Im Gespräch

Was bringt die Zukunft?

Trotz vieler Störungen in den Lieferketten haben die Maschinen- und Anlagenbauer aus Deutschland ihre Ausfuhren 2021 deutlich um 9,8 Prozent auf 179,4 Milliarden Euro steigern können. 2022 könnte ein Rekordjahr werden – nun bringt allerdings die russische Invasion der Ukraine neue Unsicherheiten. Wir sprachen mit Dr. Dietrich Birk, dem Geschäftsführer des VDMA Baden-Württemberg, zu den Aussichten und aktuellen Entwicklungen.

18.03.2022

Von Ralf Flaig / Simone Maier|FOTOS: VDMA Baden-Württemberg

Dr. Dietrich Birk, Geschäftsführer des VDMA Baden-Württemberg

Dr. Dietrich Birk, Geschäftsführer des VDMA Baden-Württemberg

Herr Dr. Birk, wie ist die aktuelle Lage bei den baden-württembergischen Maschinen- und Anlagenbauern?

Mit einem realen Auftragsplus von 29 Prozent ist die Branche im vergangenen Jahr wieder klar in die Erfolgsspur gefahren. Natürlich hat uns der durch Corona bedingte Nachfrageeinbruch zunächst schwer getroffen. Doch ab Herbst 2020 haben die Kunden – zuerst in China, dann auf den anderen internationalen Märkten und zunehmend auch im Inland – ihre Zurückhaltung aufgegeben und wieder Investitionen in Maschinen, Ausrüstung und Services getätigt. Infolge der rasant anziehenden Nachfrage gerieten allerdings die Lieferketten unter Druck. Hartnäckige Engpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen, aber auch Probleme in den Bereichen Logistik und Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen beschäftigen die Unternehmen bis heute und führen dazu, dass Aufträge nur verzögert abgearbeitet werden können.

Was erwarten Sie in diesem Jahr für Ihre Branche?

Wir sind für das laufende Jahr durch die gute Auftragslage und hohe Auftragsbestände grundsätzlich optimistisch. Die weltweiten Kunden haben hohe Investitionsbedarfe, um ihre Transformationsprozesse erfolgreich umzusetzen – und der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland und Baden-Württemberg genau die richtigen Produkte im Angebot. Dennoch wird der Angriff Russlands auf die Ukraine natürlich nicht ohne Folgen bleiben. Die durch die EU eingeleiteten Sanktionen erfassen weite Teile des europäischen Maschinen- und Anlagenbaus und betreffen Exporte im Volumen von mehreren hundert Millionen Euro. Dennoch bleibt es richtig, die Aggression gegen die Ukraine hart zu sanktionieren in der Hoffnung, auf diese Weise zu einem Ende der Gewalt beizutragen.

Wie sehr macht der hiesigen
Maschinenbaubranche der chinesische Wettbewerb zu schaffen?

Die Corona-Pandemie hat Chinas Aufstieg als Maschinenbau-Nation einen kräftigen Schub verliehen, weil das Land sehr früh und nur sehr kurz betroffen war, während der europäische Absatzmarkt durch die Pandemie einen kräftigen Dämpfer erlitt. Dadurch konnte China seinen Anteil am Weltexport im Maschinenbau auf knapp 16 Prozent erhöhen und Deutschland als Exportweltmeister erstmals überholen. Der langfristige Trend spricht klar für China. Gemäß einer unserer jüngsten Umfrage zu diesem Thema erwarten 81 Prozent der teilnehmenden VDMA-Mitglieder künftig weitere erhebliche Wettbewerbssteigerungen der chinesischen Konkurrenz. Mit Blick auf die rasch aufholende lokale Konkurrenz in China führt zur Sicherung des langfristigen Erfolgs kein Weg daran vorbei, sich zunehmend mit der chinesischen Innovationsleistung und den Bedürfnissen der chinesischen Kundschaft zu messen. Eigene Innovation dürften dabei der wirksamste Hebel sein.

Der deutsche Maschinenbau lebt traditionell vom Export.
Inwieweit haben die Unternehmen noch mit der Corona-
Pandemie zu kämpfen?

Vertrieb, Inbetriebnahme, Montage und Wartung – all das gehört zum Verkauf einer Maschine oder Anlage dazu. Die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen haben entsprechend natürlich fast alle Maschinen- und Anlagenbauer getroffen. Zum Teil konnten Remote Services die Ausfälle kompensieren.

Momentan merken wir in vielen Ländern nach wie vor Einschränkungen, gerade Reisen in Drittländer außerhalb der EU bleiben problematisch. Rund 67 Prozent der Unternehmen sehen sich nach wie vor durch Reise- oder Aufenthaltsbeschränkungen belastet. Trotz dieser Schwierigkeiten und der Störungen in den Lieferketten ist der Export 2021 um 14 Prozent gegenüber Vorjahr gewachsen. Wir sind damit bereits wieder beim Vorkrisenniveau angekommen.

Schlägt sich das gestiegene
Vertrauen der Branche
auch in Arbeits- und
Ausbildungsplätzen nieder?

Die Unternehmen investieren in Ausbildung, haben aber im Vergleich zu vergangenen Jahren mehr Mühe, ihre Fachkräfte von morgen zu finden. Wir erleben in den maschinenbaurelevanten Berufsbildern aktuell einen deutlichen Rückgang an Ausbildungsinteressierten. Corona hat die erfolgreiche Zusammenführung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ebenfalls belastet, die Entwicklung – bedingt durch Demografie und höhere Studienorientierung – kennen wir aber nicht erst seit gestern.

