Glatt · Baustelle

Tonnenlast schwebt über dem Fluss

Die 87 Jahre alte Brücke über die Glatt wurde am Donnerstag in einer rund fünfstündigen Aktion zerlegt. Vier Einzelteile hingen an zwei Kränen, Bagger zerkleinern die Reste des maroden Bauwerks.

10.07.2020

Von Cristina Priotto

Durchlöchert wie ein Emmentaler Käse wurde dieBrücke für die Zerlegung und zum Aufhängen.

Durchlöchert wie ein Emmentaler Käse wurde die Brücke für die Zerlegung und zum Aufhängen.

Räumlich liegen nur wenige Meter zwischen der Stelle, an der in Glatt die Brücke in der Unterdorfstraße über den Fluss führte und dem jetzigen Lagerplatz der Betonelemente. Doch was in den über fünf Stunden passierte, um das 87 Jahre alte Bauwerk dorthin abzutragen, war eine spektakuläre Aktion.

Ein Dutzend Arbeiter zerlegten die marode Brücke in vier Teile und beförderten die Steinkolosse mit Hilfe zweier gewaltiger Kräne am gestrigen Donnerstag weg vom ursprünglichen Standort.

Bevor das Team von „Di-zwo“ aus Schramberg sowie die Schmidbauer-Kranführer aus Karlsruhe und Oberndorf gegen halb neun Uhr morgens loslegen konnten, musste die Brücke in vier transportable Teile zersägt werden. An genau berechneten Stellen, an denen die vier Träger mit den Querträgern verbunden sind, waren zuvor Löcher mit 30 Zentimetern Durchmesser gebohrt worden, um die Querbefestigung zu lösen. Aus jedem Element wurden zudem jeweils acht weitere Bohrkerne entnommen, um durch diese Öffnungen später die Stahlseile der Kräne für den Transport ziehen zu können.

Am linken Ufer der Glatt stand der Kran mit einer Traglast von 160 Tonnen, auf der gegenüberliegenden Seite war das kleinere Fahrzeug platziert, das immerhin 80 Tonnen am Haken halten kann.

Hartnäckige Verbindungen

Das 1933 errichtete Bauwerk scheint sich gegen die Zerlegung zu wehren, denn beim ersten Versuch, das äußerste Element anzuheben, stellen die Arbeiter fest, dass das Brückenteil noch mit den dem Widerlager verbunden ist. Mit Presslufthämmern rücken die „Di-zwo“-Leute den Verbindungen zu Leibe. Dann geht es plötzlich ganz schnell: Die beiden Kranführer geben sich Handzeichen, spannen die Stahlseile an, diese ächzen mit einem Ruck, Betonstaub wirbelt auf – und das erste Brückenelement mit einem Gewicht von über 40 Tonnen und einer Länge von etwa 20 Metern wird bis auf eine Höhe von etwa zwei Metern angehoben. Mehrmals müssen die Männer die Position der Stahlseile nachjustieren, damit der Schwerpunkt genau in der Mitte zwischen beiden Kränen liegt. Anschließend löst die „Di-zwo“-Crew die Stahlseile des kleineren Krans und hängt die Befestigungen des größeren Krans ein – nun muss das große Fahrzeug kurzzeitig die volle Traglast schultern. Der Kranführer schwenkt den 30 Meter langen Ausleger nach rechts, vier Arbeiter unterstützen das Manövrieren des Brückenbauteils mit den Händen. Das fast 90 Jahre alte Betonteil wird langsam herabgelassen und kommt mit einem lauten Knirschen auf der Schotterfläche auf der Wiese neben dem Ortseingangsschild zum Liegen.

Bauleiter Frank Dieterle ist zufrieden: „Wir machen sowas öfters“, sagt der „Di-zwo“-Chef lässig, macht aber dann doch ein paar Fotos mit dem Smartphone
– dies ist eben selbst für die Profis kein alltäglicher Einsatz.

Für die Männer mit den Bauhelmen beginnt die Prozedur mit dem zweiten Brückenstück von Neuem. Doch nachdem das nächste Teil mit Stahlseilen befestigt ist und die Kranführer den tonnenschweren Koloss in die Höhe ziehen, bleibt das Betonelement an einer Seite hängen. Mit drei Presslufthämmern entfernen die Arbeiter die Befestigung vom Auflegepunkt. Die Kranführer haben solange Pause, der eine packt ein Wurstbrot aus, der andere nippt an einem Kaffee – Zeit überbrücken ist angesagt, während auf der Brücke geschuftet wird.

