„Verunsicherung ist groß“

Interview mit Hochschulrektor Ulrich Radtke zum Studium in der Coronakrise

Studenten müssen sich in der Corona-Krise auf Härten einstellen. Ulrich Radtke von der Hochschulrektorenkonferenz schlägt deshalb einen Freischuss vor.

28.03.2020

Von Mathias Puddig

Studieren kostet Geld. Das Sommersemester soll möglichst stattfinden. Foto: Andrea Warnecke/dpa

Studieren kostet Geld. Das Sommersemester soll möglichst stattfinden. Foto: Andrea Warnecke/dpa

Campus leer, Mensa geschlossen. An die Hochschulen wird das Leben so schnell nicht zurückkehren. Was das für die Studierenden bedeutet, erläutert Ulrich Radtke von der Hochschulrektorenkonferenz.

Wie ist im Moment die Lage?

Ulrich Radtke: Da wir vorlesungsfreie Zeit haben, gibt es ohnehin wenig Publikumsverkehr. Einige Prüfungen mussten abgesagt werden. Um sie nachzuholen, brauchen wir größere Vorbereitungen. Denn wir können natürlich unter den derzeitigen Bedingungen nicht Hunderte Studierende in einem Saal zusammenbringen. Insgesamt ist die Verunsicherung bei vielen Mitgliedern der Universität noch sehr groß, aber wir tun unser Bestes, um schnellstmöglich praktikable Lösungen in unterschiedlichen Bereichen zu erarbeiten und transparent über unser Vorgehen zu informieren.

Was sind die größten Probleme?

Das große Problem wird sein, das System wieder hochzufahren. Die Politik muss aufgrund von epidemiologischen Ratschlägen entscheiden, ob nach Ostern der Präsenzbetrieb wieder aufgenommen kann. Das ist für uns nicht vorherzusehen. Wir haben unsere Lehrenden deshalb aufgefordert, sich auch über den 20. April hinaus auf digital gestützte Lehre vorzubereiten, damit die Veranstaltungen im Sommersemester so gut wie möglich durchgeführt werden können.

Das Sommersemester wird also nicht ausfallen?

Nein, der Begriff „Nicht-Semester“ bezog sich auf das Bafög. Auf dieses Problem hat Bundesministerin Karliczek reagiert und eine Sonderregelung in Aussicht gestellt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird sicherlich alle Fristen, die es beeinflussen kann, im Sinne der Studierenden und auch der Forschenden ausgestalten. Mit dem Begriff „Nicht-Semester“ ist aber nicht gemeint, dass im Sommer keine Veranstaltungen stattfinden oder die Leute in den Universitäten die Hände in den Schoß legen. Das ist mitnichten der Fall. Alle, in den Hochschulen wie in der Politik, arbeiten mit Hochdruck daran, den Studierenden ein anrechenbares Sommersemester zu ermöglichen.

Härten werden sich nicht vermeiden lassen?

Ja, deshalb ist mir ein Nachteilsausgleich wichtig. Es wird Studierende geben, die sich nicht adäquat auf Prüfungen vorbereiten können, zum Beispiel weil sie mit kleinen Kindern im Home Office sind oder Angehörige pflegen. Manche Studierende lernen vielleicht in einem Bereich, in dem Online-Lehre nicht funktioniert. Vielleicht ist in einigen Fällen Präsenz auch unbedingt erforderlich – ein Geologie-Student beispielsweise wird auch im Gelände arbeiten müssen. Es kann also zu Situationen kommen, in denen das Semester für die Studierenden nicht zählbar ist. Da schlage ich auf Antrag eine Freischussmöglichkeit vor, wie man das etwa von den Juristen kennt.

Dafür haben Sie eine bundeseinheitliche Regelung angeregt. Wer muss jetzt handeln?

Solch eine Regelung wäre wünschenswert. Aber im föderalen System ist das nicht leicht. Die grundsätzliche Kompetenz liegt bei den Ländern, der Bund hat nur begrenzten Einfluss. Das haben wir ja auch bei den Abiturprüfungen gesehen, wo es zunächst fast so viele Meinungen gab wie Bundesländer und man erst spät auf einen Nenner gekommen ist.

Apropos Abitur: Das wird ja jetzt unter sehr besonderen Bedingungen stattfinden. Macht das für die Zulassungen einen Unterschied?

Nein, warum sollten die Abiturienten anders behandelt werden als in den Jahren zuvor? Es gibt keinen Grund dafür. Wir gehen jetzt davon aus, dass die Abiturprüfungen stattfinden und zwar in allen Bundesländern.

Wie kann das Bundesministerium den Hochschulen unter die Arme greifen?

Die Bundesebene kann versuchen, über zentrale Gremien wie die Kultusministerkonferenz, an der der Bund beteiligt ist, auf die Länder einzuwirken. Ich hoffe, dass das auch passiert. Aber wir haben ja gesehen, dass die Länder einen großen Selbstbehauptungswillen haben. Die Hochschulrektorenkonferenz und die Universitäten würden sich wünschen, zu möglichst einheitlichen Regelungen zu kommen.

Wie ist die Lage bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern an den Hochschulen?

Wir werden alle unsere Möglichkeiten wie Flexibilisierung, Vertragsverlängerung, Fristverlängerung ausnutzen. Auch unseren Mitarbeitern wird durch Corona kein Nachteil entstehen. Das werden wir zu verhindern wissen.

Zur Person

Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg-Essen. Foto: UDE

Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg-Essen. Foto: UDE

Professor Ulrich Radtke ist Rektor der Universität Duisburg-Essen und kümmert sich bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Vizepräsident unter anderem ums Hochschulmanagement. Radtke wurde 1955 geboren und studierte ab 1974 in Düsseldorf Biologie, Geografie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik. Seit 2008 leitet Radtke die Universität Duisburg-Essen. Radtke ist verheiratet und hat vier Kinder.