Energie

Von Wind und Gegenwind

Windräder im Norden erzeugen Strom, Atommeiler bald nicht mehr. Doch der Bau der Stromtrassen, die den Südwesten versorgen sollen, kommt nur schrittweise voran – und mit weiteren Protesten ist zu rechnen.

23.03.2021

Von LSW

Arbeiter bedienen auf einer Baustelle in Leingarten eine Mikrotunnelbohrmaschine für die geplante Stromautobahn Suedlink. Foto: Marijan Murat/dpa

Arbeiter bedienen auf einer Baustelle in Leingarten eine Mikrotunnelbohrmaschine für die geplante Stromautobahn Suedlink. Foto: Marijan Murat/dpa

Leingarten/Philippsburg. Verglichen mit der Größe des Vorhabens sind es bescheidene Anfänge: Eine Grube, Baumaschinen, einige Arbeiter und ein rotes Rohr, das vor dem Umspannwerk Großgartach aus einem kleinen Tunnel ragt. Seit vergangenem Sommer baut der Netzbetreiber TransnetBW in der Nähe von Heilbronn die Infrastruktur für den Endpunkt der geplanten Stromtrasse Suedlink auf. Es tut sich was. Auch bei der zweiten Trasse Ultranet, die in Philippsburg bei Karlsruhe enden wird. Beide Stromautobahnen sollen einmal große Mengen Windstrom aus dem Norden in den Südwesten bringen. Eigentlich schon seit vorgestern.

Um den Energiehunger im wirtschaftsstarken Südwesten auch nach dem Atomausstieg zu stillen, hat der Stromversorger EnBW kräftig in norddeutsche Windparks investiert. Die Windräder drehen sich schon, der Ausbau der Stromnetze kommt aber nur schrittweise voran. Fertigstellungstermine wurden wiederholt verschoben.

So sollte die fast 700 Kilometer lange Trasse Suedlink, die vom schleswig-holsteinischen Brunsbüttel nach Leingarten-Großgartach bei Heilbronn führt, bis 2022 fertig sein – wenn der letzte Atommeiler in Neckarwestheim vom Netz geht. Inzwischen gehen die Netzbetreiber TransnetBW und Tennet von einer Inbetriebnahme Ende 2026 aus. Die Entscheidung der Politik, die Trasse wegen der besseren Akzeptanz unterirdisch zu verlegen, kostet Zeit – und Geld. Statt mit rund drei Milliarden Euro wird nun mit zehn Milliarden gerechnet.

Für die meisten Abschnitte, darunter die 100 Kilometer in Baden-Württemberg, läuft inzwischen das Planfeststellungsverfahren. Etwa 7000 Einwendungen aus der Bevölkerung wurden geprüft. „Es gibt noch einige zu bewältigende Meilensteine für die Suedlink-Fertigstellung, aber wir sind zuversichtlich“, sagt Transnet-BW-Sprecher Alexander Schilling.

Schneller geht es beim auf etwa eine Milliarde Euro projektierten Ultranet von TransnetBW und Amprion. Die 340 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) von Osterath bei Düsseldorf bis Philippsburg soll 2024 als erste große Nord-Süd-Stromleitung in Betrieb gehen – geplant war einmal 2019. Dabei sollen weitgehend in bestehenden Trassen mit Wechselstrom zusätzliche Leiterseile für Gleichstrom montiert werden.

Bundesweit gibt es Bürgerinitiativen gegen die „Monstertrassen“. Bei der Suedlink-Erdverkabelung befürchten sie „Wärmekontamination“ und damit Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt. Die Ultranet-Leitung sorgt dagegen wegen befürchteter Wechselwirkungen für Ängste. Bundesnetzagentur und Netzbetreiber weisen dies zurück: Auch bei einer Hybridleitung müssten gesetzlich festgelegte Grenzwerte für elektrische und magnetische Felder stets eingehalten werden. Eine Gesundheitsgefährdung bestehe nicht.

Doch Dörte Hamann, Sprecherin des Aktionsbündnisses Trassengegner, meint: „Wir sind die Versuchskaninchen.“ Und sie fragt sich: „Geht es wirklich um die Energiewende und Versorgungssicherheit oder um Schnellstraßen für den europäischen Stromhandel? Für ein paar Windstromspitzen braucht man doch keine Milliardenprojekte.“

Proteste gab es auch an den Endpunkten der Trassen, wo in Konvertern Gleichstrom in Wechselstrom umgewandelt wird. Gegen die damals geplanten Anlagen nahe am Ort hatte Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus (parteilos) Widerstand angekündigt. Der hat sich inzwischen erledigt: Mit dem Abbruch der Kühltürme des ehemaligen Kernkraftwerks im Mai wurde Platz geschaffen für das Umspannwerk – weit weg von Häusern. „Konstruktiver Widerstand, immer im Gespräch bleiben und nach Lösungen suchen, lohnt“, so Martus.

Freie Bahn also ? Auch wenn es wegen Corona etwas stiller um Suedlink wurde – für Dörte Hamann ist der Kampf nicht vorbei. Klagen seien in Vorbereitung, sagt sie. „Der Protest wird unterschätzt. Noch ist die Stromautobahn in weiter Ferne. Wenn die Leute die massiven Eingriffe in die Natur erst sehen, werden sie richtig sauer.“ Susanne Kupke

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Erstellt:
23.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 23.03.2021, 06:00 Uhr

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