Kreis Freudenstadt · Besucherzentrum

Vom Wipfel bis unter die Erde

Offiziell wird das Kernstück des Nationalparks erst im kommenden Jahr eröffnet. Die SÜDWEST PRESSE nimmt die Leser schon mal mit ins Innere.

29.10.2020

Von Dunja Bernhard

Der Skywalk führt zwischen die Baumwipfel. Der Einbau war eine technische Meisterleistung.

Der Skywalk führt zwischen die Baumwipfel. Der Einbau war eine technische Meisterleistung.

Vor knapp zwei Wochen übergab die Vermögen und Bau Baden-Württemberg als Bauherr das neue Zentrum der Nationalparkleitung. Die Außenhaut des spektakulären Gebäudes ist soweit fertiggestellt. Beim Innenleben ist allerdings noch einiges zu tun. Auch ohne die Corona-Pandemie hätte der Zeitplan, das 35 Millionen Euro Gebäude 2020 für den Publikumsverkehr zu öffnen, nicht eingehalten werden können. Medienvertreter durften am Dienstag in zwei kleinen Gruppen einen Blick in den künftigen Mittelpunkt des Nationalparks werfen.

Gebäude mit Blickachsen

Beim Betreten des mit Weißtanne ausgekleideten Foyers fällt der Blick sogleich durch eine raumhohe Fensterwand in den Wald. Diese Durchblicke lassen sich überall finden, zwischen den Gebäuderiegeln, die übereinander geworfene Baumstämme nachahmen, und aus den Ausstellungsräumen nach draußen in die verschiedenen Etagen des Waldes.

Der Wald ist im Gebäude stets präsent, sei es im Baustoff Holz, der den Räumen auch ihren charakteristischen Geruch gibt, oder auf dem Skywalk, einem Ausleger, der mitten durch die Baumwipfel führt. Statt eines Geländers verhindern Glasscheiben ein Hinabstürzen, so dass auch Kinder einen ungehinderten Blick in die Natur haben. Und diese ragt wortwörtlich zum Greifen nah über den 65 Meter langen „Himmelsgang“. Möglich wurde dies, weil die umstehenden Fichten für den Einbau der Brückenelemente mit Spanngurten zur Seite gebogen wurden. Möglichst viele Bäume sollten auf der Baustelle erhalten bleiben. So finden sich noch jetzt von Gerüsten eingehauste oder mit Betonröhren vor dem Schotterfundament geschützte Nadelbäume. Die für die Bauarbeiten nötigen Fundamente werden noch Waldboden weichen.

Der 35 Meter hohe Aussichtsturm trägt den Besucher über die Baumwipfel und offenbart einen weiten Blick über die Berge des südlichen Schwarzwalds und eine Nahbetrachtung von Ruhesteinschanze auf der einen und Skihang auf der anderen Seite. Verkleidet ist der um 15Grad geneigte Turm mit Zedernholz aus Alaska. An diesem Detail entzündete sich schon viel Kritik. Die Alaska-Zeder hat eine höhere Widerstandskraft gegen eindringendes Wasser, erklärt Dr.Wolfgang Schlund, Nationalparkleiter. Die anderen Riegel des Gebäudes sind mit heimischer Fichte geschindelt. Beim aufrecht stehenden Turm mussten die Schindeln um 90 Grad gedreht angebracht werden. Nur so erhält er die gleiche, Baumrinde nachahmende Oberfläche wie die übrigen Gebäudeteile. Fichtenschindeln wären da zu schnell verwittert.

Dauer- und Wechselausstellung

Doch nun ins Innere: Das großzügige, lichtdurchflutete Foyer wird einmal Infotheke, Shop, Garderobe und Café aufnehmen. Von dort geht es durch einen langgezogenen Raum für Wechselausstellungen auf den Skywalk oder über einen kleinen Kinosaal in die Dauerausstellung. Die Laufflächen sind ausnahmslos barrierefrei. Der Weg durch die Ausstellung ist mit weichen Fliesen belegt, die den Besuchern ein Gefühl von Waldboden vermitteln und für den nötigen Grip für Rollstuhlfahrer oder Rollatorschiebende sorgen. Die Erklärungen sind nicht nur in deutscher, englischer und französischer Sprache sondern auch in Gebärdensprache ausgeführt.

