Ein beschwingter Kung-Fu-Showdown. Schon jetzt der beste Ballet-Film des Jahres.

Tiger & Dragon

Ein beschwingter Kung-Fu-Showdown. Schon jetzt der beste Ballet-Film des Jahres.

24.11.2015

Von Thomas Mauch

Tiger & Dragon

Ang Lee guckt immer genau hin: In "Eat Drink Man Woman" protokollierte der Regisseur die Auflösung der taiwanesischen Familie, feinfühlig sezierte er im "Eissturm" die vagen Versprechen der sexuellen Revolution im Westen. Seine Jane Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit" berichtete von der großen Kunst englischer Landschaftsgärtner. Ob Amerika in den Siebzigern oder eine britische Teegesellschaft im späten 18.Jahrhundert: Immer ist in den Filmen von Ang Lee das Ambiente detailgenau getroffen. Der in Taiwan geborene, längst in den USA lebende Regisseur hat ein Gespür für das richtige Dekor.

Prächtig ist auch das historische China in seinem Martial-Arts-Spektakel "Tiger & Dragon" eingerichtet, das man wie einen Western sehen kann. Es braucht nur ein paar Übersetzungsarbeiten für die Augen. So etwa beim Streifzug über einen Marktplatz im Vorbeihuschen einige Kinder bei artistischen Übungen, wo in einer Western-Ballade gerade ein Hufschmied seine Arbeit verrichtet hätte. Nur unterschiedliches Lokalkolorit. Hinter dieser Tünche bewegt sich jedoch eine Mythenmaschine, die auch einen Western zum Showdown drängt: Da ist das gemächliche Tempo. Da ist das Tableau grandioser Landschaften. Die handelnden Figuren: Kämpfer. Outlaws. Sie stehen außerhalb der bürgerlichen Ordnung und durchkämpfen doch stellvertretend das mythische Ringen zwischen Gut und Böse, Verpflichtung und Nihilismus.

Selbst eine zünftige Saloon-Schlägerei hat der Film, doch mit den Kampfszenen beginnt der Vergleich natürlich mächtig zu hinken: Wo in einem Western alle Bewegung erstarrt, und der Film im Moment verharrt (also anhält), im klassischen Duell, geht es beim Kung-Fu-Kino erst richtig los.

Die atemraubende Inszenierung der Körper verdichtet Ang Lee zu einem Ballett, bei dem die Kämpfenden in schwebender Eleganz der Schwerkraft entfliehen. Sie fliegen. Hüpfen mit Leichtigkeit über Häuser hinweg. Ein Entheben aus erdschwerer Wirklichkeit, wie einst Mary Poppins über den Dächern von London. Ein Märchentraum. In der Choreografie dieser Tanz-Kämpfe spiegelt sich jedoch das Leben. Die Menschen kämpfen gegeneinander, doch man sieht es wie eine zärtliche Annäherung. Sie ringen miteinander und nehmen den Beischlaf im Tanz vorweg.

Mit "Tiger & Dragon" hat Ang Lee den Kung-Fu-Filmen seiner Kindheit ein Denkmal gesetzt. Der famose Zweikampf in den Wipfeln eines Bambuswaldes wird bestimmt in die Filmgeschichte eingehen, so wie Gene Kellys Tanz mit einer Straßenlaterne. Wahr aber ist allerdings, dass man die Musicals nicht unbedingt ihres Handlungsreichtums wegen am Herzen trägt.

Auch "Tiger & Dragon" sieht sich vor allem schön an, ohne einem mit Lebensfragen nah auf den Leib zu rücken. Zwar wird gleich zu Beginn von Erleuchtung gesprochen, um dann im Film selbst der Philosophie eher aus dem Weg zu gehen.

"Eine magische Welt, eine geheime Liebe und ein tödliches Abenteuer" verheißt das Kinoplakat und verspricht nicht zu viel. All das ist zu sehen. Es passiert beschwingt. Die epische Wucht wie in den Filmen von Zhang Yimou oder Chen Kaige aber lässt sich aus diesen großen Worten allein noch nicht zimmern.