Rottweil/Horb · Justiz

Viele Aussagen, jedoch nur mäßiger Erkenntnisgewinn

Die Worte einer der Schwestern des Getöteten Nordstetters Michael Riecher nahmen am sechsten Prozesstag vor dem Landgericht Rottweil großen Raum ein.

18.06.2019

Von Manuel Fuchs

Viele Aussagen, jedoch nur
mäßiger Erkenntnisgewinn

Nicht jede der Facetten, die gestern am Landgericht Rottweil zutage traten, ließen sich an das unvollständige Puzzle um den eigentlichen Fall anbauen. Sie trugen aber dazu bei, das Bild vom getöteten Nordstetter Michael Riecher zu ergänzen.

Er sei ein anspruchsvoller Mensch gewesen, der berechtigte Kritik nicht unausgesprochen ließ, sagte der 50-jährige Koch und Inhaber einer Gaststätte in Wildberg-Gültlingen aus. Riecher sei dreimal bei ihm Gast gewesen, das letzte Mal an Allerheiligen in Begleitung des ersten Angeklagten. Der Zweite Zeuge, ein 60-jähriger Polizist aus Nordstetten, sagte, Riecher sei ihm am Nachmittag des 1. November 2018 in Begleitung eines Mannes, der Ähnlichkeit mit dem ersten Angeklagten hatte, auf dem Friedhof begegnet.

Die dritte Zeugin wohnt im gartenseitig an Michael Riechers Anwesen in der Nordstetter Weikersthalstraße 9 angrenzenden Grundstück. Seine Angewohnheit, die Terrassentür offen zu lassen, auch wenn er nicht in der Nähe war, nannte sie „gutgläubig“. Auf die Frage, wann sie Michael Riecher zum letzten Mal gesehen habe, legte sie sich nach einigem Abwägen auf Mittwoch, 31. Oktober, fest: Man habe die Gartenhecke geschnitten, was an Allerheiligen nicht gehe, also scheide der Donnerstag aus. Am Freitagmorgen habe das Schnittgut bereits abfuhrbereit sein müssen.

Die vierte Zeugin sagte, sie habe am Freitag, 2. November, gegen 17.45 Uhr jemanden in einer Wohnung in der Weikersthalstraße 9 am Schreibtisch sitzen sehen, der ein helles Hemd trug. Die Inaugenscheinnahme eines Fotos des Hauses stellte sicher, dass die Zeugin in Michael Riechers Wohnung geblickt hatte.

Schwester des Toten sagt aus

Die 58-jährige Zwillingsschwester Michael Riechers, die als Nebenklägerin dem Prozess beiwohnt, trat gestern ebenfalls in den Zeugenstand. Sie bekundete, etwas geraderücken zu wollen, und meinte damit vor allem das bisherig gezeichnete Bild ihres verstorbenen Bruders. Noch während seiner Lehre als Informationselektroniker habe er ihr gesagt, dass er „beim Arbeiten keine dreckigen Hände kriegen“ und etwas aus seinem Leben machen wolle. Gleichwohl habe er hart für sein Vermögen geschuftet, sei früh in die Versicherungsbranche eingestiegen und habe mit Immobiliengeschäften in Leipzig „die Wende als Chance genutzt“. 12-Stunden-Arbeitstage seien die Regel gewesen. Sie könne das beurteilen, da sie selbst acht Jahre lang ebenfalls in einer Wohnung in der Weikersthalstraße 9 gewohnt habe.

Ihr Bruder habe die eine oder andere Freundin gehabt, unter anderem eine Brasilianerin, die mit ihrer Tochter bei ihm gewohnt habe. Die Beziehung sei zu Ende gegangen, weil er – anders als seine Parterin – keine weiteren Kinder haben wollte. Seit er von seiner Lungenkrankheit wusste, habe er keine Beziehung mehr gehabt.

Sie selbst, sagte die Nebenklägerin, habe 2001 das Berufsleben aufgegeben und ihre Eltern gepflegt, bis diese 2004 und 2007 verstarben. Es sei unter den vier Geschwistern abgemacht gewesen, dass ihr dann das Elternhaus in der Ritterschaftsstraße 15 zufalle. Allerdings hatte nach dem Tod der Eltern niemand außer ihr mehr etwas davon wissen wollen, und es sei Funkstille eingekehrt. Sie habe sich jedoch um Kontakt speziell mit ihrem Bruder bemüht, weil man sich im selben Ort ohnehin begegne. Er habe schließlich das Elternhaus erworben und seine drei Schwestern ausgezahlt.

