Rottweil · Justiz

Unerlaubte Aufnahmen

Der vierte Prozesstag um den mutmaßlichen Mord an Michael Riecher aus Nordstetten beleuchtete vor allem das Umfeld eines Angeklagten.

17.05.2019

Von Manuel Fuchs

Zu Erkenntnissen über den konkreten Ablauf der Tat trug der gestrige Verhandlungstag am Landgericht Rottweil wenig bei. Details aus dem persönlichen Umfeld eines der Angeklagten gestatteten jedoch Einblicke, die einen Beitrag zur Gesamtwürdigung leisten können. Bild: Manuel Fuchs

Zu Erkenntnissen über den konkreten Ablauf der Tat trug der gestrige Verhandlungstag am Landgericht Rottweil wenig bei. Details aus dem persönlichen Umfeld eines der Angeklagten gestatteten jedoch Einblicke, die einen Beitrag zur Gesamtwürdigung leisten können. Bild: Manuel Fuchs

Stopp!“ Kristian Frank, Anwalt der Verteidigung, unterbrach am Ende des Verhandlungstages gestern vor dem Rottweiler Landgericht die Vernehmung eines Zeugen. Dieser berufe sich gerade auf die Tonaufnahme eines Gesprächs mit dem ersten Angeklagten, welche – wie der Zeuge zuvor ausgeführt hatte – ohne dessen Kenntnis und Einverständnis erstellt worden war. Frank widersprach der Erhebung und Verwertung aller Beweise, die sich auf diese unerlaubte Aufnahme beziehen.

Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Kalkschmid hielt dem entgegen, der Zeuge berichte aus einem Gespräch, das er selbst geführt habe. Dr. Alexander Kubik, ebenfalls Anwalt der Verteidigung, konterte mit dem Hinweis auf die Worte des Zeugen, „bei Minute 4“ sei etwas Relevantes gesagt worden. Der Zeuge könne „sich nur noch auf das Tonband beziehen, nicht auf seine Erinnerung“ an das Gespräch, folgerte Kubik. Karlheinz Münzer, Vorsitzender Richter der 1. Schwurgerichtskammer am Landgericht Rottweil, vertagte daraufhin um kurz vor 18 Uhr die Entscheidung über den Antrag, die weitere Vernehmung des Zeugen und unterbrach die Sitzung.

Kammer ist nicht befangen

Begonnen hatte der Tag um 9 Uhr mit der Entscheidung über den Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die verhandelnde Kammer. Richter Thomas Geiger beschied dessen Zurückweisung: Aus den angeführten Sachverhalten „eine Besorgnis der Befangenheit der Kammer abzuleiten, entbehrt [...] für einen vernünftig urteilenden Dritten der Grundlage“. Dies gelte auch für die kumulative Würdigung der Sachverhalte.

Die Beweisaufnahme konnte also weitergehen. Als Erster wurde ein 22-jähriger Horber in den Zeugenstand gerufen. Den ersten Angeklagten kenne er oberflächlich, es sei kein Freund im engeren Sinn. Einige Male habe er, der Zeuge, auf Bitte eines gemeinsamen Freunds dem ersten Angeklagten bei einer Renovierung geholfen. Er wusste auch von dessen Freundin. Diese Beziehung sei irgendwann beendet gewesen, und nicht wesentlich später habe er eine andere Frau geheiratet.

Den getöteten Michael Riecher kannte der Zeuge persönlich von den Renovierungarbeiten. Der Angeklagte soll nur positiv über diesen gesprochen haben, er sei ein guter Mensch und helfe ihm sehr. Der Zeuge beschrieb Riechers Beziehung zum ersten Angeklagten „wie Vater und Sohn“; der Angeklagte habe gelegentlich sogar Riechers Auto, „schwarz und mit einem Panther darauf“ fahren dürfen.

Der Zeuge gab ferner an, der erste Angeklagte habe sich gelegentlich Geld von ihm geliehen – 50, 30 und noch einmal 50 Euro – und dies nur auf mehrfache Erinnerung zurückgezahlt. Auch von anderen Bekannten soll der erste Angeklagte sich Summen bis zu 3000 Euro geliehen haben. Die letzte Rückzahlung, 50 oder 100 Euro, will der Zeuge an einem Samstag gegen 20.30 Uhr vor seiner Wohnung im Horber Mühlgässle erhalten haben. In der Rekonstruktion anhand von Handy-Protokollen trat zutage, dass es der 2. November 2018 war – jener Tag, an dem Michael Riecher mutmaßlich getötet wurde.

Von Michael Riechers Tod will der Zeuge von der Polizei erfahren haben, die ihn am 8. November zur Vernehmung abholte. Über die näheren Umstände wurde er nicht informiert, er habe jedoch eine Speichelprobe abgegeben, und seine Schuhgröße wurde festgestellt. Die Anwälte der Verteidigung zogen die ordnungsgemäße Abwicklung der durchgeführten Tonbandvernehmung kurz in Zweifel, verzichteten jedoch in dieser Sache auf Anträge.

Die zweite geladene Zeugin war am Abend des Donnerstag, 1. November 2018, mit ihrer Familie in einem Rexinger Restaurant essen. Dort sei sie auf zwei Männer aufmerksam geworden. Den einen identifizierte sie anhand eines Fotos vor Gericht als Michael Riecher, den anderen konnte sie nicht zuordnen. Die beiden haben laut der vagen Erinnerung der Zeugin das Restaurant gegen 19 Uhr verlassen.

