Trunkenheitsfahrt nicht eindeutig beweisbar

Gericht Ein 28-Jähriger wurde nach überraschenden Wendungen freigesprochen.

19.11.2016

Von Hans-Michael Greiß

Der Horber Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick war zu Beginn des Prozesses überzeugt, eine faustdicke Räuberpistole vor sich zu haben. Doch überraschende Wendungen ließen die ganze Anklage zusammenbrechen. Die Ankündigung der Verhandlung war ehrfurchtgebietend, gleich zwei Rechtsanwälte waren zur Verteidigung aufgeboten, der Fall eher undramatisch: Die Anklage lautete auf vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr. Doch der 28-jährige Angeklagte aus einer Kreisgemeinde erschien nur mit einem aus Heidelberg angereisten Rechtsanwalt und der Richter erkundigte sich nach dem Verbleib des erstbestellten Anwalts. Ob der überhaupt erscheine, so die Antwort, sei fraglich, der doppelt promovierte Anwalt sei an seiner noblen Adresse nicht mehr auffindbar. Zu seiner Person sagte der Angeklagte, er habe einen Uni-Abschluss, und auf Nachfrage des Richters, was man sich unter „Retail-Management“ vorzustellen habe, erklärte er, er sei selbständiger Leiter eines Sicherheits-Unternehmens.

Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten vor, am frühen Pfingstsonntagmorgen volltrunken einen Unfall verursacht zu haben und demnach zum Fahren eines Kraftfahrzeuges ungeeignet zu sein. Die Stellungnahme fiel lapidar aus: „Ich war’s nicht, ich bin nicht gefahren.“ Am Abend vor der Fahrt habe er gegen 20.30 Uhr begonnen, mit einer Frau Sekt zu trinken, offensichtlich „mehr als gut war“ . Von der Menge habe er keine Ahnung. Möglicherweise sei diese Frau auf die Idee gekommen, noch etwas essen zu gehen. Da er sich bereits fahruntüchtig eingeschätzt habe, sei diese Frau gefahren, weder an eine Fahrt noch an seinen Sitzplatz könne er sich erinnern. Der Name der Frau sei mutmaßlich Nicoletta, sonst wisse er nicht über sie, am Vorabend habe er sie in Stuttgart kennen gelernt und mit nach Hause genommen.

Schemenhaft könne er sich, so der Angeklagte, erinnern, irgendwann orientierungslos neben seinem Auto gestanden zu sein und mit jemand gesprochen zu haben. Die Polizei habe er nicht bewusst wahrgenommen, irgendwann sei er in einem Krankenhaus gestanden, zu Hause sei er dann aufgewacht.

Ob er denn versucht habe, diese ominöse Nicoletta zu erreichen, wollte Richter Trick wissen. „Ich weiß nicht, wo die wohnt. Sie hat mein Auto kaputt gefahren, ein Mercedes Coupé“, war die Antwort. „Ich war draußen, als ich zu mir kam, dann bin ich ins Auto eingestiegen. Meine Mutter hat mich vom Krankenhaus abgeholt.“

„Ich bin nicht gefahren“

Einem Schüler, der zu der gegen halb sechs Uhr morgens Zeitungen austrug, war ein Fahrzeug aufgefallen, das „an der Kreuzung so komisch geparkt war, der Mann hinter dem Steuer sah bewusstlos aus.“ Der Vater des Schülers rief Polizei und Rettungsdienst. Der Polizist beschrieb eine männliche Person, auffällig alkoholisiert und nicht kooperativ. Er veranlasste einen Blutwerttest im Krankenhaus. Eine Kontrollfahrt habe in einigen Kilometern Entfernung eine frische Unfallspur an einer Leitplanke ergeben, ein Spiegelgehäuse habe zum Unfallfahrzeug gepasst, so der Polizist.

Bluttest ergab 2,32 Promille

Deutete bis dahin noch alles auf einen Schuldspruch hin, so brachte die Zeugenaussage eines 65 Jahre alten Rentners die Wende. An dem fraglichen Abend habe er von seinem Fenster aus im Hof des Nachbargrundstücks eine schwarz gekleidete Frau mit schulterlangen blonden Haaren gesehen, die aus dem Coupé ausstieg und mit dem Angeklagten ins Haus ging. Später habe er beobachtet, wie auf dem Nachbargrundstück das Licht anging und der Retail-Manager das Hoftor „gewalttätig aufriss“. Die Frau sei auf der Fahrerseite eingestiegen, der junge Mann habe sich auf den Beifahrersitz gesetzt. Das sei gegen drei Uhr nchts gewesen.

Zu allen Fakten fasste Richter Trick zusammen, der Angeklagte habe bei der Blutuntersuchung gegen sieben Uhr einen Wert von 2,32 Promille aufgewiesen, er sei nicht kooperativ und behaupte, sich an nichts erinnern zu können. In seinem kurzen Plädoyer räumte der Staatsanwalt ein, die Beweisführung wirke nicht konstruiert, so könne er die Schuld nicht nachweisen und beantrage Freispruch. Der Verteidiger beschrieb den Zeugen als widerspruchsfrei, die Indizien sprächen zugunsten seines Mandanten, außerdem sei er schuldunfähig gewesen. Der Anprall an die Leitplanke müsse sich gegen 3.45 Uhr ereignet haben, da müsse seinem Mandanten ein Alkoholwert von 3,12 Promille anzurechnen sein. Nach seinem Filmriss sei er drei Tage bettlägerig gewesen. Das Urteil müsse also „in dubio pro reo“ lauten, denn außer den polizeilich unwiderlegbaren Beweisen läge keine Einlassung des Angeklagten vor, die besagte Frau als Schuldige sei nicht mehr auffindbar.

So verkündete Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick seinen Freispruch und gab dem Angeklagten seinen Führerschein zurück. Die Aussage, nicht gefahren zu sein, sei nicht mit Sicherheit zu widerlegen. Mit der Rückgabe der Fahrerlaubnis werde der Manager für alle seine Nachteile aus der Staatskasse entschädigt.