Fasnet

Vom Gottesleugner und Außenseiter zum Massenphänomen

Der Fasnachtsexperte Wulf Wagner sprach in Ergenzingen über Ursprünge und kulturelle Wurzeln des Fastnachtsbrauchtums

31.10.2016

Von Karl Ruoff

Der Narr, Stich von Heinrich Vogtherr dem Jüngeren, um 1540

Der Narr, Stich von Heinrich Vogtherr dem Jüngeren, um 1540

Jetzt wissen auch die Ergenzinger Narren, woher ihre Fastnacht kommt, und warum sie sich gerade zwischen Dreikönigstag und Aschermittwoch ins närrische Treiben stürzen. In einem äußerst interessanten, unterhaltsamen Bildervortrag erklärte Fasnachtsexperte Wulf Wagner am vergangenen Freitagabend im Adolph-Kolping-Saal die kulturellen Wurzeln der Fastnacht und nahm rund 200 Zuhörer auf eine bunte Bilderreise durch die schwäbisch-alemannische Fastnacht.

Dabei erfuhren die Anwesenden viel über die mittelalterlichen Wurzeln des faszinierenden Brauchtums und den engen Zusammenhang mit dem christlichen Jahreslauf und der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern. Wulf Wager stellte gleich zu Anfang seiner Ausführungen heraus, dass die heutige Fastnacht keinen germanischen Ursprung hat, sondern erst im 12. Jahrhundert, im Zusammenhang mit der christlichen Fastenzeit, ihren Anfang nahm. Einen Beleg dafür fand er darin, dass es Fastnacht in allen christlich dominierten Ländern Europas gibt.

Unglaublicher Aufschwung

Die Fasnet, so Wulf Wager, habe in den letzten Jahrzehnten einen unglaublichen Aufschwung erlebt. Mit rund 300000 bis 400000 aktiven Narren in Baden-Württemberg habe sie mehr Anhänger als je zuvor. Wagner hält es jedoch für keine gute Entwicklung, dass vor den eigentlichen Fastnachtstagen jede Menge Umzüge stattfinden und die Narren „ihre Kraft für die eigentlichen Fasnetstage zwischen den Haupttagen, Schmotziger Donnerstag und Aschermittwoch, schon ausgelebt haben“.

Anhand historischer Illustrationen zeigte er, dass der Narr in früheren Zeiten lange als Gottesleugner gegolten und außerhalb der Gesellschaft gestanden habe. „Der Narr spricht in seinem Herzen: ,Es gibt keinen Gott‘“, zitierte Wagner christliche Darstellungen aus dem Mittelalter. In mittelalterlichen Ständedarstellungen sei der Narr immer ganz unten platziert worden.

Mit farbenfrohen, aussagekräftigen Bildern erklärte der Referent Narrenattribute wie Rollen und Schellen, Fuchsschwanz und Hahnenfedern, Narrenspiegel und Narrenwurst sowie die Saublôder und erläuterte ihre jeweilige Symbolik. Ach die Häsformen – Blätzleshäs, Weißnarren-Kostüm¨– führte er anhand von Bildern vor: Der Weißnarr sei oft bemalt und erinnere in seiner Form an die Commedia dell‘ Arte. Frühformen der Häsverkleidung seien die heute noch teilweise üblichen Strohbären gewesen.

Bei der Erläuterung der Maskentypen erklärte Wagner, dass diese bis zum Hochmittelalter unüblich waren. Maskiert habe man sich damals mit Ruß, Fett oder Mehl. Zunächst sei dann die Stofflarve aufgekommen. Erst allmählich kamen Holzmasken mit Glatt- und Grotesk-Larven auf, wie sie heute vorherrschend sind. Aber auch heute noch seien, wenn auch nur selten, Pappmaschee- und Drahtgazelarven zu sehen.

Erstmals 1933 mit Hexe

Tierfiguren wie Hahn oder Esel verkörperten früher allegorische Figuren. Hexenfiguren hingegen, so Wagner, seien ein junges Phänomen in der Fastnacht. Erstmals sei 1933 mit der Offenburger Hexe diese Figur in Erscheinung getreten. Anhand zahlreicher Bilder zeigte Wagner, dass mit der Neugründung der vielen Zünfte nach dem Zweiten Weltkrieg auch viele Narrenhäser neu entstanden. Mit dieser Entwicklung habe sich auch die Fastnacht verändert.

Besonders ging Wulf Wagner auf das bis heute geübte Rügerecht der Narren ein, bei dem diese ihren Mitmenschen den Spiegel vorhalten. Als besonders schönes Beispiel schilderte er das Narrentreiben in Schömberg. Mit Darstellung vom Fastnachtsverbrennen und „Äschere“, dem Asche aufs Haupt streuen am Aschermittwoch, beendete Wagner seine eindrucksvoll Darstellung. Zum Schluss wies er noch darauf hin, dass an manchen Orten wie beispielsweise in Basel die Fastnacht am Aschermittwoch noch nicht zu Ende ist. Besonders aber legte er seinen Zuhörern ans Herz: „Halloween hat mit unseren Bräuchen nichts zu tun.“

Die Besucher des Abends bekamen jedoch nicht nur die Fastnacht erklärt,sondern wurden von den „Fleggahupern“ mit schmissiger Musik fast schon in Fasnetsstimmung versetzt.