Musik

„Surfen, wenn die Welle hoch ist“

Zwischen Studio, Bühne und Hollywood: Der Pianist und Komponist Hauschka ist in vielen Welten unterwegs. Seine Oscar-Nominierung hat ihm weitere Türen geöffnet.

07.02.2019

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Komponieren bedeutet, neue Ansätze zu finden: Volker Bertelmann alias Hauschka. Foto: Gregor Hohenberg/Sony Classical

Komponieren bedeutet, neue Ansätze zu finden: Volker Bertelmann alias Hauschka. Foto: Gregor Hohenberg/Sony Classical

Köln. Vor zwei Jahren war Volker Bertelmann alias Hauschka (52) für den Oscar nominiert, für seine mit Dustin O'Halloran geschriebenen Soundtrack zu „Lion“. Seitdem kann sich der deutsche Pianist und Komponist vor Film-Aufträgen kaum mehr retten – und das will er auch gar nicht, wie er im Gespräch beim Filmfest in Gent erzählte, wo er für einen World Soundtrack Award nominiert war und ein Konzert gab. Aber Hollywood ist nicht alles, und so bringt Hauschka jetzt auch ein neues Solo-Album heraus: seine erste Platte, für die er auf seine Spezialität, die klangliche Präparation des Klavier, verzichtet hat.

Ihr neues Album heißt „A Different Forest“. Der deutsche Wald ist metaphorisch ein äußerst bedeutsames Gelände?.?.?.

Hauschka: Ja, und er hat auch eine sehr schwierige Seite als Metapher – er wird oft mit einem überzogenen Heimatbild aufgeladen. Mit geht es nicht darum, den deutschen Wald zu überhöhen, sondern um den Bezug von innerer und äußerer Welt. Ich beschäftige mich mit dem Wald als Naturraum und Kontrast zum städtischen Alltag. Im Wald kann der Mensch zu sich selbst kommen und sich zugleich als Teil von etwas Größerem empfinden.

Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen dem Wandern und dem Kompositionsprozess?

Wandern ist eine Möglichkeit, wie Waldläufe oder Sport, sich vom eigentlichen Dasein loszulösen, ohne Pläne oder Ziele zu haben – vielleicht abgesehen von der Hütte am Ende des Wegs, wo man ein Schinkenbrötchen kriegt (lacht). Komponieren bedeutet für mich, neue Ansätze zu finden, so wie man beim Wandern immer wieder neue Aussichten vor Augen hat. Ich bin keiner, der sich an den Rhein setzt und Musik macht, die so klingt wie der Fluss. Das war einst eine tolle Idee, aber für mich ist es spannend herauszufinden: Wie kann ich meine Innenwelt in Verbindung setzen zu meiner musikalischen Welt? Ich schreibe zuerst viele Begriffe auf, die mir in dem Zusammenhang etwas bedeuten, dann beginnt ein Selektionsprozess. Und dazu mache ich dann auch intuitiv Musik.

An Studioalben kam man endlos tüfteln, Filme haben Deadlines, der Komponst hat nur wenige Wochen. Wie leicht fällt Ihnen der Wechsel zwischen den beiden Welten?

Es sind zwei völlig unterschiedliche Arbeitsprozesse. Und zwei völlig verschiedene Jobs. Aber wenn man ein Gefühl entwickelt für das, was gerade gebraucht wird, macht das Wechseln enorm viel Spaß. Die Plattenproduktion ist die freieste Form, weil man auf sich allein zurückgeworfen ist – daher aber auch sehr schwierig.

Ihre Klangpalette ist durch die Filmarbeit breiter geworden: vom Klavier zum Orchester. „A Different Forest“ ist nun ein reines Klavieralbum – sogar ohne Präparation.

Es ist eine Reaktion darauf, dass ich in zwölf Jahren zwölf Platten mit präpariertem Klavier gemacht habe und merke, dass es an der Zeit ist, das Instrument für mich neu zu definieren. Es ist ein Risiko, weil ich gewisse Hilfsmittel, all diese Sounds, nicht mehr habe. Wenn ich das live spiele, ist auch die Frage: Hat das genug Potenzial? Es geht tatsächlich um Substanz: der Musik und von einem selbst. Es wirft mich auf den Punkt zurück: Will ich noch Platten machen oder habe ich schon alles gesagt? Die Antwort darauf ist, in Bewegung zu bleiben, sich zu erweitern, etwas zu wagen.

Gibt es Wechselwirkungen zwischen Ihrer Arbeit an Alben, als Live-Künstler und als Filmkomponist?

