saul“ des Ungarn László Nemes, der den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen hat, begegnet der Gefahr durch eine radikal subjektive Perspektive, die sich schon an den Bildausschnitten zeigt. Die ersten zehn Minuten (und über weite Strecken des restlichen Films) klebt die Kamera auf dem Gesicht oder dem Hinterkopf des jüdischen Lagerinsassen Saul (Géza Röhrig), während er Neuankömmlinge zur Gaskammer von Auschwitz eskortiert. Das eigentliche Grauen bleibt verschwommen im Bildhintergrund oder erschließt sich indirekt durch das Gebrüll der Aufseher und die Angstschreie der Todgeweihten.

Saul ist Mitglied eines Sonderkommandos, das die Schmutzarbeit für die Deutschen erledigt: Leichen entsorgen, Gaskammern putzen, Wertsachen sortieren. Mitleid mit einzelnen Opfern kann er sich nicht erlauben, doch als in seinen Händen ein Kind stirbt, in dem er seinen Sohn zu erkennen glaubt, setzt Saul sich in den Kopf, es nach jüdischem Ritus zu bestatten. Seinen Plan verfolgt er mit einer Hartnäckigkeit, die womöglich wichtigere Aktionen seiner Mithäftlinge – die fotografische Dokumentation des Massenmords und einen Brandanschlag auf das Krematorium – behindert.

Dramatisiert wird dieser Konflikt allerdings kaum, und auch mit moralischen Handreichungen hält sich der Regisseur, ein Schüler des großen Avantgardisten Béla Tarr, zurück. Als Zuschauer bleibt man weitgehend allein mit Saul, in dessen Gesicht sich Leere und Entsetzen abzeichnen – aber auch die Entschlossenheit, einen Rest von Menschenwürde in einer entmenschlichten Umgebung zu bewahren.

Auschwitz aus radikal subjektiver Sicht eines Häftlings – das geht an die Grenze des Ertragbaren.

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Erstellt:
21.02.2016, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 54sec
zuletzt aktualisiert: 21.02.2016, 12:00 Uhr

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