Stadtplanung

Spielwiese für Stadtplaner

Die Stadt hat das Leuco-Gelände gekauft. Doch was passiert mit der Industriebrache? Mehrere Szenarien sind möglich. Ein Rundgang.

14.09.2018

Von Dagmar Stepper

Stadtplaner Peter Klein (links) und Wirtschaftsförderer Axel Blochwitz vor dem Leuco-Gelände in der Stadionstraße. Bilder: Kuball

Stadtplaner Peter Klein (links) und Wirtschaftsförderer Axel Blochwitz vor dem Leuco-Gelände in der Stadionstraße. Bilder: Kuball

In der großen Produktionshalle rattern keine Maschinen mehr. Kein Mann im blauen Anton ist zu sehen, der schwitzend Präzisionswerkzeuge herstellt, für die Leuco so berühmt geworden ist. Die Kantine und die Büros sind verwaist. Die Zeit ist stehengeblieben, im wörtlichen Sinne: Die Uhren ticken den Mitarbeitern nicht mehr den Stundentakt vor. Stattdessen herrscht gespenstische Ruhe.

Doch die wird unterbrochen durch das Lachen von Axel Blochwitz. Horbs Wirtschaftsförderer stapft mit Horbs Stadtplaner Peter Klein und der SÜDWEST PRESSE durch das Leuco-Gebäude. Es gleicht einem Labyrinth. Seit der Gründung vor 64 Jahren wuchs das Unternehmen stetig. Wurde der Platz in der Stadionstraße mal immer wieder zu eng, wurde flux ein weiterer Trakt an- oder aufgebaut. Zum Schluss umfasste der Komplex fast das ganze 6000 Quadratmeter große Gelände: Die Produktion, die Warenanlieferung, das Versenden der fertigen Produkte glich einem emsigen Bienenstock. Ganz zu schweigen von den Bürokräften, die Verwaltung, die dafür sorgten, dass die Werkzeuge in die ganze Welt verkauft wurden.

Abriss oder Erhalt?

Das alles ist Geschichte, das Leuco-Gebäude in der Horber Weststadt ist eine Industriebrache. Allerdings auf einem begehrten Stück nahe der Horber Innenstadt. In den 1990er-Jahren wurde es einfach zu eng in der Stadionstraße, Leuco platzte aus allen Nähten. Aus einem Sechs-Mann-Betrieb von 1954 ist längst ein Global Player mit über 1100 Mitarbeitern geworden. 1999 zog das Unternehmen ins Horber Industriegebiet Heiligenfeld. Blochwitz erinnert sich noch genau daran. Denn kurz nach dem offiziellen Festakt tobte Sturm Lothar über der Region. Der Wirtschaftsförderer machte tags drauf seinen Kontrollgang, welche Schäden der Orkan in Horb angerichtet hatte.

Aber beim Termin mit Horbs Wirtschaftsförderer und Stadtplaner geht es nur am Rande um die Erfolgsgeschichte von Leuco. Sie ist der Auslöser, dass die Stadt nun stolzer Besitzer des Gebäudes ist. Nachdem Leuco einen neuen Standort bezog, nutze Ceratizit als Mieter das Gelände. Doch auch dem Hartmetallproduzent wurde es zu eng in der Horber Stadionstraße, peu à peu verlagerte er seinen Sitz nach Empfingen. Ende 2011 gingen die Lichter im Leuco-Gebäude aus. Seither dämmert es im Dornröschenschlaf, doch bei den Haushaltsberatungen im Januar dieses Jahres sorgte Oberbürgermeister Peter Rosenberg für einen Überraschungscoup: Die Stadt hat nach jahrelangen Verhandlungen für einen sechsstelligen Bereich das Gelände erworben.

Daher ist Blochwitz auch im Besitz der Schlüssel, die durch das Gebäudelabyrinth führen. Wir treffen uns im Eingangsbereich, am Empfang wird immer noch darauf hingewiesen, dass Handy- und Fotoverbot herrscht. Blochwitz grinst unseren Fotografen an. „So ein Gebäude zu kaufen, kann momentan kein Fehler sein“, sagt er. Es ist ein Horber Filetstück, das enorme Möglichkeiten bietet. Vorne finden sich Bosch Rexroth und das Autohaus Kronenbitter, hinten schließt sich Wohnbebauung an. Das Gelände bietet sich als Spielwiese für Handel, Gewerbe und Wohnen an.

