Tanzlehrerein Anne Albrecht (Tanzschule Gayer, Horb)

Tanzen lernen wie in Videoclips

Videoclip-Tanzen boomt: Immer mehr Jugendliche wollen posen können wie Popstars. In der Horber Tanzschule Gayer zeigt ihnen das Anne Albrecht. Ein Besuch bei einer, die sich Schritte, Moves und Drehungen zum Beruf gemacht hat.

21.04.2018

Von Kathrin Löffler

Das könnte Rihanna auch nicht besser: Anne Albrecht und ihre Videodance-Schüler in Horb. Bilder: Kuball

Das könnte Rihanna auch nicht besser: Anne Albrecht und ihre Videodance-Schüler in Horb. Bilder: Kuball

Morgens um 7 schnürt sich Anne Albrecht die Satinbänder um die Spitzenschuhe. Ihr Arbeitstags beginnt mit Ballett. Warm-Up, Stretching, Kräftigung, Pliés. Nach dem Ballettunterricht folgt der Jazz-Dance-Unterricht. Nach dem Jazz-Dance-Unterricht folgt der Modern-Dance-Unterricht, und so weiter, je nach Stundenplan, acht Stunden dreht und schreitet und springt Anne Albrecht täglich. Zwischendurch schiebt sie sich ein selbstgemixtes Müsli in den Magen, mit Körnern und Samen, auf gar keinen Fall ein fertig Gekauftes mit all dem Zucker und den Zusatzstoffen drin. „Ernährung ist superwichtig“, sagt die professionelle Tänzerin. Nudeln hat sie schon lange aufgegeben.

Anne Albrecht, 22, studiert Tanz an der Akademie Minkov, einem privaten Berufskolleg in Winnenden. Zehn Stunden nach Arbeitsbeginn steht sie in einem anderen Tanzsaal vor einem aufgekratzten Kinderrudel, 90 Kilometer weiter südwestlich. Die Wände sind orange, die Kugellampen auch, die Polster der Sitzecken bunt kariert, dazwischen hängen Obst-Stillleben vor mediterraner Kulisse. Die Mädchen stülpen sich pinke Sneakers über die Füße, T-Shirts glitzern, zwei, drei Jungs sind auch dabei. Albrecht startet die Musikanlage, Alma fängt zu den Beats von Martin Solveig an zu singen. „We all stars, we are one. We light up the night like a black sun.“ Alma ist eine angesagte Popsängerin mit gelben Haaren, Martin Solveig ein DJ. Anne Albrecht macht dazu Kreuzschritte und Hüpfer vor und erklärt den Neun- bis Elfjährigen, wie sie sich mit Armen und Beinen zu einer einzigen Kollektivpose ineinanderwursteln können. So, dass es lässig aussieht.

Nach ihrem eigenen täglichen Tanzpensum an der Akademie gibt sie abends noch vier Stunden Tanztraining an der Horber Tanzschule Gayer. Wiener Walzer und Tango gehören nicht dazu. Albrecht betreut seit zwei Jahren den Bereich Videodance. Sie bringt Kindern und Teenies bei, sich zu bewegen wie die Menschen in Musikvideos.

Traumberuf Tänzer: Das klingt nach Flitter, nach Lifestyle, nach coolen Menschen in coolen Klamotten auf den großen Bühnen dieser Welt. Bei Anne Albrecht klingt es: grundsolide. Und diszipliniert bis ins Blut.

Albrecht stammt aus Tuttlingen. Nach dem Abi wollte sie eigentlich Medizin studieren. Absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr. Jobbte nebenher in einer Tanzschule, übernahm als Krankheitsvertretung erste Kurse, rutsche „irgendwie so hinein“, absolvierte schließlich eine Tanzlehrerausbildung. Jetzt, als Akademie-Studentin in Winnenden und Tanzlehrerin im Neckartal ist ihr Leben durchgetaktet. Sie arbeitet an sechs Tagen in der Woche. Das Pendeln, das viele Training, das schlägt sich aufs Privatleben nieder. So häufig feiern wie früher geht sie nicht mehr. Musik höre sie ja ohnehin die ganze Zeit. Und Kompensation wäre unmöglich: „Lange ausschlafen ist nicht.“ Ein großer Teil ihrer Freunde sind Tänzerfreunde, die einen ähnlichen Lebensstil pflegen. „Der Job wäre nicht machbar, wenn man ihn nicht liebte“, sagt Albrecht. Die Aussteigerquote unter Studierenden im Tanzbereich ist hoch.

