Wandergruppe bringt Flüchtlinge und Einheimische zusammen

Vorwärts gehen und Freundschaften knüpfen

Gemeinsam wandern, singen, spielen und nebenher Grenzen überwinden – diesem Konzept folgte die „GoForward-Wandergruppe“ in Tübingen und brachte Syrer und Deutsche auf einer besonderen Ebene zusammen.

02.11.2016

Von Anja Kerber

Syrer und einige Deutsche aus dem ganzen Land kamen nach Tübingen, um gemeinsam zu wandern. Bild: Kerber

Syrer und einige Deutsche aus dem ganzen Land kamen nach Tübingen, um gemeinsam zu wandern. Bild: Kerber

Eine Gruppe aus knapp 70 Personen singt fröhlich traditionelle syrische Lieder, lacht und wippt im Takt mit, und das alles während sie durch Tübingen und Umgebung wandert. Die Rede ist von der GoForward-Europa Wandergruppe, deren Organisatoren es sich zum Ziel machen, Syrer und Deutsche zusammenzubringen, um ein individuelles Kennenlernen zu ermöglichen.

„Das Konzept stammt aus Syrien. Dort wird dann tagelang gewandert, man kann sich ausführlich unterhalten und nebenher andere Menschen kennenlernen“, sagt Rima Ghanem, die seit sieben Jahren in Tübingen wohnt. Nachdem das Konzept bereits in Saarbrücken und Trier umgesetzt wurde, holte Ghanem es nun gemeinsam mit einem fünfköpfigen Team nach Tübingen.

„Ich liebe die Stadt und ihre Vielfalt, das schöne Stadtbild, die tolle Umgebung. Und ich finde das Wanderprojekt sinnvoll und spaßig, also habe ich beides unter einen Hut gebracht“, sagt sie.

Von Freitag bis Sonntag verbrachte die Gruppe ein abwechslungsreiches Wochenende. Untergebracht war sie beim Verein für Kampfkunst und Gewaltprävention Ki-Dojo im Loretto-Viertel. „Es war sehr mühsam, eine sehr günstige Unterkunft für so viele Leute zu finden. Ki-Dojo haben uns dann zugesagt und wir müssen noch nicht einmal Geld dafür zahlen“, freut sich Ghanem.

„Auch die Einheimischen aus Tübingen übernachten mit den aus ganz Deutschland angereisten Syrern, damit die Gruppe gut zusammenwachsen kann“, so Ghanem. Insgesamt sei das Projekt so ausgelegt, dass wenig Kosten entstehen. Die Teilnehmer müssen nur das Essen mitfinanzieren.

Im Mittelpunkt des Konzepts steht das Wandern. So machte sich die Gruppe am Samstag auf den Weg von Tübingen über Bebenhausen und Entringen bis nach Unterjesingen und wieder zurück nach Tübingen. „Es ist schön, so viele neue Leute kennenzulernen und sich beim Gehen über alles Mögliche zu unterhalten“, freut sich Kinan Jaous, der seit eineinhalb Jahren in Jena lebt und studiert. „Wir sind jetzt schon eine richtige Gruppe, und die Laune und Stimmung sind super.“

Neben dem gemeinsamen Wandern hat die Gruppe auch eine Aufgabe bekommen. „Wir haben für diese Wanderungen immer ein Thema“, erklärt Mitorganisator Salim Barkil. „Dieses Mal steht die Identität im Fokus. Wir wollen uns überlegen, für wen wir gehalten werden, wer wir sind und wer wir sein wollen.“ Klischees und Vorurteile würden es allen Nationalitäten schwer machen, selbst zu sehen, wie man ist. Besonders für Geflüchtete seien die Fragen „Woher kommst du? Wer bist du? Was willst du?“ oft schwer zu beantworten. „Beim Wandern wollen wir uns ganz individuell darüber Gedanken machen und Antworten finden“, so Barkil. Am Mittag wurde die Gruppe dann unterteilt in Kleingruppen, und die Gedanken und Gespräche, die zur Thematik Identität entstanden sind, wurden individuell besprochen. „Wir möchten, dass sich die verschiedenen Nationalitäten wirklich auf jeder Ebene kennenlernen, und das klappt auf diese Weise hervorragend“, so Barkil über den tieferen Hintergrund.

Anders als im ursprünglichen Konzept wurde in Tübingen aber nicht nur gewandert, auch kulturelle Einblicke bekam die Gruppe. So war für den nächsten Tag ein mehrstündiges Städtequiz anberaumt. Seit wann gibt es die Stiftskirche? Wie viele Studenten leben in Tübingen? Und welche erfolgreichen Forschungen hat die Uniklinik vorangebracht? „Das Programm ist wirklich vielfältig“, freut sich Salem, Student aus Tübingen. Er wurde durch seinen syrischen Freund auf das Projekt aufmerksam. Am Mittag ging es weiter auf den Österberg ins Lichtensteinhaus, um dort gemeinsam zu musizieren und Theater zu spielen.

Da es schon der letzte Abend vor der Abreise war, wurde dieser ausgiebig genossen. Als große Überraschung wurde um Mitternacht der 40. Geburtstag von einem der Mitorganisatoren, Fadi Alnizami, gefeiert und die Nacht klang in fröhlicher Atmosphäre aus. „Das nächste Mal würde ich mir nur wünschen, mehr deutsche Gesichter zu sehen“, resümiert Ghanem am Ende.