Ärgernis

Verzerrtes Bild einer Stadt

Die Horber Bahnhof als „Angst-Ort“? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Gemeinderat. Doch Zahlen sind das eine, Gefühle das andere.

17.05.2018

Von Dagmar Stepper

Düstere Wolken sind meist das einzig bedrohliche, was der Horber Bahnhof zu bieten hat. Zumindest sagt das die Statistik.Bild: Kuball

Düstere Wolken sind meist das einzig bedrohliche, was der Horber Bahnhof zu bieten hat. Zumindest sagt das die Statistik.Bild: Kuball

Der Horber Bahnhof an einem normalen Wochentag: Leute schlendern über den Platz, sitzen auf den Bänken, gehen in die Bahnhofsgaststätte, zur Post, zum Bahnschalter. Vor zwei Jahren wurde der Horber Bahnhof saniert. Das Gebäude strahlt in hellen Farben. Erst vor kurzem wurde der Platz neu gestaltet, bald wird er auch wieder mit Sommerpflanzen aufgehübscht. Und das soll ein „Angst-Ort“ sein?

Ein Artikel in der jüngsten Ausgabe des „Spiegel“ hat für Diskussionen in Horb gesorgt – auf der Straße, in den sozialen Netzwerken und auch in der Gemeinderatssitzung am Dienstagabend. Den Anstoß dazu gab SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Mattes, der in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Peter Rosenberger die Frage stellte, wie die Stadt auf diesen Artikel reagieren soll. Denn Laut „Spiegel“ wird der Horber Bahnhof in einem Atemzug mit dem Berliner Alexanderplatz, dem Oldenburger Kennedyviertel und dem Stadthaus Bonn genannt, wenn auf Google das Suchwort „Angst-Ort“ eingegeben wird. „Alles Orte voller Drogen, Dreck, Suff und Pöbeleien“, zitiert Mattes den Spiegel. „Man könnte den Eindruck gewinnen, dass das Horber Bahnhofsviertel ein Drogenumschlagsplatz ist und man ständig von Betrunkenen angepöbelt wird“, schreibt er.

Um Missverständnisse vorzubeugen: Im „Spiegel“-Artikel „Die sicherste aller Welten“ geht es nicht um Gewaltkriminalität in Deutschland, sondern um die Angst der Deutschen davor. Die Autorin Beate Lakotta schreibt, dass das Risiko, Opfer einer schweren Gewalttat zu werden, in Deutschland niedriger ist als in den vergangenen Jahren. Trotzdem steigt die Angst davor. Bei ihren Internet-Recherchen ist sie wohl auf Horb am Neckar aufmerksam geworden.

„Der Artikel kann schon ein seltsames Bild auf die Stadt richten“, sagte OB Rosenberger in der Sitzung, um aber gleich das Bild geradezurücken. „Es ist Schwachsinn, uns mit dem Berliner Alexanderplatz zu vergleichen.“ Die Kriminalitätsstatistiken der vergangenen Jahre zeige immer den selben Trend: Horb ist eine der sichersten Städte in Deutschland. „Wir hatten im letzten Jahr lediglich zwei Fälle am Bahnhof“, betonte er.

Doch Statistiken sind die eine Sache, Gefühle die andere. Das gab SPD-Stadträtin Viviana Weschenmoser zu bedenken. Sie habe zuerst ein wenig schmunzeln müssen bei der Lektüre des Artikels. „Aber es gibt Menschen, die sich Sorgen machen, die sich unwohl fühlen“, betonte sie. Daher sollte die Stadt einen Experten damit beauftragen, eine realistische Ansicht des Horber Bahnhofs zu erstellen und den Dialog mit den Bürgern suchen.

Rosenberger pflichtete Wechenmoser bei, dass sich subjektives und objektives Empfinden natürlich unterscheiden würden. „Aber fest steht: Am Horber Bahnhof ist nichts los.“ Das würden auch die Nachtwanderer, die Streetworker und das Ordnungsamt bestätigen. „Ich habe nichts gegen ein Marketing-Konzept für den Bahnhof“, betonte der OB. Dabei müssten die Bürger eingebunden werden. „Das subjektive Empfinden können wir lenken. Daher sollten Einzelfälle nicht hochstilisiert werden.“

FD/FW-Fraktionsvorsitzender Dr. Alfred Seifriz pflichtete ihm bei: „So leisten wir nur der Hysterie Vorschub. Wir sollten aus einer Mücke keinen Elefanten machen.“ Ilse Braitmaier (OGL) berichtete aus ihren Erfahrungen als Nachtwanderin: „Am Bahnhof ist nichts los, es ist total ruhig.“ ULH-Fraktionsvorsitzender Hermann Walz erinnerte an die Kommentare in den sozialen Medien, die von „Unsicherheit zeugen“. Dr. Dieter Rominger-Seyrich wollte wissen, ob die Stadt beim „Spiegel“ nachgefragt habe, wie es Horb in den Artikel geschafft habe. Rosenberger kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das Politmagazin weder bei der Stadt noch beim Polizeirevier nachgefragt habe. Das hätte die Irrtümer bestimmt beseitigt. Aber eins sei auch klar: „Ein Bahnhof ist natürlich auch ein Bahnhof und kein Schrebergarten.“

„Der Horber Bahnhof ist kein Brennpunkt“, betont Horbs Revierleiter Markus Mast gestern gegenüber der SÜDWEST PRESSE. „Es kommt natürlich immer wieder zu Vorkommnissen, aber es ist kein Ort, an dem ständig Kriminalität geschieht.“ In 2017 kam es zu vermehr zu Pöbeleinen und Hausfriedensbruch. Aber die meisten Fälle gingen auf das Konto von zwei polizeibekannten Störenfriede. Beide sind inzwischen aber nicht mehr in Horb. Sein Fazit: Der Horber Bahnhof ist absolut kein „Angst-Ort“, den Frauen oder Kinder meiden müssen.

Was die Kriminalitätsstatistik sagt

Im Stadtgebiet Horb kam es in 2017 zu 1021 Straftaten. „Ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr“, so Horbs Revierleister Markus Mast. Im Bahnhofsbereich, zu dem auch das Einkaufszentrum und die beiden Lebensmitteldiscounter Aldi und Kaufland zählen, wurden 190 Straftaten registriert. Das entspricht dem Stand von 2016. Ein ganz großer Anteil entfällt allerdings auf Ladendiebstähle. Delikte, die sich in der Öffentlichkeit abspielten, werden von der Bevölkerung dagegen stark wahrgenommen. Am Bahnhof kam es in 2017 zu 19 Rauschgiftdelikten, 11 Sachbeschädigungen und 8 Beleidigungen. Auch hier gab es keine Steigerung.