Wäre es da keine Alternative, sich nur auf die eigene Tanzkarriere zu konzentrieren – und die Trainersache bleiben zu lassen? Für Albrecht nicht. Das hat zum einen Vernunftgründe: „Als reiner Tänzer muss man schon verdammt gut sein und von Auftritt zu Auftritt hetzen. Sobald ich Kurse gebe, ist Tanzen kein unsicherer Job mehr.“ Zum anderen ist es auch eine Frage der Passion: „Als Trainerin kann ich ganz viele Ideen umsetzen.“

Albrechts jüngste Idee ist die Parodie eines Tanztrainings. Ein Tänzer legt sich absichtlich auf die Schnauze, andere machen perfekt unperfekte Schritte: Um dieses Thema herum hat sie mit ihrer Wettkampfgruppe eine Choreografie gebastelt, Musik aus dem Film „Lala-Land“ und von Katy Perry ausgewählt, die Musik geschnitten. Am 5. Mai zeigt sich, ob diese Idee auch Preisrichtern gefällt: Dann kommt „Dance4Fans“ in die Hohenberghalle, die Deutsche Meisterschaft im Streetstyle und Videocliptanzen. Die Tanzschule Gayer ist Ausrichter. Noch nie fand dieses Turnier in Horb statt. 800 Tänzer haben sich schon angemeldet.

Albrecht trainiert zwei Contestgruppen, das „A-Team“ aus Tuttlingen und die Horber „Rhythm Attac“. Mit letzteren war sie schon Drittplatzierte bei der Europameisterschaft. Beide kennen sich von gemeinsamen Trainingslagern. Am Anfang hätten sie sich mit ein bisschen Konkurrenzdenken beäugt, jetzt übten sie gemeinsam auf das Wettkampfhighlight in Horb hin.

Tanzen sei gerade „mega im Wandel“, sagt Albrecht. Es gebe Trendmoves, manche entstünden auf Parties, aus Spaß, die Kids hielten sich über Instagram und Musik auf dem Laufenden. Und eigentlich gebe es keine Grenzen, was Tänzer beim Streetdance zeigen können. Macht das die Bewertung nicht ein wenig willkürlich, wenn jeder herumposieren kann, wie er möchte? Albrecht sagt, nein. „Die Qualität eines Tänzers kann man prinzipiell immer erkennen.“ Außerdem gibt es bei Dance4Fans Kriterien: Takt, Präsentation, Komposition.

Albrecht selbst holt sich die Inspiration für ihre Choreografien am liebsten vor Ort. Und wenn sie davon erzählt, klingt ihr Job eben doch nach Flitter, nach Lifestyle, nach coolen Menschen in coolen Klamotten auf den großen Bühnen dieser Welt: „Ich schaue, dass ich regelmäßig in Berlin bin“, sagt sie, während sie in Sneakers, Jogginghose und Top mit „Stay classy“-Print in einer Horber Sitzecke hockt, und: „Mit der Akademie haben wir erst eine Studienfahrt nach Paris gemacht.“

Zwei Jahre lässt sich Albrecht an der Akademie Minkov noch ausbilden. Solange möchte sie herausfinden, was einmal ihr tänzerisches Steckenpferd sein soll: Jazz, Ballett, Urban Hip-Hop, etwas anderes. Was sie kurzfristig möchte, weiß sie schon: Wieder häufiger selbst an Wettkämpfen teilnehmen. Öfters als Wertungsrichterin arbeiten. Und den Videodance-Bereich in der Tanzschule Gayer weiter ausbauen. 13 Gruppen trainiert sie bereits, an den verschiedenen Standorten in Tuttlingen, Oberndorf, Rottenburg und Horb. Im September kommt ein weiterer Videodance-Kurs dazu – allerdings nicht für ein junges Publikum. Albrecht: „Die Eltern sagen alle: Das ist so cool, was meine Kinder da machen, das will ich auch.“

Tanzen heißt auch tüfteln: über Musik und Choreografie.

Tanzen heißt auch tüfteln: über Musik und Choreografie.

Die Deutsche Meisterschaft von „Dance4Fans“ und Streetstyle ist am Samstag, 5. Mai, von 8 bis 23 Uhr in der Horber Hohenberghalle. Es gibt Solo- und Gruppenwettbewerbe. Tickets gibt es unter tanzschule-gayer.de oder der Telefonnummer 07454/3883.

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21.04.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 21.04.2018, 01:00 Uhr

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