An ihren Stammbelegschaften haben die Betriebe während Corona wo immer möglich festgehalten. Kurzarbeit war das Mittel der Wahl, um Beschäftigung zu sichern. Bundesweit wollen nun 67 Prozent der Unternehmen in moderatem Umfang ihre Belegschaften aufstocken – wenn Sie die Fachkräfte bekommen. Denn 70 Prozent der Unternehmen leiden unter merklichem oder gravierendem Fachkräftemangel.

Wie geht Ihre Branche mit dem Fachkräftemangel um?

Tatsächlich werden der Fachkräftemangel und der demografische Wandel von den Betrieben als größte Herausforderung des Maschinenbaus in den nächsten Jahren gesehen – noch vor Digitalisierung und Dekarbonisierung. Die Firmen setzen alle Hebel in Bewegung, um an Fachkräfte zu kommen – Employer Branding-Maßnahmen, Social Recruiting und so weiter. Doch gerade die begehrten Fachkräfte aus den Bereichen Software-Entwicklung und IT-Anwendung sind nicht ausreichend auf dem Markt vorhanden. Eine Reihe von politischen Maßnahmen kann lindern, jedoch keine völlige Abhilfe schaffen: Die Förderung bedarfsorientierter Weiterbildung, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen oder auch eine gezielte Zuwanderung. Sorge bereitet, dass die Zahl der Erstsemester in den Ingenieurwissenschaften seit einigen Jahren sinkt. Denn der Maschinen- und Anlagenbau braucht kreative Ingenieurinnen und Ingenieure, um seine internationale Spitzenstellung behaupten zu können.

Deutsche Ingenieure genießen weltweit höchstes Ansehen.
Schaffen Sie auch die Digitalisierung der Unternehmen?

Die Digitalisierung und die Entwicklung klimafreundlicher Technologien stellen den Maschinen- und Anlagenbau vor große Herausforderungen. Ingenieurinnen und Ingenieure sind gefragt, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Entsprechend benötigen wir neue Qualifikations- und Kompetenzprofile in der Ingenieurausbildung. Die Hochschulen müssen mit dem technischen Fortschritt gehen und ihre Curricula rasch anpassen.

Gibt es beim Thema
Digitalisierung in der Region
Tübingen/Reutlingen/Stuttgart beispielhafte Unternehmen?

Im vielfältigen Maschinenbau gibt es zahlreiche Betriebe, die spannende digitale Innovationen liefern. Unser Wettbewerb 100 Orte für Industrie 4.0 hat in den vergangenen Jahren Lösungen prämiert, die das Potenzial von Industrie 4.0 voll ausschöpfen, darunter kleine wie große Unternehmen. Sie setzen sich erfolgreich mit I4.0 in allen Spielarten auseinander: Künstliche Intelligenz, Lernen 4.0, Produkte und Prozesse, Software oder Vernetzungslösungen.

Derzeit ist von Chipmangel in
allen Bereichen die Rede.
Inwieweit betrifft er auch den
Maschinenbau?

Der Maschinenbau ist in hohem Maße vom Chipmangel betroffen. Vier von fünf der Unternehmen spüren merkliche oder sogar gravierende Beeinträchtigungen der Lieferketten; es fehlen vor allem Elektronikkomponenten (86 Prozent berichten von merklichen oder gravierenden Problemen), sowie Metalle.

Wann kehrt bei den Lieferproblemen wieder Normalität ein?

Eine weitgehende Entschärfung wird frühestens im 2. Quartal 2022 erwartet, bei Elektronikkomponenten ist eine Entspannung nicht vor dem dritten Quartal abzusehen.

Wie weit sind die baden-
württembergischen Firmen aus Ihrer Branche auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion?

Wir haben im letzten Jahr unsere Betriebe in Baden-Württemberg gefragt, wie sie die Auswirkungen der EU-Klimastrategie auf ihr Unternehmen einschätzen. Ergebnis der Umfrage: Über 50 Prozent der Unternehmen sieht hier eine Chance für neue Geschäftsmodelle, Produkte und Services. Klar ist jedoch auch: Nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften ist eine langfristige Herausforderung für Unternehmen und muss passgenau modelliert werden. Einige Unternehmen starten mit einem Produktionsstandort und nehmen die Erfahrungen auf dem weiteren Weg der Klimaneutralstellung weiterer Standorte mit. Andere Unternehmen setzen ihren Fokus zunächst auf die Optimierung einzelner Produktgruppen. Der VDMA hat Ansätze unterschiedlicher Unternehmen zusammengetragen. In Baden-Württemberg machen sich die Maschinenbauunternehmen auf in Richtung Klimaneutralität.

Viele Maschinenbauer im
Ländle sind Mittelständler.
Wie sieht es mit der
Unternehmensnachfolge aus?

Es gibt dazu keine aktuellen empirischen Erkenntnisse. Aus Einzelfällen, die wir mitbekommen, lassen sich keine Schwierigkeiten in der Nachfolge erkennen. Im Gegenteil, der Maschinenbau ist weiter stark geprägt von Familienunternehmen, die in hohem Maße Verantwortung vor Ort wahrnehmen und in der Regel ihrer Heimatregion treu bleiben.

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Erstellt:
18.03.2022, 07:59 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 57sec
zuletzt aktualisiert: 18.03.2022, 07:59 Uhr

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