In eigener Sache

Renate Angstmann-Koch geht in Rente: Von Faustschlägen bis zu Wahlerfolgen

Im Schrank stapeln sich die Ordner mit Veröffentlichungen. Insgesamt 38 Jahre hat Renate Angstmann-Koch fürs SCHWÄBISCHE TAGBLATT geschrieben. Jetzt überlässt die Lokalredakteurin das den Kolleginnen und Kollegen. Zum Abschied in ihren Ruhestand werfen wir ein paar Schlaglichter auf ihre journalistischen Berufsjahre.

27.05.2022

Von Christiane Hoyer

Verabschiedet sich in den Ruhestand: Renate Angstmann-Koch. Bild: Ulrich Metz

Verabschiedet sich in den Ruhestand: Renate Angstmann-Koch. Bild: Ulrich Metz

Wie so viele ihrer Generation zog es die 1957 in Mannheim geborene Renate Angstmann (damals noch ohne Doppelnamen) nach ihrem Studium der Germanistik und Geschichte in den Journalismus. Mit einem journalistischen Aufbaustudium in Stuttgart-Hohenheim sah sie sich gewappnet für erste Erfahrungen im Lokaljournalismus. Nach einem Praktikum im Februar 1984 bei der Neckar Chronik in Freudenstadt tauchte sie in die bunte Vielfalt des Lokaljournalismus in der TAGBLATT-Außenredaktion in Rottenburg ein. Zusammen mit Ute Kaiser schrieb sie für die ROTTENBURGER POST – übers geplante gläserne Parkhaus, über erste römische Ausgrabungen, Gemeinderatssitzungen und Gerichtsverhandlungen. So beschrieb Renate am 15. Januar 1987 in einer Glosse den Streit zwischen einem 25-jährigen Fußgänger, der schon mehrere Feierabend-Biere intus hatte, und einem Radler, der auf der mittleren Brücke radelte und von dem anderen wegen dieser angeblichen Ordnungswidrigkeit vom Rad gezerrt und mit Fäusten traktiert wurde. Das Ganze wurde schließlich vor dem Amtsgericht in Rottenburg verhandelt, und Renate schrieb in ihrer typisch trockenen Art: „Der andere Rottenburger, ebenfalls dem gegenüberliegenden Neckarufer zustrebend, muss sich durch den Radfahrer in der Fußgängerzone erheblich in seinem Rechtsempfinden gestört haben.“

Kommentar zu Haussmann

Im einjährigen Volontariat zwischen September 1988 und 1989 kommentierte Renate während ihres Ausbildungsmonats an der Hamburger Akademie für Publizistik den damaligen Strafzettel von FDP-Wirtschaftsminister Helmut Haussmann – und bekam dafür viel Lob vom Dozenten. Haussmanns Chauffeur, so Renate „tappte in die Blitzeisfalle“, der Tacho zeigte zwischen 120 und 160 km/h. „Ein wenig Risiko“, so Renate, „kann einem die Freiheit schon wert sein.“ Außerdem steigere der Unfall das Bruttosozialprodukt mit einem neuen Dienst-Mercedes. „Das ist Haussmann Deutschlands Automobilindustrie ja wohl schuldig“, so die Volontärin.

Auch wenn ihre politische Sozialisation – mit einem Großvater als Erster Bürgermeister in Mannheim und einem SPD-Landtagsabgeordneten als Vater – es nahegelegt hätte: Renate wurde nach ihrer Ausbildung keineswegs die für Politik zuständige Lokalredakteurin. Vielmehr brach sie in die Männerwelt der Tübinger Sportredaktion ein. Als erste Frau unter den Kollegen Heinz Rebmann und Hartmut Bihlmayer vertiefte sich Renate in die Welt des Sports, versuchte neue Standards und Strukturen im lokalen Sportjournalismus einzuführen und schrieb vor allem über Tennis, Reiten, Handball, übers Zeltlager der Sportkreis-Jugend in Schellbronn, über Behinderten- und Präventionssport und interviewte Prominente wie NOK-Präsident und IOC-Mitglied Willi Daume. Vor allem aber berichtete sie über Volleyball. Beim Relegationsspiel der Tübinger TSG-Erstliga-Volleyballerinnen beim saarländischen TV Fechingen war Renate natürlich vor Ort und titelte am 29. April 1991: „Mit Maßarbeit zum Klassenerhalt“. Den Artikel gab Renate damals im vorelektronischen Zeitalter übers Telefon durch. Immer mal wieder war es auch schwierig, bei Auswärtsspielen Fotos zu bekommen. Renate erinnert sich daran, wie sie von einem Fotografen-Kollegen den Film nach Tübingen mitbekam. Hier wurde er vom freien TAGBLATT-Fotografen Manfred Grohe dann in der Dunkelkammer entwickelt.

