Spacige Alternative

Bisher kennt jeder Skype, wenn es darum geht, übers Web zu telefonieren. Das könnte sich ändern. Das Reutlinger Startup Qlips will den Markt für Telefon- und Webkonferenzen aufmischen: mit 3D-Raumklang. Und einigem mehr. Ausgeguckt hat man sich dafür den deutschen Mittelstand.

07.12.2016

Von Alexander Wiemer

Auf die Ohren: Timo Gschwendtner, Alfons Martin, Patrick Schreiner und Evelien van Veen verkaufen virtuelle Konferenzräume in 3D-Sound.

Auf die Ohren: Timo Gschwendtner, Alfons Martin, Patrick Schreiner und Evelien van Veen verkaufen virtuelle Konferenzräume in 3D-Sound.

Kein Loft, Tischkicker, keine ausladenden Sofas oder coole Poster an den Wänden. Die Büroräume des Reutlinger Startups Qlips sehen nicht unbedingt so aus, wie man sich den working space von jungen Gründern aus der hippen Tech-Branche vielleicht gemeinhin vorstellt. Eine Handvoll Rechner, Monitore, Headsets: Konzentration aufs Wesentliche. So beschreibt man auch das eigene Produkt. „Je schlechter die Tonqualität einer Konferenzschaltung ist, umso mehr muss man sich konzentrieren, um den Inhalt des Gesagten herauszufiltern. Das ist extrem ermüdend. Über die 3D-Raumklangtechnik erzeugen wir virtuell einen Raum, der sich physisch real anfühlt und in dem man sich so verständlich unterhalten kann wie wir gerade eben“, sagt Firmenchef Timo Gschwendtner.

Nachvollziehbar abgefahren

So weit, so gut. Wer schon mal wichtige Dinge in einer Konferenzschaltung mit mehreren Leuten besprechen musste, weiß: Meetings können die Hölle sein. Wer das System von Qlips nutzen will, braucht ein Headset, denn es funktioniert über den Browser. Sonst ist keine weitere Hardware nötig, die Installation von Software entfällt auch. Die Buchung eines Konferenzraums erfolgt normal über Outlook, die Konferenz selbst verhält sich in etwa wie ein interaktives Browsergame: Der Moderator positioniert die Gesprächspartner nach Belieben, deren Profil blinkt, wenn sie reden. Über die Kopfhörer hört man einen akustischen Raum, hat das Gefühl für links, rechts und vorne und kann die Stimmen jeweils klar zuordnen. Weitere Funktionen wie Chat, Filesharing und Screensharing sind mit enthalten. Das klingt nachvollziehbar und abgefahren, grundsolide und ehrgeizig. Mit dieser Mischung möchten sich die Gründer unter anderem von Anbietern wie Skype absetzen.

Das negative Image der New Economy, das hierzulande lange das Bild von Startups und der IT-Szene prägte, scheint überwunden. Der Innovationsdruck, den die Digitalisierung vorgibt, ist hoch. Keiner will den Anschluss verlieren. Konzerne wie Daimler oder Telekom investieren dreistellige Millionenbeträge in sogenannte Inkubatoren und Acceleratoren, sie bieten Startups eine Infrastruktur an Räumen, Technik und Kundennetzwerken, kaufen Anteile, wollen nah dran sein an der Szene. 3D-Technologie, Industrie 4.0 oder Büro 4.0 sind heiß gehandelte Themen. Auch die Reutlinger von Qlips setzen hier an, gehen aber einen etwas anderen Weg. Man will den Markt aufmischen, konzentriert sich dabei aber ganz bewusst auf den hiesigen Mittelstand. Das zeigt sich schon beim Investor: Die Bürotex Gruppe aus Nürtingen, gut vernetzter IT-Dienstleister, über dreißig Jahre im Geschäft, inhabergeführt und eigenfinanziert. Privatkunden als Zielgruppe lässt man bei Qlips noch außen vor. Dafür zählen inzwischen DB Schenker sowie hiesige Unternehmen aus dem Maschinenbau, der Kunststoffindustrie und Bürogestaltung zu den Nutzern. „Bei großen Konzernen ist das Thema digitales Büro schon angekommen, im Mittelstand noch bei weitem nicht“, sagt Gschwendtner.