Lenkung der Besucherströme

Die von der Hamburger Agentur Kunstraum GfK designte Ausstellung beginnt mit einem Film. So lassen sich die Besucherströme lenken, erklärt Ursula Pütz, Leiterin des Nationalparkzentrums. Zugleich soll der Film „emotional“ auf das Thema einstimmen. Der Wald werde anhand eines Baumes erklärt. Action ist auch dabei. Der Baum fällt in Richtung Zuschauer und zerreißt scheinbar die Leinwand in zwei Teile: Der Eingang zur Ausstellung öffnet sich.

Dort liegt als erstes Exponat eine umgestürzte, 500 Jahre alte Weißtanne. Den Besucher umfangen die Geräusche des Waldes, wechselnd mit dem Licht zur Tages- und Nachtzeit. Nicht mal die Sterne fehlen. Durch die Ausstellung führt erzählerisch der Wald, der recht philosophisch seine Geschichte erzählt – unter einer Klangdusche, die durch Handauflegen auf einen Holzabdruck aktiviert wird. Die wissenschaftlichen Erklärungen liefern Touchscreens. Doch vor allem wollen die Exponate zum eigenen Entdecken einladen.

Der große Auerhahn fällt sofort ins Auge. Die Waldohreule blickt in gebührendem Abstand herab. Doch wer findet die Fledermaus? Vier große Dioramen widmen sich den Themen „Zeit“, „Kommunikation“, „Stoffflüsse“ und „Vielfalt“. Dort begegnen die Besucher auch Luchs, Wolf und Salamander.

Mensch und Natur haben verschiedene Dimensionen von Zeit, sagt Charly Ebel, Leiter des Fachbereichs Besucherinformation. Ein Nationalpark richte sich nach der Walddimension. „Die entspricht nicht der Menschdimension und schon gar nicht einer Legislaturdimension.“ Einen Perspektivenwechsel soll auch der virtuelle Flug über den Schwarzwald anregen, den jeder Besucher selbst steuern und so die Sichtweise eines Vogels einnehmen kann. Noch arbeiten die Programmierer an der Optimierung des digitalen Modells.

Künstliche Intelligenz kommt ins Spiel, wo Besucher in Büchern blättern können und ein Beamer die entsprechenden bunten, sich bewegenden Bilder auf die Seiten projiziert. „Das ist dann wie in den Büchern von Harry Potter“, prophezeit Schlund.

Zu Bärtierchen und Larve

Je weiter der Besucher in der Ausstellung voranschreitet, desto tiefer begibt er sich ins Thema und in den Waldboden hinein. Da die Tierchen und Organismen dort mit dem menschlichen Auge kaum und, wenn es in den Mikrometerbereich geht, gar nicht mehr zu erkennen sind, wird der Betrachter im Verhältnis zu den Exponaten sozusagen immer kleiner. Auf eine handgroße Grabschaufel eines Maulwurfs folgt eine fußballgroße Larve. Geradezu künstlerisch mutet der verspiegelte Raum mit mannshohen Pilzhyphen an. In der Natur verbinden die Hyphen das Wurzelwerk des Waldes, sagte Ebel. „Eine Handvoll Walderde enthält mehr Organismen als es auf der Erde Menschen gibt.“ Und 90 Prozent aller Arten seien kleiner als ein Fingernagel. „Wenn ein Mensch das verstanden hat, wird er ganz verändert über den Waldboden laufen“, ist Ebel überzeugt.
Eine bei Ebay ersteigerte Orgel funktionierten die Ausstellungsmacher zur Tierstimmenorgel mit Bebilderung um. Wie hier im Frühlingszimmer kann der Besucher an vielen Stationen selbst aktiv werden und die Information mitbestimmen. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Eine bei Ebay ersteigerte Orgel funktionierten die Ausstellungsmacher zur Tierstimmenorgel mit Bebilderung um. Wie hier im Frühlingszimmer kann der Besucher an vielen Stationen selbst aktiv werden und die Information mitbestimmen. Bilder: Karl-Heinz Kuball

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Erstellt:
29.10.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 29.10.2020, 01:00 Uhr

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