Kreis Freudenstadt · Nationalpark

Tieren fehlt die nötige Ruhe

Die Natur vor der Haustür gewann in der Coronakrise an Bedeutung. Aber der Artenschutz benötigt auch jetzt Rücksicht und Zurückhaltung.

29.05.2020

Von NC

Nationalparkranger sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Bild: Daniel Müller (Nationalpark Schwarzwald)

Nationalparkranger sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Bild: Daniel Müller (Nationalpark Schwarzwald)

Der Frühling geht langsam in den Sommer über, die Pfingstferien stehen an. Soweit, so normal. Doch im Jahr 2020 ist nichts wie sonst. Homeschooling, Homeoffice und starke Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens lassen derzeit Nerven blank liegen. Wann Reisen ohne Auflagen wieder möglich sein wird, ist noch nicht abzusehen. Deshalb nutzen viele Menschen die Möglichkeit, wenigstens die nahegelegene Natur ausgiebig zu genießen. Das ist auch im Nationalpark zu spüren.

„Auf unseren Gebietsrundgängen merken wir, dass derzeit viele Menschen auf Ziele im Inland ausweichen“, so Patrick Stader, Leitender Ranger des Nationalparks Schwarzwald. „Es sind zwar kaum Gäste aus dem Ausland unterwegs, dafür aber eben mehr Menschen aus der Region und aus ganz Deutschland.“ Bei einigen habe er den Eindruck, dass sie normalerweise selten im Wald wandern gehen.

„Wir haben auch wegen des anhaltend guten Wetters also weiterhin ein hohes Besuchsaufkommen und müssen auch häufig auf unsere Regeln und das richtige Verhalten im Schutzgebiet hinweisen, so Stader. Dazu kämen noch die Corona-Verordnungen des Landes: Mindestabstände müssen eingehalten werden und die Gruppengröße muss den geltenden Regeln entsprechen. Meist zeigten sich die Menschen verständnisvoll, aber manchmal blieben Diskussionen nicht aus.

Für die Gesundheit sei es dabei wichtiger denn je, Natur und Wildnis positiv erleben zu können. „Gerade jetzt fühlt es sich wie ein Tapetenwechsel an, draußen in der Natur zu sein“, so Psychologin Kerstin Ensinger, die im Nationalpark Schwarzwald die sozialwissenschaftliche Forschung leitet. „Der digitalen Welt den Rücken kehren, den Blick schweifen lassen, sich von allen Sinnen berühren lassen, sich durchpusten lassen, tief durchatmen: Das sind ungemein wichtige Erlebnisse.“ Natur helfe dabei, notwendige Erholungsprozesse anzustoßen und Stress abzubauen. „Wenn wir einen Wald betreten, der schon deutlich wildere Strukturen hat, tauchen wir richtiggehend in eine andere Welt ein.“ Das lasse psychische Distanz erleben. „Wir haben das Gefühl, weg vom Alltagsgeschehen zu sein“, sagt Ensinger.

Doch die Sehnsucht des Menschen nach diesem Naturerlebnis kann – bei Fehlverhalten – einen hohen Preis für die Artenvielfalt im Nationalpark bedeuten. Marc Förschler, Leiter der naturwissenschaftlichen Forschung, registriert das hohe Besuchsaufkommen im Nationalpark Schwarzwald mit gemischten Gefühlen. „Es ist schön zu sehen, wie viele Menschen die Natur erleben wollen.“ Aber der Stress für die Tiere steige derzeit ungemein an.

Bodenbrüter wie Waldschnepfen, Auerhühner und verschiedene Pieper sind immer noch mit Brut und Aufzucht beschäftigt. „Die zahlreichen Menschen verursachen Störungen, die die Tiere nicht richtig zur Ruhe kommen lassen und mitunter sogar ihre Vermehrung gefährden“, warnt der Biologe.

Dabei seien nicht nur viele Wanderer unterwegs. E-Bikes ermöglichten es immer mehr Radfahrern, die Höhenunterschiede zu meistern und im Nationalpark unterwegs zu sein. Nachts stehen Wohnmobile auf den Parkplätzen. „So wird es für die Tiere zunehmend schwer, ein ruhiges Plätzchen zu finden.“ Das sei die Kehrseite der Medaille.

Das durch Sars-CoV-2 auf den Kopf gestellte Leben werde noch lange viel Zurückhaltung im Alltag erfordern. Gleichzeitig dürfe man aber die Bedürfnisse der Natur nicht aus dem Blick verlieren. Denn mittlerweile sei klar: „Zu einer modernen Gesundheitsfürsorge gehört auch der Schutz von Wildnis und Ökosystemen“, sagt Stader.

Das Erlebnis intakter Natur reduziere Krankheitsrisiken. „Derzeit ist es deshalb wichtiger denn je, die Regeln im Nationalpark zu beherzigen: auf den Wegen bleiben und Hunde an die Leine. Das seien die einfachsten Verhaltensregeln, um die Natur, mit dem Respekt zu behandeln, der ihr zustehe, so Patrick Stader.