Als Kontrast zur Tonnenlast und dem Zeitdruck plätschert die Glatt gemächlich unter den schwitzenden Arbeitern dahin, und einige Schwalben und ein Kohlweißling fliegen im Zick-Zack-Kurs federleicht durch die Stahlseile. Dieterle bleibt trotz der Verzögerung gelassen: „Wir hatten Überraschungen einkalkuliert, denn es gab keine alten Baupläne mehr“, sagt der Bauleiter.

Gut eine Stunde spitzt ein Trio Beton ab, um die Verbindung des zweiten Brückenelements zum Widerlager zu beseitigen, kleine Steinbrocken fliegen den Männern um die Ohren. Die Schmidbauer-Kolonne überprüft die Position der Stahlseile, ein Ruck geht durch die Aufhängung – und wieder reicht selbst die Kraft zweier Kräne nicht, um die letzte Befestigung zu lösen. Ein Arbeiter kriecht bis zur Hüfte unter das 40-Tonnen-Teil, weist auf ein verbleibendes Verbindungsstück hin.

Material wird beprobt

Der nächste Anhebeversuch ist von Erfolg gekrönt: Endlich schwebt auch das zweite Teilstück am Kranausleger. Beim Absetzen vor der Drehung nach links müssen zwei Streben zur Stabilisierung herbeigeholt werden. Kaum hat einer der Männer die Stützen entfernt, ziehen die Kranführer das Element hoch. Beim Abladen auf der Wiese löst sich ein Brocken und kracht auf den Boden.

Über die Mittagszeit wiederholen die Bauarbeiter das Prozedere noch ein drittes Mal, und erneut bedarf es des Einsatzes mehrerer Presslufthämmer, um die Brücke von der Verankerung zu lösen, doch schließlich wird auch das dritte Stück neben die anderen manövriert. Eine Kolonne fegt bereits Steinbrocken in Container.

Joachim Störk verfolgt das Geschehen beeindruckt: „Das macht optisch schon was her“, sagt der Ingenieur vom Ingenieurbüro Störk und Bengsch. Nachdenklich fügt der Experte hinzu: „Da haben unsere Vorfahren das mühevoll aufgebaut, und nach einem halben Tag ist es weg.“ Helmut Pfister geht es ähnlich: „Jetzt hat die Brücke so lange gehalten“, sagt der Ortsvorsteher nostalgisch.

Das vierte Element widersetzt sich ebenfalls dem Anheben, wieder müssen die zunehmend eingestaubten Männer mit den Presslufthämmern ran, zusätzlich kommt ein Schweißbrenner für die Eisen zum Einsatz.

Schwarze Abgase aus den Kränen zeugen von einem maschinellen Kraftakt, dann entschwebt auch das letzte Brückenbauteil, das alte Bauwerk ist Geschichte.

Ein Bagger wird die abgetragenen Elemente zerkleinern. Das Material muss allerdings erst beprobt werden, bevor die alte Glatter Brücke auf eine Deponie darf.

Das Unterbaugerüst aus Stahlträgern und Holzbeplankung auf den alten Widerlagern bleibt, bis der Neubau fertig ist. Dies wird Ende Oktober der Fall sein. Eine Folie schützt die Glatt vor herabfallendem Beton. „Der Gewässerschutz ist eine Herausforderung, aber wichtig“, bilanziert Dieterle.

Störk schätzt, dass mit dem Aufbau der neuen Brücke Ende August begonnen werden kann. Wenn das Nachfolgekonstrukt ähnlich lange hält wie die bisherige Flussüberquerung, dürften die am nächsten Abriss Beteiligten jetzt noch gar nicht geboren sein. Diese Aktion war in Glatt somit ein echtes Jahrhundertereignis.

Die vier Einzelteile wurden auf einer nahen Wiese abgelegt und unterlegt, dort folgt die Zerkleinerung.

Die vier Einzelteile wurden auf einer nahen Wiese abgelegt und unterlegt, dort folgt die Zerkleinerung.

Tonnenlast schwebt über dem Fluss
Tonnenlast schwebt über dem Fluss
Als das letzte der vier zersägten Teilstücke der Brücke über die Glatt schwebt, ist das 87 Jahre alte Bauwerk Geschichte. Bilder: Cristina Priotto

Als das letzte der vier zersägten Teilstücke der Brücke über die Glatt schwebt, ist das 87 Jahre alte Bauwerk Geschichte. Bilder: Cristina Priotto

Die schwebenden Bohrkernewiegen je gut 250 Kilogramm.

Die schwebenden Bohrkerne wiegen je gut 250 Kilogramm.

Presslufthämmer kappen die Verbindung zu den Widerlagern.

Presslufthämmer kappen die Verbindung zu den Widerlagern.

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Erstellt:
10.07.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 01sec
zuletzt aktualisiert: 10.07.2020, 01:00 Uhr

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