Flughafen Stuttgart

Tristesse im Terminal

Der Luftverkehr ist einer der großen Verlierer der Corona-Pandemie. Auch am größten Airport in Baden-Württemberg sind die Auswirkungen deutlich zu spüren. Wo normal hektisches Treiben herrscht, sorgen Reise-Restriktionen für leere Terminals. Ein Besuch am Manfred-Rommel-Airport während des Lockdowns.

25.06.2021

Von TEXT und FOTO: Moritz Hagemann

Tristesse im Terminal

Ein Montagvormittag Mitte Mai, graue Wolken hängen über dem Stuttgarter Airport. Jetzt, kurz vor Pfingsten in die Sonne entfliehen? Ein feiner Gedanke. Doch noch hat die Pandemie das Land im Griff. Und den Flughafen erst recht. Einige Parkplätze rund um das Areal sind geschlossen, mehrere Shops und Reisebüros im Gebäude ebenfalls.

Vor dem Terminal 1 reinigen ein paar Arbeiter das Vordach, auch drinnen hört man die Geräusche einiger Baumaschinen, der Security-Check wird derzeit umgebaut. Dazu laufen ein paar Polizisten wachenden Auges umher. Doch ansonsten ist das Terminal 1 fast menschenleer. Niemand gibt hier das Gepäck auf, niemand geht durch den Sicherheitscheck – alles geschlossen!

Aus dem sonst so hektischen Treiben ist Ruhe geworden, ein bisschen Tristesse an diesem Ort, der eigentlich für Aufbruch, für Erholung, für Urlaubsfreuden steht. Derzeit, so der Flughafen-Sprecher Johannes Schumm Mitte Mai, habe man nur etwa zehn Prozent des sonst für diese Jahreszeit üblichen Verkehrs.

Die komplette Abfertigung wurde in Terminal 3 verlegt, das größte am Flughafen. Vor der Gepäckaufgabe von Turkish Airlines haben sich etwa 30 Menschen versammelt, alle tragen Masken, halten Abstand, sie warten auf ihren Flug nach Istanbul. Sie fühle sich sicher, sagt eine Reisende dem TAGBLATT, die mit ihrem Mann aufbrechen wird: „Alle sind getestet und tragen Masken.“ So ein Flug sei eigentlich „fast wie Busfahren, das ist ja auch nicht verboten“. Man habe sich im Internet vorab registrieren müssen und einen Code für die Einreise in die Türkei erhalten. Ihre Reise sei familiär bedingt, erzählt die Waiblingerin.

Bereits im Pandemie-Jahr 2020 flogen 4,77 Prozent der Fluggäste aller Linien- und Charterflüge von Stuttgart aus nach Istanbul-Sabiha – an keinen anderen ausländischen Flughafen wurden im Vorjahr mehr Passagiere gebracht. Wien (4,54 Prozent), Palma de Mallorca (4,05) und der andere große Istanbuler Verkehrsflughafen (3,64) folgen.

Beim Blick auf die Abflugtafel fällt sofort auf: Es sind jetzt vor allem die klassischen Ziele, die dieser Tage angeflogen werden. Und wer die Anzeige beobachtet, sieht auch schnell, warum keine Menschenmassen am Flughafen zusammengekommen: Zwischen 11.10 und 12.50 Uhr hebt beispielsweise keine einzige Linienmaschine an diesem Tag im Mai ab. Am Nachmittag zwischen 14.55 und 17 Uhr ist dies ebenfalls der Fall.

30 statt 400 Flüge am Tag

In Vor-Corona-Zeiten starteten und landeten bis zu 400 Maschinen pro Tag in Stuttgart. Am Tag, als sich das TAGBLATT am Airport umschaut, sind es knapp 30. Die Rechnung jetzt ist einfach: Weniger Flüge bedeuten größere Sorgen für den Flughafen. „Die Sicherung von Arbeitsplätzen und Liquidität hat höchste Priorität“, sagt Schumm. Ein Großteil der Belegschaft sei seit April 2020 in Kurzarbeit, Entlassungen habe es nicht gegeben, aber einen Einstellungsstopp und einen Notlagentarifvertrag, um Arbeitsplätze zu sichern. Über 11 000 Menschen sind am Flughafen beschäftigt. Die Tochtergesellschaften im operativen Bereich, so der Airport-Sprecher, hätten jedoch befristete Jobs nicht verlängern können.