Die Gretchenfrage zuerst: Wird das Gebäude abgerissen oder weitergenutzt? „Es wird wahrscheinlich abgerissen“, sagt Blochwitz. Die Antwort erschließt sich beim Rundgang. Das Gebäude ist so ineinander verschachtelt, dass separate Nutzungen sehr schwierig sind. Die Bürofluchten sind geräumig und hell, vom holzgetäfelten Chefzimmer, wo der bekennende Raucher Peter Schwärzel zuletzt residierte, hat man einen wundervollen Blick auf die Altstadtsilhouette von Horb. Blochwitz lässt seinen Blick schweifen. Die Räume könnten weiterhin als Büros genutzt werden, aber bei mehreren Mietern wäre es ein sehr großer Aufwand, die Strom- und Wasserkreissläufe zu trennen. Probleme würden auch die sanitären Anlagen bereiten.

Bei der großen Produktionshalle stellen sich die selben Fragen. An den Wänden winden sich Leitungen, Sicherungen und Kondensatoren, alles ist getränkt von Fabrikatmosphäre vor langer, langer Zeit. Nicht uncharmant, doch was fängt man mit den hunderten von Quadratmetern Fabrikboden an? Sind Abtrennungen möglich? „Der Bedarf für diese Größe ist nicht vorhanden. Außer als Lagerfläche, aber dafür ist es zu schade“, meint Blochwitz. Richtig schwierig wird es in den Kellerräumen, die Katakomben gleichen. Blochwitz dreht am Lichtschalter, Leere starrt einem entgegen. „Das sind Räume, wo heute keiner mehr weiß, wozu sie da waren“, kommentiert Blochwitz. Wozu sie in Zukunft dienen könnten, ist ähnlich schwierig zu beantworten. Die Waschräume sind ebenfalls im Untergeschoss. Offene Waschbecken aus Stein, die Stadtplaner Klein an seine Bundeswehrzeit erinnern. Aber oh Wunder, der Föhn funktioniert immer noch.

Das Gebäude lebt in gewisser Weise weiter. Der Fahrstuhl ist zwar außer Betrieb, doch Blochwitz hat ihn schon in einem anderen Stockwert wiedergefunden. „Die Stromverteilung ist völlig überdimensioniert“, sagt Blochwitz. Der Ölverbrauch steht dem in nichts nach. 20 000 Liter Heizöl schluckt das Gebäude im Leerzustand. „Und wir sprechen hier nicht von 21 Grad Raumtemperatur.“

Attraktive Flächen

Die Stadt hat sich ein wertvolles Gelände rausgelassen, jetzt muss sie überlegen, was sie damit anfängt. Herr Klein, geht einem als Stadtplaner nicht das Herz auf bei so einem Projekt? „Von der Fläche her sicher“, sagt Klein, „aber es ist sehr verwinkelt und über 30 Jahre alt.“ Normalerweise würde die Stadt einen Bestand lieber erhalten, als abzubrechen. Klein erinnert an gelungene Sanierungen wie das Kraftwerk in Rottweil oder das Kasernengelände in Horb. Ob das allerdings im Leuco-Fall gelingt, sind Klein und Blochwitz beide skeptisch. „Es gibt bei alten Brachen einen Break-even-Point, was lohnenswerter ist: der Abriss oder der Erhalt“, meint Klein.

Das städtebauliche Planungsbüro Baldauf aus Stuttgart wurde beauftragt, Entwicklungsszenarien aufzuzeigen nach dem Tenor, wo könnte was möglich sein. Die Stadt hat beim Kasernengelände schon mit dem Büro zusammengearbeitet und gute Erfahrungen gemacht. Blochwitz schätzt, dass die ersten Ergebnisse 2019 im Gemeinderat diskutiert werden können. Dieser hat sich einstimmig hinter den Kauf des Leuco-Geländes gestellt. Durch die Geschosslage und eingekesselt zwischen Gewerbe und Wohnlage ist nicht überall alles möglich. Aber alles ist theoretisch möglich.

Im Leuco-Gebäude wurde Waren produziert und neue Werkstoffe getestet. Davon zeugen Ölschlieren auf dem Boden.

Im Leuco-Gebäude wurde Waren produziert und neue Werkstoffe getestet. Davon zeugen Ölschlieren auf dem Boden.

Die Nottreppe hat den Charme vergangener Jahrzehnte.

Die Nottreppe hat den Charme vergangener Jahrzehnte.

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Erstellt:
14.09.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 57sec
zuletzt aktualisiert: 14.09.2018, 01:00 Uhr

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