Michael Hahn über den Rottenburger Bürgerentscheid

Vom Kiebinger Vorgarten um die ganze Welt

Am Anfang stand der Mut der Verzweiflung. Der Rottenburger Gemeinderat hatte den Bau eines Gewerbegebiets „Herdweg/Galgenfeld“ bei Kiebingen beschlossen, mit 20 zu 11 Stimmen.

18.10.2018

Von Michael Hahn

•Das Gewerbegebiet „Herdweg“ soll zwischen Rottenburg und Kiebingen (dem Ort in der Mitte des Fotos) entstehen: 23 Hektar rechts der Straße, die sich senkrecht durchs Bild zieht, drei Hektar auf dem kleinen grünlichen Zwickel links davon. Der Bürgerentscheid ist am 21. Oktober. Luftbild: Grohe

•Das Gewerbegebiet „Herdweg“ soll zwischen Rottenburg und Kiebingen (dem Ort in der Mitte des Fotos) entstehen: 23 Hektar rechts der Straße, die sich senkrecht durchs Bild zieht, drei Hektar auf dem kleinen grünlichen Zwickel links davon. Der Bürgerentscheid ist am 21. Oktober. Luftbild: Grohe

In dieser Situation hätten die meisten Leute klein beigegeben und sich der – demokratisch gewählten – Mehrheit gefügt. Aber nicht die Protest-erfahrenen Kiebinger.

Im drittgrößten Rottenburger Stadtteil sagten sich viele: Unser Dorf wird demnächst schon auf der einen Seite durch die neue B 28 abgeriegelt. Da wollen wir nicht auch noch auf der anderen Seite Fabrikhallen vor die Nase gesetzt bekommen. Politisch blieb nur noch ein Ausweg: das Gemeinderats-Votum mit einem Bürgerentscheid kippen. Es wäre das erste Mal in der Rottenburger Geschichte.

Die Kiebinger begannen, dafür Unterschriften zu sammeln. 2300 brauchten sie, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Nach zwei Monaten hatten sie mehr als 4500 zusammen. Sie erhielten viel Zuspruch auch aus der Rottenburger Kernstadt und aus den anderen 16 Stadtteilen.

10.07.2017 Streitgespräch zum Rottenburger Gewerbegebiet: Stephan Neher gegen Stefan Ruge
© Video: Marike Schneck 18:50 min
Rottenburgs OB Stephan Neher diskutiert mit Stefan Ruge vom Aktionsbündnis gegen das Gewerbegebiet Herdweg / Galgenfeld.

Die Debatte wurde immer breiter. Nun ging es nicht mehr nur um die Sonderbelastung für Kiebingen. Es ging nicht mehr nur ums „Wo?“, sondern auch ums: „Warum überhaupt?“. Wie soll sich Rottenburg in den kommenden Jahren entwickeln? Mit welcher Art von Wirtschaft? Mit welcher lokalen Infrastruktur? Wie wollen wir – und unsere Kinder und Enkel – leben? Was lässt sich auf lokaler Ebene gegen den globalen Klimawandel tun, gegen das Artensterben? Wie sichern wir die Nahrungsmittelproduktion, hier und weltweit?

Diese Dynamik hat Stadtverwaltung und Gemeinderatsmehrheit offensichtlich überrascht. Sie hatten mit einer eher kleinteiligen Abwägung begonnen: Welche Vor- und Nachteile bieten die jeweiligen Standorte? Auch sie argumentieren mittlerweile eher grundsätzlich. Und haben nun, in der letzten Sitzung vor dem Bürgerentscheid, beschlossen, demnächst eine neue Rottenburger „Stadtkonzeption 2030“ zu erarbeiten. Mit viel Bürgerbeteiligung.

Dass der Flächenverbrauch viele Leute umtreibt, zeigt sich allerorten. Im vergangenen Jahr stoppte eine Tübinger Bürgerinitiative die Versiegelung des Au-Brunnens. Und im kleinen Horber Stadtteil Ahldorf, nur eine Autobahn-Abfahrt von Rottenburg entfernt, mobilisiert eine Bürgerinitiative derzeit recht erfolgreich gegen die Pläne für ein Gewerbegebiet – das mit 25 Hektar ungefähr gleich groß wäre wie der „Herdweg“. Das Argument „Wenn wir’s nicht machen, dann machen es eben unsere Nachbarn“ verfängt immer weniger.

Wie auch immer die Abstimmung am Sonntag ausgehen wird: Indem die Gewerbegebiets-Gegner eine breite und lebhafte Debatte angestoßen haben, haben sie sich um die kommunale Demokratie verdient gemacht.

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Erstellt:
18.10.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 08sec
zuletzt aktualisiert: 18.10.2018, 01:00 Uhr

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