Vor einem Jahr hat das vierköpfige Team gegründet. Zwei Informatiker, eine Volkswirtin und ein Marketingprofi. Seinen Ursprung hat das Produkt in einer Diplomarbeit der Uni Tübingen. Von den beiden ehemaligen Informatikstudenten und heutigen Gesellschaftern, Alfons Martin und Patrick Schreiner, wurde es schließlich zur Marktreife entwickelt. Timo Gschwendtner kennt beide Seiten des Geschäfts: Beim Beratungshaus Staufen AG befasste er sich immer wieder mit Startup-Projekten, wechselte selbst in ein Startup und wurde daraufhin Marketingleiter beim Anlagenbauer Hager + Elsässer. Jetzt versucht er Kunden für innovative Raumklangtechnik zu begeistern. „Es ist einfach ein tolles Produkt und dass ich diese Informatikerbrille nicht aufhabe, ist eher von Vorteil. Dafür sehe ich klar, wo wir hinmüssen“. In erster Linie sei das, im kommenden Jahr Breakeven zu erreichen.

Vielstimmige Ambition

Das ist ambitioniert. Zumal der Markt eng ist: große Player wie Microsoft und Cisco bieten mit Skype for Business und Webex schon ähnliche Lösungen an. Allerdings ohne 3D-Raumklang. Mit der hohen Qualität dieser Technik wollen die Reutlinger letztlich punkten. Zudem machen sie keinen Hehl daraus, dass man auch klar auf „Made in Germany“ setzt, um sich zu behaupten. 79 Euro im Monat kostet die Lizenz für das Webkonferenz-System. Skype for Business liegt bei etwa fünf Euro je Account. Der Unterschied sei, so Gschwendtner, dass alle Mitbewerber personengebundene Lizenzen verkaufen würden. „Derjenige, der die Lizenz bucht, ist auch der einzige, der Konferenzen über diesen Account organisieren darf. Wenn 30 Prozent der Belegschaft ständig Konferenzen nutzen, braucht man deshalb weitaus mehr als einen Account. Das kann schnell teuer werden“. Qlips bindet seine Lizenz nur an den virtuellen Konferenzraum. Das heißt, man zahlt einmal für das System und ab da kann jeder Mitarbeiter selbiges uneingeschränkt nutzen. Auf Administratoren-Rechte wird verzichtet. Bis zu zehn Personen sind pro Konferenz möglich. „Der übliche Durchschnitt liegt bei sechs Personen. Wir könnten auch mehr Personen zulassen, aber das halten wir nicht für sinnvoll. Auch in einer herkömmlichen Konferenz ist das Ergebnis gleich Null, wenn zu viele Teilnehmer dabei sind“.

Der Vorteil gegenüber Skype liegt in der Kerntechnologie. Die ist ein Code mit dazugehöriger Datenbank, ihre Macher sagen 3D-Soundengine dazu. Die Anwendungsmöglichkeiten sind enorm vielfältig: Außer bei Webkonferenzen kann die Technologie auch im Bereich Gaming, Film, Hörbuch und Augmented Reality eingesetzt werden. „Man kann das Klangsystem so programmieren, dass man beispielsweise das reale Gefühl hat in einem bestimmten Autotyp oder einem Hubschrauber zu sitzen. Bei einer Produktvorführung am Messestand lohnt sich das und ist mit relativ wenig Aufwand machbar. Ein Produktvideo wird eh produziert, aber der Effekt ist mit Raumklang deutlich größer“. All das kann man durchaus als Kampfansage bewerten. Doch die Gründer bleiben moderat, wollen sich nicht verzetteln. „Um zu beweisen, dass wir den 3D-Sound darstellen können, fokussieren wir uns klar auf den Bereich Telefon- und Webkonferenz“.

Wie man all diese Vorteile letztlich für sich nutzt, ist auch eine Frage von Zeit, Geld und Ausdauer. Der Investor steht hinter der Innovation. Aber in der Tech-Branche kann ein Alleinstellungsmerkmal schnell perdu gehen. Ebenso kann man zum ernsthaften Konkurrenten der Großen werden, meint Gschwendtner. „Wir sind noch nicht da. Aber, wenn wir alle Gehälter bezahlen und uns weiterhin in die Augen schauen können und Spaß an der Sache haben, warum sollten wir dann nicht das Spiel weitertreiben?“ In Zukunft heißt es also: aufgepasst.