Es ist ein ständiger gegenseitiger Befruchtungs-Prozess, und der ist wichtig. In Live-Konzerten bekommt man immer sofort eine Rückmeldung auf das, was man spielt. Aber wenn man an einem Film arbeitet, steckt man in einem Tunnel. Man sitzt den ganzen Tag im Studio, am nächsten Tag bekommt man vielleicht ein Feedback, und es heißt: Ja, grundsätzlich ist das ganz schön, aber da müssen die Geigen weg, dort muss das weg – und plötzlich ist nichts mehr da, und man muss wieder von vorn anfangen. Dann hilft mir meine Erfahrung, wieder frisch nach Ideen zu suchen und mir selbst zu sagen: Das wird schon wieder. Umgekehrt hat mich auch die Soundtrack-Arbeit mit konkreten Formen und mit Orchestern zu dem Schritt gebracht, ausformulierte Klaviermusik zu schreiben, die ich dann auch genauso nach Noten live performe.

Ihre Oscar-Nominierung war ein Türöffner in Richtung Hollywood. Haben Sie zumindest kurz gezögert, durch diese Tür zu gehen?

Nee, nicht eine Sekunde. Ich habe das als unglaubliches Glück empfunden. In Deutschland hat Filmmusik meist einen geringeren Stellenwert, oft ist nicht das Geld für eine richtige Orchestermusik da, und die Arbeitsbedingungen sind nicht immer ideal. Bei „Lion“ war die Musik von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Films, der Regisseur kannte alle unsere Platten – man fühlte sich gleich umschlungen, die Musik durfte komplette Szenen tragen. Aus dieser Perspektive, aus diesem Selbstbewusstsein heraus, kann ich jetzt auch in Deutschland Filme anders angehen. Das hat eigentlich nichts mit dem Budget zu tun, sondern ich lese ein Drehbuch, rede mit den Machern und merke: Das geht in die richtige Richtung oder eben nicht.

Suchen Sie Ihre Filme nach inhaltlichen oder musikalischen Kriterien aus? Oder nach dem Regisseur?

Das kann alles eine Rolle spielen. Es ist eine Frage der Kommunikation, des Stoffes und der Zeit. Es geht auch gar nicht darum, die Musik in den Vordergrund zu stellen, sondern dass sie mit dem Film eine gute Verbindung eingeht. Ich hab meinen Job vielleicht gut gemacht, wenn man meine Musik gar nicht zu sehr wahrnimmt – aber doch etwas vermisst, wenn sie weg ist.

Sie haben kein Ego-Problem, wenn Sie sich als Filmmusik-Komponist anpassen, unterordnen müssen?

Ganz und gar nicht. Weil es auch eine enorme Chance ist. Meine Filmkarriere hat eigentlich erst sehr spät begonnen, und ich empfinde das gerade als etwas sehr Befriedigendes.

Wie gehen Sie mit der Verführung um, jetzt Film nach Film nach Film machen zu können?

Ich mache Film nach Film nach Film (lacht). Es macht total Spaß! Man muss surfen, wenn die Welle hoch ist. Ich lerne dabei auch unglaublich viel. Zum Beispiel „Patrick Melrose“: Ich hatte davor noch nie eine Serie vertont, und als ich gehört hatte, dass Benedict Cumberbatch die Hauptrolle spielt, hatte ich Riesenlust, das zu machen. Es geht nicht nur um den Star oder den Stoff, sondern auch ums Gefühl, dass es einen Nachhall gibt von dem, was du tust.

Sie haben keine Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden?

Nein, es sieht auch nicht danach aus. Ich denke eher über die Frage nach, was passiert, wenn es mit den Angeboten so weitergeht. Irgendwann muss man sich dann nach seinen Prioritäten fragen. Andererseits hätte ich keine Berührungsängste mit einem Marvel-Film. Oder mit einem Animationsfilm – das würde mich sehr reizen. Dabei geht es nicht darum, dass das die ganz großen Sachen sind, sondern es wäre eine interessante handwerkliche Herausforderung. Man wächst ja peu à peu rein, lernt die Abläufe in der Filmproduktion besser kennen und weiß, wann man aufgeregt sein muss und wann nicht.

Wann muss man aufgeregt sein?

Wenn die Deadline nahe ist und man noch keinen Orchester-Aufnahmetermin hat, dann bekomme ich Schnappatmung.

Hauschkas neues Studio-Album. Foto: Sony Classical

Hauschkas neues Studio-Album. Foto: Sony Classical

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Erstellt:
07.02.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 41sec
zuletzt aktualisiert: 07.02.2019, 06:00 Uhr

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