Frau im Drogenkrieg

Tatiana Huezo präsentiert beim Cinelatino ihre Doku „Tempestad“

Eine willkürliche Verhaftung, eine Busreise quer durch Mexiko und die Stimme einer Frau: Im Dokumentarfilm „Tempestad“ kommt die Gewalt aus dem Off. „Ich will Gewalt nicht illustrieren“, sagte Regisseurin Tatiana Huezo im TAGBLATT-Gespräch.

18.04.2016

Zeigen, was die einzelnen Menschen durchmachen: Tatiana Huezo.Bild: Metz

Zeigen, was die einzelnen Menschen durchmachen: Tatiana Huezo.Bild: Metz

Tübingen. Wie Josef K. in Kafkas „Prozess“ wird Miriam Carvajal von ihrer Arbeitsstelle im Flughafen von Cancún weg verhaftet. Was nach schwarzer Absurdität klingt, ist im heutigen Mexiko alltäglich geworden. „Pagadores“ heißen Leute wie Miriam, erfährt man in der beklemmenden Doku „Tempestad“: Sie bezahlen für die Verbrechen anderer.

Im Film hört man Miriam das angeblich selbstverwaltete Gefängnis in Nordmexiko beschreiben, in das sie gebracht wird, wo sie (oder ihre Familie) immer wieder zahlen muss, um nicht getötet zu werden. „In Mexiko gibt es nur staatliche Gefängnisse“, erläutert Regisseurin Tatiana Huezo. Selbstverwaltet bedeute, dass ein Knast von einem Drogenkartell kontrolliert wird. „Die Grenzen zwischen dem organisierten Verbrechen und dem Staat sind völlig ausgelöscht.“

Die Protagonistin gibt dem Film nur ihre Stimme. Ihr Gesicht bleibt verborgen. „Es war eine formale Entscheidung, die Stimme nicht einem bestimmten Gesicht zuzuordnen“, sagt Huezo. Die beabsichtigte Wirkung auf den Zuschauer: „Jedes der Gesichter könnte diese Frau sein.“ Sicherheitserwägungen spielten keine Rolle, sagt die Filmemacherin: „Anonymität macht die Leute noch schutzloser.“ Ungewöhnlich an Miriams Geschichte ist, dass sie aus dem Knast wieder herauskommt. „Viele bleiben auf unabsehbare Zeit in diesen Gefängnissen“, sagt Huezo. Die Busreise der Protagonistin vom Knast in Matamoros zurück nach Cancún wird zum Rahmen für ein Roadmovie durch ganz Mexiko.

Die bestechend komponierten Aufnahmen sind wie die Stimme der Frau ein starker Kontrast zu der Grausamkeit, deren Zeugin sie wird. Diese Stilmittel hat Huezo schon in ihrem herausragenden Dokumentarfilm „El lugar más pequeño“ eingesetzt, der 2012 den Cinelatino-Publikumspreis erhielt. Bebildern will sie die Gewalt nicht. „Davon sieht man schon genug im Fernsehen.“

Seit 2007 hat der Drogenkrieg in Mexiko 100 000 Tote gefordert. Etwa 30 000 Menschen sind verschwunden. „Wir wurden daran gewöhnt, die Situation nur noch in Ziffern und Zahlen wahrzunehmen“, sagt Huezo. „Der Film führt zurück zu dem, was die einzelnen Menschen durchmachen.“dhe

(Dolmetscherin: Irene Jung)

Info Die Doku „Tempestad“ aus Mexiko läuft am Dienstag um 20.30 Uhr im Kino Museum. Englische Untertitel. Regisseurin anwesend.