Nordstetten/Rottweil · Justiz

Textilfasern und DNA analysiert

Zwei Sachverständige legten gestern am Rottweiler Landgericht ihre Gutachten im Fall des ermordeten Nordstetters Michael Riecher vor.

12.09.2019

Von Manuel Fuchs

Am Landgericht Rottweil ging der Prozess gegen zwei Angeklagte weiter, die den Nordstetter Immobilienunternehmer Michael Riecher getötet haben sollen. Bild: Manuel Fuchs

Am Landgericht Rottweil ging der Prozess gegen zwei Angeklagte weiter, die den Nordstetter Immobilienunternehmer Michael Riecher getötet haben sollen. Bild: Manuel Fuchs

Zunächst hatte die LKA-Sachverständige für Textil- und Faserspuren das Wort. Mehrere Asservate aus dem Besitz des Tatopfers und der beiden Angeklagten habe sie auf sogenannte Kontaktspuren untersucht beziehungsweise von ihren Mitarbeitern untersuchen lassen: Wenn zwei Textilien miteinander in Berührung kommen, sind regelmäßig Faserspuren des einen Stücks auf dem anderen zu finden. Je charakteristischer gefundene Fasern sind, desto sicherer lassen sich Aussagen ableiten, erklärte die Sachverständige. Als Gegenbeispiel nannte sie indigoblaue Baumwollfasern; diese seien in Jeansstoffen weit verbreitet und wenig charakteristisch.

Vier der untersuchten Asservate wurden priorisiert: ein hellblaues Baumwoll-Oberhemd, welches in einem Baumstumpf in der Scheune des ersten Angeklagten gefunden worden war. Weiterhin standen die Jeans, die das Tatopfer am fraglichen Abend getragen haben soll, sowie eine Art Unterhemd des ersten Angeklagten – die Sachverständige bezeichnete es als „Leibchen“ – und ein paar knöchelhohe Turnschuhe, die auf Basis der Molekularanalyse dem zweiten Angeklagten zugeordnet worden waren, im Fokus.

An den weiteren Asservaten (Unterhemd, Unterhose, Socken und Fingernagelabschnitte des Tatopfers; Sporthose, Parkajacke und Sweatshirt des ersten Angeklagten) waren keine verwertbaren Faserspuren gefunden worden, beziehungsweise sie waren nicht untersucht worden.

Im Verlauf der Analyse kristallisierten sich zwei Fasertypen heraus: blaue Polyacrylfasern, die höchstwahrscheinlich von besagtem Leibchen stammten, sowie Rauhlederfibrillen, von einem Besatz im Knöchelbereich der Turnschuhe stammen könnten. Sechs Antragungen der blauen Polyacrylfasern waren am Oberhemd des Tatopfers gefunden worden, sechs Antragungen von Rauhlederfibrillen auf der Jeans, eine weitere am Oberhemd.

Die Sachverständige schilderte einen Test, um die Menge der gefundenen Faserspuren in Relation setzen zu können: Das Leibchen sei zweimal auf einem 40 mal 40 Zentimeter großen Baumwolltuch in einer S-förmigen Linie mit mittlerem Druck gerieben worden. Dabei wurden im Schnitt etwa 100 Faserspuren auf das Baumwolltuch übertragen. Auch wenn die Zahl der gefunden Spuren deutlich niedriger sei, seien sie „mit hinreichender Sicherheit den Spurengebern“ zuzuordnen, sagte die Sachverständige. „Wir halten diese 13 Spuren, die wir da haben, nicht für zufällig.“

Gleichwohl spreche das Spurenbild bestenfalls für einen kurzen, oberflächlichen und punktuellen direkten Kontakt, oder für einen indirekten mit Körperteilen oder anderen Kleidungsstücken als Mittler. Außerdem räumte die Sachverständige ein, dass Faserspuren flüchtig seien und möglicherweise unmittelbar nach der Tat mehr davon nachzuweisen gewesen wären.

In Frageform verpackte Suggestionen des Verteidigers Dr. Kubik, welche Annahmen nun auf Basis der Faseranalyse auszuschließen seien, bremste der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer ein: „‚Können Sie ausschließen ...?‘ ist in einer empirischen Wissenschaft unmöglich zu beantworten“, stellte der Richter fest. Er hätte die Frage beanstanden müssen, aber sie sei bereits beantwortet, sagte Münzer in einem entschuldigenden Tonfall.

Nur wenige Gen-Spuren

Es folgte die Darstellung der DNA-Analyse durch eine Molekularbiologin, die ebenfalls als Sachverständige für das LKA tätig ist: An und in einem am Tatort gefundenen Trinkglas waren Blut- und Speichelspuren des Tatopfers sowie, an der Außenfläche, Hautabrieb des zweiten Angeklagten gefunden worden. Das gefundene genetische Material stamme mit hoher Wahrscheinlichkeit von den genannten Personen, sagte die Sachverständige. Sie bezifferte die Wahrscheinlichkeit für das Tatopfer mit 1:560 Trilliarden; für den zweiten Angeklagten immer noch mit 1:160 Milliarden. Die zweite Zahl bedeutet: Man benötigt im Durchschnitt mehr als das 20-fache der Weltbevölkerung (7,6 Mrd), um eine zweite Person zu finden, die diese Spur ebenfalls verursacht haben könnte. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es diese zweite Person bereits irgendwo gibt, vielleicht sogar in der Umgebung von Horb.

Die Blutspuren am gefundenen Oberhemd deuteten wiederum mit 1:560 Trilliarden auf das Tatopfer hin. An dessen Knopfleiste waren außerdem DNA-Spuren gefunden worden, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:80 Milliarden vom zweiten Angeklagten stammen. Die Sachverständige erklärte, man habe die Abriebe von allen acht Knöpfen zusammen analysiert. Damit habe man die Zuordnung zu einzelnen Knöpfen verloren, aber die Wahrscheinlichkeit erhöht, Genmaterial in hinreichender Menge zu erhalten.

Dass am Tatort DNA-Spuren des ersten Angeklagten gefunden wurden, war keine Überraschung. Schließlich war er ein Vertrauter des Tatopfers und häufig in dessen Wohnung zu Gast. Auch die Analysen der Spuren aus dem Wohnhaus des ersten Angeklagten und seinem Auto brachten kaum weiterführende Erkenntnisse. Derjenige allerdings, der die beiden Angeklagten miteinander bekannt gemacht haben und aus den kriminellen Plänen ausgestiegen sein soll, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit unlängst auf dem rechten Rücksitz des Fahrzeugs gesessen; entsprechende DNA wurde dort gefunden.

Zum Abschluss des gestrigen Verhandlungstages bekam Gerichtsmediziner Prof. Dr. Frank Wehner Gelegenheit, den errechneten Todeszeitpunkt Michael Riechers aufgrund im Prozess gewonnener Erkenntnisse zu berichtigen. Er sagte jedoch aus, dass sich für den frühestmöglichen Todeszeitpunkt keine Änderung ergebe, weil dieser nicht durch die Temperaturmessungen, sondern durch die Charakteristik der Leichenflecken bestimmt sei. Deshalb falle es nicht ins Gewicht, dass die Leiche – anders als zunächst angenommen – über mehr als 80 Prozent der Zeit zwischen dem errechneten frühestmöglichen Todeszeitpunkt und der Temperaturmessung eine Hose getragen habe.

Das Urteil in diesem Prozess wird am 28. Oktober erwartet, bis dahin sind noch sechs Verhandlungstage vorgesehen. Richter Münzer kündigte allerdings an , einen zusätzlichen Verhandlungstag anberaumen zu wollen.