Spenderaktion für den Trainer

So sehr Renate bald Spezialistin für Volleyball wurde, arbeitete sie sich auch schnell in das Thema Leukämie und Knochenmarksspenden ein. Beim TSG-Erstliga-Trainer Winfried Schneider wurde Leukämie diagnostiziert. Typisch für Renate: ihre anfängliche Zurückhaltung. Erst, als die Familie die Krankheit öffentlich machte, stieg Renate in die Berichterstattung ein, sprach mit Experten und unterstützte eine groß angelegte Knochenmarksspendenaktion.

TAGBLATT-Besuch in Rottenburg bei den römischen Ausgrabungen 1987. Bild: Rainer Mozer

TAGBLATT-Besuch in Rottenburg bei den römischen Ausgrabungen 1987. Bild: Rainer Mozer

Nach knapp drei Jahren in der Sportredaktion zog es die mit „ran“ kürzelnde Kollegin im März 1992 in die Außenredaktion nach Mössingen. Dort war Renate unter anderem für die Gemeinde Dußlingen zuständig, besuchte regelmäßig die Gemeinderatssitzungen und machte erste Erfahrungen mit der Moderation von Podiumsveranstaltungen – im Juni 1995 zur Bürgermeisterwahl in Dußlingen. Von Anfang an war Renate auch immer wieder für kreisweite Themen zuständig und besuchte regelmäßig die Sitzungen des Tübinger Kreistags. Eine ausgewiesene Expertin wurde sie beim Thema Müll. Das Dußlinger Müllwerk musste phasenweise geschlossen werden, es stank in der Sortierfabrik, und „ran“ kommentierte den bevorstehenden „Müllinfarkt“ erstmals am 23. März 1992 – gewohnt sachlich und informativ mit Zahlen bespickt: „Das Dußlinger Werk wieder in Gang zu setzen kostet die Gebührenzahler mehr als die zehn Millionen für Biofilter und Kamin – auch wenn im Wirtschaftsplan für 1992 noch keine Mark an Investition in die Anlage ausgewiesen ist.“

So gründlich wie Renate stets recherchierte, so gründlich legte sie Dokumente und Veröffentlichungen auch ab: In ihren Ordnern ist nicht nur jeder Haushalt des Kreistags und jede Rede des Landrats abgeheftet und nachzulesen. Auch Zuschriften – damals ja noch nicht elektronisch – finden sich da mitunter, zum Beispiel von Peter Hahne. Renate schrieb über den ehemaligen ZDF-Redakteur und Zeltmissionar bei einem Besuch in Mössingen ein „Wir sprachen mit“. Sie schildert ihn als jovial und schreibt: „Er strahlt in die Menge im Zelt wie sonst zwischen der Konferenz von Rio und dem Wetterbericht“. Anschließend bedankt sich Hahne bei Renate in einem Brief über den „super Artikel“ und fragt: „Womit habe ich das nur verdient?“

Die Maultaschen von Herta

Die längste Zeit aber war Renate Redakteurin in der Tübinger Lokalredaktion, seit Oktober 1996 mit den Schwerpunkten Parteien, Politik, Kreistag und Stadtteile. Seitdem hat sie, oft zusammen mit Ex-Kollegin Ute Kaiser, sieben Bundestagswahlen, fünf Landtagswahlen und mehrere Europawahlen journalistisch begleitet. Ihr erstes Podium zur Bundestagswahl hat sie am 19. September 1998 zusammen mit Beate Rau moderiert. Sie erinnert sich daran, dass sie zuvor „sehr aufgeregt“ war. Dabei war sie wie immer bestens vorbereitet. Im Wahlkampf hatte Renate Prominente wie Oskar Lafontaine und Joschka Fischer interviewt, hatte eine „Samstags-Reportage“ über freiwillige Helfertrupps geschrieben und die einzelnen Kandidaten im TAGBLATT vorgestellt – mit Fragen, die nicht nur an der Sache orientiert waren, sondern auch die Persönlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten durchscheinen ließen. So verriet Heike Hänsel von den Linken, dass sie gerne zum Aufstehen „Here comes the sun“ hört, Annette Widmann-Mauz (CDU) gab an, sich besonders gerne an der Wurmlinger Kapelle aufzuhalten und Herta Däubler-Gmelin (SPD) antwortete, dass sie ihren Lieblingsgästen ihre „speziellen Maultaschen mit warmen Kartoffelsalat“ auftischen würde.

1998 war ein denkwürdiges Wahljahr. Da wurde Gerhard Schröder Bundeskanzler und löste Helmut Kohl ab. Und im Wahlkreis Tübingen holte Herta Däubler-Gmelin zum ersten und einzigen Mal das Direktmandat. Auch Winfried Hermann von den Grünen zog in den Bundestag ein, und Renate titelte „Ein Triumph auf ganzer Linie“. Das waren immer lange Arbeitstage für Renate und die Redaktion, die Wahlabende. Bis die Stimmen ausgezählt waren und die Ergebnisse vorlagen, war es meistens 22 Uhr. Erst dann konnte die Kollegin mit der Feinanalyse beginnen und in die Tasten hauen.