Nicht nur der Airport selbst spürt die Pandemie-Auswirkungen, auch einige weitere Branchen sind betroffen: Ein Ludwigsburger Taxi-Fahrer raucht vor dem Terminal eine Zigarette und erzählt, dass das Geschäft mit den Flughafen-Fahrten nahezu eingebrochen ist. „Vielleicht zwei Mal in der Woche“, sagt er, fahre er noch zum Airport. Das habe es vor Corona auch mal locker binnen weniger Stunden gegeben. Zudem seien es viele Geschäftsreisende, die sich per Taxi in der Regel zum Flughafen bringen lassen. „Da haben mir schon manche erzählt, dass die Besprechungen nun meistens online ablaufen und sie gar nicht mehr oft fliegen müssen“, sagt der Fahrer.

„Kein unverändertes Zurück“

Zurück ins Gebäude und nach oben: Von der kaum frequentieren Besucherterrasse hat man einen perfekten Blick auf das Geschehen. Statt der Turbinen pfeift vor allem der Wind im Ohr. Eine Baustelle springt ins Auge. Im Vorfeld wird die Oberfläche neu betoniert, dazu werden gegebenenfalls auch die Elektrik sowie die Entwässerungsinfrastruktur modernisiert. Diese Arbeiten laufen sukzessive bereits seit Jahren, der geringere Verkehr werde nun für anfallende Reparaturen genutzt, so Schumm. „Mit einem strikten Sparkurs haben wir bereits zu Beginn der Pandemie alle Bauvorhaben und Projekte auf den Prüfstand gestellt“, sagt der Sprecher. Es werde nur gemacht, was zwingend notwendig oder bereits angefangen sei.

Über die Lautsprecher am Airport ertönen derweil Sicherheitsansagen aufgrund des Coronavirus, mehrere Desinfektionsspender sind aufgestellt. In Terminal 3 gibt es seit kurzem eine zweite Coronateststation, sie sei „gut nachgefragt“, sagt Schumm. Im Airport Medical Center, das an der Westseite des Terminals 1 untergebracht ist, gibt es Tests schon seit August 2020 – auch die Tübinger Firma Cegat ist daran beteiligt. Die Nachfrage sei konstant hoch. Am Airport habe man außerdem die Reinigungsintervalle erhöht, zudem laufen Check-in und Gepäckaufgabe berührungsfrei ab. „Das Boarding wird wenn immer möglich über die Fluggastbrücken durchgeführt“, sagt Schumm außerdem. „Für Außenpositionen werden mehr Passagierbusse als üblich eingesetzt.“

Nicht einmal 100 000 Passagiere wurden jedoch im April dieses Jahres am Stuttgarter Flughafen gezählt – was allerdings auch wiederum an den Baumaßnahmen liegt (siehe Zahlen & Fakten). Schumm: „Für den Sommer rechnen wir jedoch mit einer leichten Erholung.“ An Pfingsten seien besonders die Ziele Mallorca, Hamburg, Berlin und das Drehkreuz Amsterdam gefragt. Außerdem ist die Quarantäne für Griechenland-Rückkehrer im Mai gekippt worden, entsprechend seien die griechischen Inseln wie Kreta, Rhodos, Kos oder Korfu direkt „gut gebucht“.

Dass jedoch die Marke von 6 Millionen Passagieren im Jahr 2021, die der Airport erwartet hatte, noch erreicht wird, davon werde aktuell nicht ausgegangen, erklärt der Sprecher. Generell spekulieren Luftfahrt-Experten, dass es bis ins Jahr 2025 dauern könnte, ehe die Folgen der Pandemie überwunden sein werden.

Welche Veränderungen es im Markt und im Reiseverhalten der Menschen geben wird? Alles unklar. Die ganze Luftfahrt-Branche trage die große Verantwortung, Mobilität und Klimaschutz zusammen zu denken und zu realisieren. Schumm: „Wir gehen davon aus, dass es kein unverändertes Zurück zu Vor-Corona-Zeiten geben wird.“ Niemand kann jetzt jedoch seriös sagen, wann sich auch die letzten dunklen, fast bedrohlich wirkenden Wolken über dem Stuttgarter Airport verziehen werden – und vor allem, ob sie im Spätherbst nicht doch wieder aufziehen.

Zum Artikel

Erstellt:
25.06.2021, 07:29 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 09sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2021, 07:29 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!