Kirchenmusik

Viel Lob und Preis an Erntedank

17 Jahre lang war Juliane Mechler Kantorin an der Tübinger Eberhardskirche. Nun wurde sie verabschiedet.

05.10.2016

Von Achim Stricker

Die Kantorin der Eberhardskirche Juliane Mechler gibt zum Abschied den Einsatz.  Bild: Franke

Die Kantorin der Eberhardskirche Juliane Mechler gibt zum Abschied den Einsatz. Bild: Franke

Unter Juliane Mechlers Leitung gelangen der Kantorei fünf überragende Aufführungen, jede ein Meilenstein, darunter 2002 das Mozart-Requiem, 2007 Mendelssohns „Paulus“ und 2015 Frank Martins „In Terra Pax“. Mit legendärer Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit arbeiteten sich Mechler und die Kantorei oft über zwei, drei Jahre musikalisch wie theologisch und philosophisch in die Werke ein. Beispiellos das Ringen um Wahrhaftigkeit und die existentiellen Tiefendimensionen der Musik, die jedes Konzert zu einem einzigartigen, klanggewaltigen Erlebnis werden ließen.

1997 kam Mechler nach Tübingen, zunächst als Assistentin und Privatschülerin des früheren Stiftskirchenkantors Gerhard Steiff. Die Begegnung mit ihm wurde für sie prägend.

An Erntedank (Liturgie: Pfarrer Christoph Wiborg) musizierten die Kantorei und beide Kinderchöre ein letztes Mal unter Mechlers Leitung. In der Eberhardskirche blieb kein Platz frei, auch zahlreiche musikalische Weggefährt(inn)en waren zum Abschied gekommen. Bachs „Jesus bleibet meine Freude“ ging mit freudig großen Schritten voran, ein vokalreiner, gemeinsam artikulierter Chorklang. Neben Bach lag Mechler, die aus einer Familie mit jüdischen Wurzeln stammt, jüdische Musik immer besonders am Herzen. In Lewandowskis hebräischer Motette „Atto horesso – Zum Freudenfest des Gesetzes“ gestaltete Kantorei-Tenor Markus Bulling die fordernde, hohe Vorbeter-Partie mit flammendem Impetus.

Der Chor sang zunächst einstimmig, nur von der Bassgruppe getragen, dann immer vielstimmiger, auch farbiger instrumentiert. Pfarrer Harry Waßmann verwies in seiner Predigt auf die Parallelen zwischen Erntedank und dem jüdischen Dankesfest für den Empfang von Tora und Gesetz (Simchat Tora wird dieses Jahr am 25. Oktober gefeiert). Im Eingangschor der Bach-Kantate „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ BWV 93 zeigte die Kantorei alle Kunstfertigkeiten der Wortausdeutung und polyphonen Stimmführung. Als „letzte Gabe an die Gemeinde“ hatte Mechler einen Chorsatz zu „Nun danket alle Gott“ geschrieben, den die Gottesdienstbesucher vierstimmig vom Blatt sangen. Zum minutenlangen, ehrenden Beifall für Mechlers Verdienste an der Eberhardskirche erhob sich die Gemeinde.

An den Erntedank-Gottesdienst schloss sich das traditionelle Gemeindefest an – mit Gegrilltem, Salaten und 46 Kuchenspenden. Mechlers offizielle Verabschiedung um 13 Uhr eröffnete Organist Fritz Martin mit Bachs „dorischer“ Toccata BWV 538. Für die Gesamtkirchengemeinde sprach Schweitzer-Kantorin Katrin Seeger: Sie habe Mechler „immer als liebe und wertvolle Kollegin“ erlebt und sie für ihre „konstruktive Kritik und klaren Worte“ geschätzt.

Kinderchor-Mutter Susanne Porsch dankte Mechler, dass sie den Chorkindern in ihrer „ganzheitlichen Musikerziehung“ auch „schwierige Stoffe, historische Wahrheiten und grausame Schicksale zugemutet“ habe wie mit Krásas Kinderoper „Brundibar“, entstanden im Konzentrationslager Theresienstadt. Die Kinderchöre überraschten Mechler mit dem Lied „Zu Tübingen in Eberhard“, von den Choreltern auf die Kantorin gedichtet. Dann umringten die Chorkinder Mechler und überreichten ihr Blumen, die sich in Mechlers Armen zu einem opulenten Herbststrauß sammelten.

Chormitglied Uwe Liebe-Harkort sprach für die Kantorei und erinnerte an eine „intensive Zeit“ mit über 600 Proben und rund 100 musikalisch gestalteten Gottesdiensten. An Mechlers Persönlichkeit hob er „ihren hohen Anspruch und ihre Ernsthaftigkeit, aber auch ihre begeisterungsfähige Heiterkeit“ hervor und schenkte ihr zum Abschied eine Kopie der Chor-Chronik.

Pfarrer Wiborg blickte zurück auf sieben gemeinsame Jahre, in denen er und Mechler „um manches gerungen“ hatten: Oft von sehr unterschiedlichen Vorstellungen ausgegangen, hatten sie sich „im gemeinsamen Bestreben aber auch ergänzt“. So sei „oft eine ganz runde Sache“ entstanden, wie nun auch der musikalische Abschiedsgottesdienst.

Wiborg würdigte Mechlers „großartige Arbeit“: „Man wird auch in Zukunft hier noch viel von Ihnen hören – was an nachhaltiger kirchenmusikalischer Arbeit entstanden ist.“ So sang denn auch die stimmgebildete Gemeinde Mechler zum Abschied ein Segenslied im Kanon, angeleitet von Wiborg: „Dass Erde und Himmel dir blühen, dass Freude sei größer als Mühen, dass Zeit auch für Wunder dir bleib.“

Mechler hat in den letzten Jahren eine Ausbildung in Transaktionsanalyse absolviert und will künftig psychotherapeutisch arbeiten. Nachfolgerin ist Julia Aichelin, die mit einem Festgottesdienst am ersten Advent in ihr Amt eingeführt wird.