Wohin mit der mobilen Kunst von der Alb?

Über zersiedeltes Weltkulturerbe und zentralistische Museums-Ideen

Ernst Seidl, Leiter des Tübinger Universitätsmuseums MUT, möchte die ausgezeichneten prähistorischen Preziosen der Eiszeitkunst aufwerten.

13.07.2017

Von Wilhelm Triebold

Sieht von weitem ein bisschen aus wie der Verkaufsraum beim Nobel-Juwellier, ist aber der wohl spannendste Ort im Schlossmuseum zu Hohentübingen: Ernst Seidl inmitten der Eiszeitkunstwerke, die in schönen Vitrinen präsentiert werden. Mit ein bisschen gutem Willen wäre selbstverständlich Platz für noch mehr. Bild: Metz

Sieht von weitem ein bisschen aus wie der Verkaufsraum beim Nobel-Juwellier, ist aber der wohl spannendste Ort im Schlossmuseum zu Hohentübingen: Ernst Seidl inmitten der Eiszeitkunstwerke, die in schönen Vitrinen präsentiert werden. Mit ein bisschen gutem Willen wäre selbstverständlich Platz für noch mehr. Bild: Metz

Ernst Seidl strahlt. Der sowieso meist gut gelaunte Museumsdirektor freut sich über die Wertschätzung, die der gerade zum Weltkulturerbe erklärten Eiszeitkunst entgegenschlägt. Wieweit gilt das auch für den Tübinger Bestand?

Schließlich hat das MUT, das zentrale Museum der einzelnen universitären Sammlungen, da besonders viel zu bieten. Auch wenn Tübingen halt ein bisschen weiter weg liegt von den Fundorten auf der Schwäbischen Alb als etwa Ulm und Blaubeuren.

Seidl ist sich aber sicher, dass der Krakauer Welterbe-Zuschlag dem eigentlichen Inhalt der Höhlen mindestens ebenso zusteht wie der im Grunde leeren Hülle im Kalkstein der Alb. Gewiss, „es können nur Orte ausgezeichnet werden“. Die Kunstwerke seien mobil, doch „der Wert kommt von der Kunst“. Von diesen ersten mimetischen Darstellungen, mit denen Dinge
und Wesen erfasst und gestaltet wurden.

Das Museum auf Schloss Hohentübingen präsentiert die besten Funde, von denen die älteren im eigenen und die neueren im Landesbesitz sind, in einem Ensemble aus Vitrinen. „Man merkt, dass die Leute stiller werden“, sagt Seidl, wenn sie sich in dem abgedunkelten Raum aufhalten – allein mit sich und dem Brückenschlag über 40.000 Jahre zurück zu den vermuteten Anfängen menschlicher Kultur. Wie damit umgehen? Die anderen laufen sich warm. An der Schelklinger Hohlefels-Höhle soll ein Informationssystem entstehen, für das vom Land bereits eine halbe Million Euro zugesagt worden sind. Ein Wegekonzept der Gemeinde Blaubeuren, das die Touristenströme zu den sechs Fundstätten im Ach- und Lonetal leiten soll, wird von der Landesregierung mit 140.000 Euro unterstützt. Das Ulmer Museum möchte seinem Löwenmenschen, tatsächlich ein Prachtexemplar, nun Nofretete-mäßig einen eigenen Raum zugestehen, wo man sich, wie die Museumsleiterin sagte, „seiner Aura hingeben kann“. Überhaupt, der Louvre. Der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Eiszeitkunst, Wolfgang Koller, schlägt jetzt das Urgeschichtliche Museum in Blaubeuren, von der FAZ bereits zum „Louvre der Eiszeitkunst“ erklärt, als jenen künftigen Ort vor, der die Originale und die Fundstätten am ehesten zusammendenken könne. Denn von dort aus sind zumindest drei der sechs Höhlen lediglich einen Steinwurf – beziehungsweise ein paar Fahrradminuten – entfernt.

Seit Günther Oettingers Stuttgarter Regierungszeit wird darüber sinniert, ob sich die verstreuten Fundstücke nicht besser zusammenziehen ließen, am besten selbstverständlich in der Landeshauptstadt. Unter Grün-Rot entschied man sich allerdings für die dezentrale sogenannte „Kulturraumlösung“. Doch Seidl merkt: „Wenn man mit verschiedenen Leuten spricht, hört man, dass die Diskussion wieder aufgenommen wird.“ Eine komplette Verlagerung unter ein Stuttgarter Dach wäre für ihn allerdings ein Akt des „Zentralismus wie im Bayern des frühen 19. Jahrhunderts“.