TAGBLATT-Podium zur Bundestagswahl im Sparkassen Carré mit (von links): Chris Kühn (Grüne), Anette Widmann-Mauz (CDU), Chefredakteur Gernot Stegert, Renate Angstmann-Koch (beide Moderation), Christopher Gohl (FDP), Heike Hänsel (Linke), Martin Rosemann (SPD). Archivbild: Ulrich Metz

TAGBLATT-Podium zur Bundestagswahl im Sparkassen Carré mit (von links): Chris Kühn (Grüne), Anette Widmann-Mauz (CDU), Chefredakteur Gernot Stegert, Renate Angstmann-Koch (beide Moderation), Christopher Gohl (FDP), Heike Hänsel (Linke), Martin Rosemann (SPD). Archivbild: Ulrich Metz

Nicht immer einer Meinung war Renate mit der Ansicht anderer Kollegen, wie das TAGBLATT journalistisch mit rechten Parteien und Politikern umzugehen hat. Im „Medium Magazin“ schrieb sie dazu 1998: „Es verbietet sich für Journalisten von selbst, Nachrichten zu unterdrücken, gerade als Monopolzeitung …Doch wir bieten Politikern rechts von CDU und CSU keine Gelegenheit zur glanzvollen Selbstdarstellung.“

Obwohl Renate den regelmäßigen Kontakt zu den Abgeordneten und ihren Büromitarbeitern pflegte, war ihr doch die Distanz zu ihnen wichtig, um kritisch berichten zu können. Dass sie sich selbst seit den Hartz IV-Reformen politisch links orientierte, war zwar kein Geheimnis, spielte aber in ihrer Berichterstattung keine bevorzugte Rolle. In den letzten Berufsjahren hatte sie sich, wie sie selber sagt, „ausgeschrieben“. Als langjährige TAGBLATT-Betriebsratsvorsitzende und Mitglied im Vorstand der DJU in der Gewerkschaft Verdi hatte sie ja auch noch viel anderes zu regeln. Nun kann sie sich persönlichen Vorlieben widmen und manches vertiefen, was in all den Berufsjahren zu kurz kam. Viel Spaß dabei, Renate!

Abschiedsworte von Herta Däubler-Gmelin und Prof. Wolfgang Däubler

„Renate Angstmann-Koch wird fehlen: dem SCHWÄBISCHEN TAGBLATT und den Leserinnen und Lesern. Jeder ihrer vielen Artikel zeigt: Sie weiß, worüber sie berichtet. Sie recherchiert und berichtet präzise, wo andere einfach abschreiben oder nachplappern. Gerade bei ihren Schwerpunktthemen, häufig Berichten über gesellschaftspolitische Konflikte, über schwierige Lebenssituationen von Menschen oder über arbeits- und sozialpolitische Themen ist das nicht leicht. Das bedeutet viel Arbeit und Mühe – doppelt erwähnenswert angesichts des Zeitdrucks, unter dem JournalistInnen heute meist arbeiten müssen.

Frau Angstmann-Koch ist Vorbild für alle Qualitätsjournalistinnen. Sie hat, das wissen wir alle, eine klare eigene Meinung. Sie sagt sie auch, trennt sie jedoch klar von der ihrer Interviewpartner oder vom Inhalt ihrer Berichte. Der heute leider häufige Stil, eigene oder übernommene (Unwert-) Urteile der Journalisten in vermeintliche Fragen mit dem Zweck einzukleiden, den Interviewten von vorneherein als oberflächlich, unmoralisch oder auf dem falschen Dampfer vorzuführen– das ist nicht Frau Angstmann-Kochs Sache: Sie fragt klar, kritisch und genau. Mit vagen Antworten lässt sie sich nicht abspeisen. Sie bleibt dran, bohrt auch nach. Die informierten LeserInnen des ST freut’s.

Frau Angstmann-Koch hat sich auch immer um die äußere und innere Pressefreiheit gekümmert. Das ist bitter nötig. Die Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit in anderen Ländern rügen heute viele, das ist notwendig. Die belastenden Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten bei uns und ihre Gefahren für den Qualitätsjournalismus anzuprangern, scheint indes zu heiß, das gemeinsame Organisieren und Vertreten der Interessen der JournalistInnen zu mühsam. Das fehlt. Alle wissen: Viele Zeitungen sind unter Druck. Deshalb plädiere ich schon lange auch dort für Finanzierungsmodelle die, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Qualitätsjournalismus auf Dauer ermöglichen. Mit eigenständigen JournalistInnen.

Frau Angstmann- Koch wird fehlen. Ich hoffe, sie wird künftig auch im Reich der Freiheit Zeit, Kraft und Lust haben, auch auf diesen Feldern weiterzuarbeiten.“

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Erstellt:
27.05.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 53sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2022, 01:00 Uhr

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