Kein Brüderchen für Claude
Starker Nachwuchs, keine Prominenz: Bilanz der 31. Französischen Filmtage
Die Französischen Filmtage sind schon wieder vorbei? Wie man's nimmt. Offiziell ist die 31. Ausgabe des Festivals seit Mittwochabend Geschichte. In den hiesigen Kinos geht es aber munter weiter mit Filmstoff à la française.
So startet am Donnerstag im Kino Atelier das Sozialdrama "Zwei Tage, eine Nacht" mit Topstar Marion Cotillard, das viele Kritiker für den besten französisch(sprachig)en Film des Jahres halten, das wegen des zeitgleichen Deutschland-Starts aber nicht auf dem Filmtage-Spielplan stand. Und dann zieht weiterhin, mittlerweile in der 15. Woche, "Monsieur Claude" seine Kreise. Deutschlandweit hat die Salonrassisten-Komödie schon dreieinhalb Millionen Zuschauer ins Kino gelockt – mehr als jeder Hollywoodfilm der Saison.
Profitiert haben die Filmtage von diesem Zugpferd offenbar nicht. Nach vorläufiger Schätzung ist die Zahl der Zuschauer leicht zurückgegangen. Das kann nicht zu beeinflussende Gründe haben wie den erneuten Ausbruch des Spätsommers am langen Wochenende. Auch fehlte auf dem Spielplan ein echter Publikumsrenner, der den großen Museumssaal ein oder zwei mal komplett gefüllt hätte.
Ein bisschen könnte es auch damit zu tun haben, dass die Aufbruchstimmung, die das Festival nach dem Amtsantritt von Christopher Buchholz vor vier Jahren erfasst hat, etwas abgeebbt ist. War es Buchholz anfangs noch gelungen, wirklich wichtige französische Filmemacher – Bruno Dumont, Olivier Assayas – nach Tübingen zu holen, so herrscht in dieser Hinsicht neuerdings Flaute. Fast nur Nachwuchsregisseure auf der Gästeliste – das ist für das größte frankophone Filmfest Deutschlands eigentlich zu wenig.
Auch erscheint das Festivalkonzept teilweise arg beliebig. Eine Reihe über indigenes Kino in Kanada kann man sich schenken, wenn sie nicht kuratorisch aufbereitet oder wenigstens ein fachkundiger Gast eingeladen wird. Und wenn man einem kaum bekannten Regisseur wie François Dupeyron eine Werkschau widmet, muss man dem Publikum auch vorab vermitteln, warum – ein Aufsatz hinten im Katalog reicht dafür nicht. Vielleicht wäre Alain Resnais, der im März verstorbene Groß- und Altmeister des französischen Kinos, ohnehin die bessere Retro-Wahl gewesen.
Doch natürlich hatten die 31. Französischen Filmtage auch etliche Höhepunkte. Zum Auftakt den nicht gerade leicht bekömmlichen Dschihad-Film "Timbuktu" zu zeigen, war angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage eine mutige und richtige Entscheidung – zumal dessen mauretanischer Regisseur Abderrahmane Sissako viele interessante Hintergrund-Informationen beisteuern konnte.
Überhaupt zog sich Weltpolitik (und ihre Folgen) – Flüchtlingsschicksale, Kriege und Bürgerkriege, die Militarisierung der Gesellschaft – wie ein roter Faden durchs Festivalprogramm. Vorreiter dieser Re-Politisierung ist das junge französische Kino, das sich diesmal von seiner ganz starken Seite zeigte. Überraschend oft verband sich in den Werken der Nachwuchskräfte das Gespür für gesellschaftliche Strömungen und Unterströmungen mit hoher filmischer Kompetenz.
Allerdings liefen viele Filme, die ihrem Thema oder der Machart nach etwas sperrig klangen, oft vor nur einer Handvoll Zuschauer. Da darf man auch mal das Tübinger Publikum rügen, dessen Entdeckerlust, ohne die ein Filmfestival verloren ist, schon mal größer war.