Zum Karsamstag

Unter dem Kreuz

Gedanken, ausgelöst durch den Karsamstag in der Tübinger Stiftskirche (29. April).

06.04.2016

Von Uwe Brauner, Tübingen

Warum erkennen Christen – über alle Zeiten hinweg – ihre Schuld am Tod Jesu? Weil der jede Ermordung seiner geringsten Geschwister in allen Zeiten und Ländern als seine eigene erleidet (Mt 25,40). Mit seiner Selbstbestimmung zum universal involvierten Opfer hat er die römisch-jüdische Konspiration gegen ihn als Spiegel angelegt, in dem allen Späteren der Prototyp ihrer eigenen Komplotte zu erkennen gegeben wird: Politik, Recht, Moral, Religion und öffentliche Meinung – in einer komplexen und dämonischen Verstrickung.

In ihr werden die Differenzen zwischen den politischen und rechtlichen Normen von Nationen überspielt, die doch ihre wechselseitige Kontrolle ermöglichen und die Suche nach Gerechtigkeit fördern sollen. Unter dem Kreuz wie etwa auch im Deal Europas mit Erdogan versagen die weltlichen Immunsysteme und dienen nur noch der Zerstörung von Lebensverhältnissen. Unter dem Kreuz wie unter der faktischen Verschwörung gegen die Kurden wird die Verblendung, die Verlogenheit und Verlorenheit politischer, rechtlicher und moralischer Führung und Orientierungskraft offenbar.

Aber auch Regierte konspirieren. Wenn sie den Mythos der westlichen Zivilisation hegen, diese habe in einer heilbringenden Mission durch ihren „Fleiß“ und ihre überlegene „Vernunft“, durch „Entwicklung“ und „freien Markt“ Wohlstand, Frieden, Kultur und Freiheit in die Welt gebracht. Wenn sie wegdrücken, dass etwa der Schuldendienst des armen Südens 25 Mal (!) höher ist als die Entwicklungshilfe an ihn.