Michael Riecher habe ihr Elternhaus dem ersten Angeklagten und dessen Freundin unentgeltlich zur Verfügung gestellt – die Nebenklägerin bestand darauf, die nach islamischem Recht Angetraute nicht seine „Frau“ zu nennen. Es habe zwar einen Vertrag über 500 Euro Monatsmiete gegeben, die sei jedoch nie erhoben worden. Vielmehr habe der erste Angeklagte ihren Bruder im Alltag und bei Arbeiten unterstützt. Ihr Bruder habe ihr ferner erzählt, dass er im Offizierskasino auf dem Hohenberg zwei Wohnungen für sich selbst und die Familie des ersten Angeklagten einrichten wolle. Dann könne dessen Frau sich um ihn kümmern, wenn er pflegebedüftig werde.

Die Frage, ob Michael Riecher ein Alkoholproblem gehabt habe, verneinte seine Zwillingsschwester deutlich. Er kaufe wertige Weine aus der Pfalz; sie habe gesehen, dass diese sogar in Holzkisten geliefern wurden.

Sie ließ wenig Zweifel daran, dass sie im ersten Angeklagten vor allem einen Nutznießer ihres Bruders sieht, der angemessene Dankbarkeit vollkommen vermissen lässt. Dass er im Gerichtssaal die ganze Zeit grinse und nichts beitrage, störe sie immens.

Die Nachfrage der Verteidigung, woher sie wisse, dass ihr Bruder – wie sie zuvor sagte –  durch einen Mord ums Leben gekommen sei, beantwortete sie mit „Alle Tatsachen sprechen dafür.“ Ihr sei überdies bekannt, dass der erste Angeklage sehr eifersüchtig sei. Vom Hörensagen wisse sie, dass er seine Freundin massiv beschimpft, möglicherweise gar geschlagen habe, weil sie einen Schornsteinfeger ins Haus gelassen hatte.

Nichts erbeutet – aber versteckt

In der Wohnung ihres Bruders will sie nach der Tat „nichts als fehlend auffällig“ ausgemacht haben. Gleichwohl mutmaßte sie, dass die Täter mehr als die bereits bei den Angeklagten gefundenen Geldsumme erbeutet und im Komposthaufen auf dem Anwesen ihres Elternhauses versteckt haben. Dies sei der einzige Ort, den die Polizei nicht durchsucht habe.

Am Sonntag nach dem Tod ihres Bruders habe sie den ihr bis dahin nicht bekannten ersten Angeklagten im Haus ihrer Eltern aufgesucht. Er sei ihr gegenüber „die Freundlichkeit in Person“ gewesen, habe aber nicht im erwartbaren Maß Trauer über das Ableben seines Freundes und Gönners gezeigt. Das Gespräch, das vollständig auf Deutsch geführt wurde, habe ihre keine Erkenntnisse gebracht. Sie sei auch zu aufgeregt gewesen, um präzise nachzufragen. Ihr Mann, der dem Gespräch beiwohnte, bestätigte diese Aussage später im Wesentlichen und bezeichnete den ersten Angeklagten als „guten Schauspieler“.

Der siebte Zeuge des Tages, ein langjähriger Freund Michael Riechers, musste unter anderem Fragen zu dessen erotischen Präferenzen beantworten, was jedoch die Beweiserhebung nicht sichtbar voranbrachte.

Ein 50-Jähriger aus Horb berichtete als achter Zeuge, der erste Angeklagte sei ein Arbeitskollege gewesen und habe ihm mehr als einmal gesagt, er habe vor, Michael Riecher zu bestehlen. Sogar Varianten des geplanten Ablaufs habe er dargestellt. Er, der Zeuge, habe das Gespräch darüber regelmäßig abgeblockt und die Pläne als Spinnerei abgetan. Seit Riechers Tod werfe er sich vor, seinem Kollegen nicht aktiv Einhalt geboten zu haben. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass so etwas mal passieren würde“, beteuerte er aufgeregt.

Ein 33-jähriger Modedesigner, der einige Zeit in Nordstetten wohnte und angab, beide Angeklagten zu kennen, machte die letzte Aussage des Prozesstags. Den ersten Angeklagten nannte er mehrmals einen „notorischen Lügner“. Beispielsweise habe er ihn gebeten, ein Brautkleid anzufertigen. Bei der Anprobe habe es seiner Braut jedoch nicht gefallen, und der erste Angeklagte habe es daraufhin nicht mehr haben wollen. Statt 1300 Euro für das Kleid – etwa die Hälfte seien Kosten für den Stoff – habe er nur einen Bruchteil erhalten. Der zweite Angeklagte habe in einer Nacht Anfang November bei ihm das Gastrecht beansprucht und sei ihm dabei als sehr aufgeregt aufgefallen.

In den Tagen nach Michael Riechers Tod habe ihm ein Freund mit Bezug auf dessen Ableben gesagt: „Es gibt etwas, was ich nicht erzählen kann.“ Zusammen mit einem gemeinsamen Bekannten habe er diesen Freund aber doch bewegen können, bei der Polizei eine Aussage zu machen.

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Erstellt:
18.06.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.06.2019, 01:00 Uhr

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