Was also tun – Zusammenlegung jetzt, oder doch lieber weiter verstreut marschieren, aber vereint vermarkten? Tübingen will da „nicht mit dem Schwäbische-Alb-Tourismus in Konkurrenz treten“, grenzt Seidl sich ab, sondern „wir müssen betonen, was wir seit hundert Jahren machen“.

Denn der Tübinger Uni gereicht zum Vorteil, dass es immer ihre Wissenschaftler gewesen sind, die Eiszeitkunst aufspürten und erforschten. Auch jetzt liegt Material im Institut, teils unspektakulär, teils unentdeckt. Hier sind die Kunstwerke also wissenschaftlich allerbestens aufgehoben. Aber auch museumstechnisch: Tübingen gilt als Vorreiter für die Neubewertung und Nutzung von Universitätssammlungen.

Darüber hinaus hat das für die Institute und die Studierenden einen Mehrwert, findet Seidl. Insgesamt verfügt die Uni über 66 Sammlungen mit über 100 Fachkonvoluten, aus denen rund 4000 Objekte ständig präsentiert werden. „Eine große Aufgabe für die Profilbildung der Exzellenz-Universität“, fügt Seidl hinzu.

Ganz am Anfang hatte das MUT um die 15.000 Besucher, jetzt sind es bereits doppelt so viele. Wozu solche Blockbuster wie die „Duckomenta“ (2005) und „Tutanchamun“ (2002) beigetragen haben.

Ernst Seidl sieht zumindest ein Problem: „Wir haben keinen großen Ausstellungsraum“. Und die Dauerausstellung braucht nach 20 Jahren wohl auch mal eine kleine Auffrischung.

Wenn er schon ins Träumen geriete, dann fiele Ernst Seidl gleich schon wieder jenes schmucke Museum in Frankreichs Hauptstadt ein. „Eine Überdachung des Tübinger Schlosshofs, wie im Louvre“ – das wär’s ...

Einige der Altstars der Tübinger Eiszeit-Kunstschätze: Das Mammut als Torso von 1931... Bild: MUT

Einige der Altstars der Tübinger Eiszeit-Kunstschätze: Das Mammut als Torso von 1931... Bild: MUT

... und das Vogelherdpferdchen, ebenfalls 1931 gefunden, dazu ... Bild: MUT

... und das Vogelherdpferdchen, ebenfalls 1931 gefunden, dazu ... Bild: MUT

...der Löwe mit angesetztem Kopffragment aus Nachgrabungen ... Bild: MUT

...der Löwe mit angesetztem Kopffragment aus Nachgrabungen ... Bild: MUT

...und zwei weitere Artefakte, die die menschliche Fantasie... Bild: MUT

...und zwei weitere Artefakte, die die menschliche Fantasie... Bild: MUT

...auch nach Jahrzehntausenden noch anregt. Bild: MUT

...auch nach Jahrzehntausenden noch anregt. Bild: MUT

Ein Höhlen- oder Braunbär, der schwebt ... Bild: MUT

Ein Höhlen- oder Braunbär, der schwebt ... Bild: MUT

....aber auch stehen kann. Streicheln kann man ihn nicht. Bild: MUT

....aber auch stehen kann. Streicheln kann man ihn nicht. Bild: MUT

Gänseknochenflöte aus der Vogelherdhöhle, etwa 40.000 Jahre alt. Bild: MUT

Gänseknochenflöte aus der Vogelherdhöhle, etwa 40.000 Jahre alt. Bild: MUT

Kurz und knapp erklärt: die Draufsicht. Bild: MUT

Kurz und knapp erklärt: die Draufsicht. Bild: MUT

Feier mit Publikum

Zur Feier des Unesco-Weltkulturerbes lädt das MUT alle Tübingerinnen und Tübinger (und dazu auch die Besucher in der Stadt) am Wochenende kostenlos ins Museum Alte Kulturen auf Schloss Hohentübingen: Von Freitag, 14. Juli, bis Sonntag, 16. Juli, ist das Museum jeweils von 10 bis 17 Uhr kostenlos zu besichtigen. Dazu zählt auch die Jubiläumsausstellung „Ursprünge. Schritte der Menschheit“.

An diesen Tagen gibt es zudem kostenlose Sonderführungen zur Eiszeitkunst: Am Freitag und Samstag jeweils um 15 Uhr, am Sonntag um 11 Uhr. Und um 15 Uhr kommt am Sonntag die Standardführung zur Jahresausstellung hinzu, in der auch die Eiszeitfiguren enthalten sind. Sie ist ebenfalls kostenlos.

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Erstellt:
13.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 13.07.2017, 01:00 Uhr

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