Zwei Aus-der-Welt-Gefallene liefern sich ein dramatisches emotionales Duell.

Vier Minuten

Zwei Aus-der-Welt-Gefallene liefern sich ein dramatisches emotionales Duell.

24.11.2015

Von Dorothee Hermann

Vier Minuten

Sie kratzt sich zwanghaft die Finger wund und steht ständig unter Strom: Jenny sitzt als Mörderin im Knast und rastet bei der geringsten Provokation aus. In ihrer ungezügelten Emotionalität wirkt sie faszinierend und abstoßend zugleich (großartig gespielt von der 25-jährigen Hannah Herzsprung). Nur die alte Gefängnis-Klavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) lässt sich nicht beirren und beschließt sofort, Jennys außergewöhnliches Talent zu fördern.

Die 80-Jährige ist selbst ein ziemlich harter Brocken. Ihre eiserne Disziplin umgibt sie wie ein Panzer. In den NS-Jahren sozialisiert, pflegte sie zeitlebens eine äußerst rigide Weltsicht: Jazz ist für sie immer noch „Negermusik?. Für Jenny aber ist das freie Improvisieren die einzige Möglichkeit, sich auszudrücken. Als die alte Frau sie auf einen wichtigen Klavierwettbewerb vorbereiten will, werden die gemeinsamen Übungsstunden für beide zu einer Zerreißprobe. Nur einen kurzen Augenblick können sich die Alte und ihre Schülerin die gegenseitige Sympathie eingestehen.

Es ist eine Nähe, die sich die alte Frau verboten hat, seit in den letzten Kriegsmonaten ihre kommunistische Freundin von den Nazis hingerichtet wurde, und sie selbst die Beziehung verleugnet hatte. Vielleicht will sie Jenny ja nur deshalb als Pianistin aufbauen, weil sie selbst diese Karriere nicht schaffte. Es bleibt offen, ob es Jenny gelingt, dem destruktiven Kräftespiel ? auch die Knastwelt mischt dabei heftig mit ? zu entkommen.

Der festungsartige, preußisch anmutende Gefängnisbau, die kleine Straße, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, das kalte Licht der Aufnahmen ? sie geben dem Geschehen etwas Surreales, als könnte die Gegenwart jederzeit wegkippen. Regisseur Chris Kraus („Scherbentanz?) ist mit seinem zweiten Spielfilm ein beklemmendes Stück Kino gelungen.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 52sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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abc 06.06.200712:00 Uhr

wirklich gut gelungen!!

Manfred Wolff 13.03.200712:00 Uhr

Beide Hauptpersonen sind durch ihr vergangenes Schicksal so geschädigt, dass sie nur mühsam "normal" sein können. Die zwischen ihnen entstehenden Beziehungen scheinen immer wieder keinen Bestand zu haben. Die zwischenmenschlichen Probleme im Knast spielen eine zusätzliche belastende Komponente. Ein durch und durch gut komponierter spannender, oft brutaler Film, in dem beide scheitern - aber das Finale ist trotzdem glanzvoll - schon dieses Konzert am Schluss muss man gehört und gesehen haben. Fantastische Schauspieler in extremen menschlichen Situationen hervorragend fotografiert: mehr als "sehr gut".

Marcus 20.02.200712:00 Uhr

unglaubwürdig, an den Haaren herbeigezogen. Inzest, drittes Reich, alles miteinander vermischt. Schrecklicher Film!

filmgucker 19.02.200712:00 Uhr

ein guter film!
musikalisch zwar eher quark, handlung völlig unrealistisch (Mörderin spaziert innerhalb des Gefängnisareals fröhlich in der Gegend rum etc.), aber das ist alles egal, denn:
der film ist erfreulich unkitschig und packt einen wirklich, immer wieder überraschend und schockierend, kein sulziges happy-end, naja ein wenig sulzig...

Karl 19.02.200712:00 Uhr

ein Film, der haften bleibt, zwei geniale Schauspielerinnen, wenn die Bleibtreu auch etwas zu viel des guten macht. Sie und Hannah Herzsprung hätten einen Oscar verdient!

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