Schulden und Sparsamkeit

Der dritte Zeuge des Tages, ein 34-jähriger Automechaniker, der in Bildechingen wohnt, stammt wie der erste Angeklagte aus Syrien. Er habe ihn im August 2015 kennengelernt, als er – der Zeuge – nach Deutschland kam. Der erste Angeklagte habe ihm einmal von seiner Flucht aus Syrien berichtet: Sein Heimatdorf sei von der Armee gestürmt und alle jungen Männer verschleppt worden. Der Angeklagte habe ihm gesagt, ihm sei mehrmals mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Der Zeuge selbst gab an, er könne aufgrund seiner Kriegserlebnisse in Syrien, speziell eines Bombenangriffs, Sachverhalte nicht mehr gut zeitlich und örtlich einordnen.

Auch dieser Zeuge hatte dem ersten Angeklagte gelegentlich Geld geliehen. Nachdem er es nicht in der versprochenen Frist zurückerhalten hatte, habe er erkannt, dass der Schuldner nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, und wollte ihm kein Geld mehr leihen. Er lehnte es auch ab, zur Hochzeit des ersten Angeklagten zu erscheinen, wozu dieser ihn eingeladen hatte.

Der Zeuge, der erste Angeklagte und zwölf weitere Männer führten eine Art Sparverein: Jeder zahlte monatlich 125 Euro in dessen Kasse; die Teilnehmer profitierten reihum von der gesamten Summe. Hier sei der Angeklagte deutlich disziplinierter mit den Zahlungen gewesen als bei anderen Schulden, sagte der Zeuge aus.

Im Laufe der detaillierten Nachfragen der Verteidigung zu Schulden, Rückzahlungen und Modalitäten dieses Sparvereins wurden die Aussagen des Zeugen immer ungenauer. Er stellte die Gegenfrage, was dies alles mit dem Fall zu tun habe, worauf Dr. Kubik antwortete, dies wolle er nur ungern erklären. Die Detailfragen waren jedenfalls geeignet, die zuvor geäußerten Schwierigkeiten des Zeugen in der räumlichen und zeitlichen Einordnung von Sachverhalten zu bestätigen. Rechtsanwalt Alexander Hamburg wies in einer anschließenden Erklärung noch einmal ausdrücklich darauf hin.

Vom Tod Michael Riechers will dieser Zeuge zwei oder drei Tage danach gehört und es erst nach mehrfacher Rückversicherung bei einem vertrauenswürdigen Freund geglaubt haben. Dass sein Bekannter deshalb angeklagt ist, habe er erst unmittelbar vor seiner Vernehmung im Landgericht Rottweil erfahren.

Vor der Vernehmung des vierten und letzten Zeugen des Tages wurden die beiden Angeklagten in einen anderen Raum des Gerichtsgebäudes gebracht und die Verhandlung dorthin per Video übertragen: Ein Attest bescheinigte dem Zeugen ein Posttraumatisches Belastungssyndrom; er ist seit Oktober 2018 in Behandlung. Als er am Morgen des 3. November Michael Riechers Leichnam sah, habe er eine Retraumatisierung erfahren. Alles, was mit diesem Erlebnis in Zusammenhang steht, könne erhebliche gesundheitliche Folgen bewirken.

Der 45-Jährige gab an, der erste Angeklagte habe ihn am Morgen des 3. November gegen 8.50 Uhr angerufen und gefragt, ob er ihm bei der Reparatur einer Tür in seiner Wohnung helfen könne. Er habe das bejaht, der Angeklagte habe ihn daraufhin mit dem Auto abgeholt. Man fuhr jedoch zunächst, für den Zeugen grundlos, zu Michael Riechers Wohnung. Auf dem Weg habe der Angeklagte erzählt, im Traum der zurückliegenden Nacht sei einer seiner Angehörigen verstorben.

Das Auffinden des Leichnams

Als Michael Riecher auch in mehreren Versuchen nicht auf die Türklingel reagierte, habe der Angeklagte eine weitere Bewohnerin des Hauses über die Gegensprechanlage gebeten, die Haustür zu öffnen. (Diese hatte am zweiten Verhandlungstag bereits Ähnliches ausgesagt.) Sie habe die unverschlossene Tür zu Riechers Wohnung geöffnet und den Leichnam entdeckt. Der Zeuge habe nur dessen Beine gesehen und sich sofort zurückgezogen. Über den Fortgang der Ereignisse in der Wohnung könne er daher nichts berichten.

Auf der Rückfahrt mit dem ersten Angeklagten zu dessen Wohnung sei dieser zweimal angerufen worden; die Telefonate habe der erste Angeklagte auf Deutsch geführt. Auf Nachfrage des Zeugen sagte er, das erste sei jemand gewesen, der einen Termin mit Michael Riecher hatte. Der zweite Anruf sei von einer Person gekommen, die vor seinem Haus auf ihn warte. Tatsächlich stand dort jemand in der Nähe eines roten Autos, den der Zeuge als korpulent und kahlköpfig beschrieb.

Am Abend dieses Tages habe ihn der erste Angeklagte um 21.25 Uhr angerufen und gesagt, die Polizei sei bei ihm gewesen. Er habe in seiner Aussage gelogen und brauche jemanden, der diese Falschaussage stütze. Der Zeuge lud ihn ein, dies am nächsten Morgen zu besprechen, und der Angeklagte stimmte zu. Der Zeuge platzierte in seiner Hosentasche ein Smartphone, um das Gespräch aufzuzeichnen. Als der Zeuge anhub, dessen Inhalte wiederzugeben, unterbrach der eingangs erwähnte „Stopp!“-Ruf der Verteidigung die Vernehmung.

Der nächste Verhandlungstag ist für Montag, 27. Mai, vorgesehen. Zu Redaktionsschluss bemühten sich die Prozessparteien jedoch um zusätzliche, möglicherweise auch frühere Termine.