Worum sich Journalisten und Verleger streiten

Seit März sind etliche Redaktionen immer wieder im Warnstreik: Was steckt dahinter? Worum geht‘s?

Die Gehaltstarifverhandlungen für die bundesweit rund 13 000 Tageszeitungsredakteure treten nun in den fünften Monat ein. Am kommenden Montag beginnt die sechste Verhandlungsrunde, auf die sich jetzt alle Hoffnungen richten.

02.06.2018

Von Ulla Steuernagel

Georg Wallraf ist der Verhandlungsführer der Verleger. Mit einer „Wallraf-Maske“ bekundeten Journalistinnen und Journalisten, hier bei einer Kundgebung in München, ihre Unzufriedenheit mit den Tarifverhandlungen, die am kommenden Montag in die sechste Runde gehen.Bild: Steuernagel

Georg Wallraf ist der Verhandlungsführer der Verleger. Mit einer „Wallraf-Maske“ bekundeten Journalistinnen und Journalisten, hier bei einer Kundgebung in München, ihre Unzufriedenheit mit den Tarifverhandlungen, die am kommenden Montag in die sechste Runde gehen.Bild: Steuernagel

Das TAGBLATT sprach mit Gewerkschaftern und wertete die Mitteilungen der Journalisten-Gewerkschaften DJU und DJV und des Arbeitgeberverbandes aus, um zu erklären, worum es beiden Seiten geht.

Worum geht es bei diesen

Verhandlungen?

Es geht um die Honorare und Gehälter, nicht um das Aushandeln eines neuen Manteltarifvertrags, der meistens eine längere Laufzeit hat und in dem es um Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitregelungen, Urlaub, Lohnfortzahlungen bei Krankheit etc. geht. Die Gehaltstarifverträge sind dagegen meist von kürzerer Wirkungsdauer und regeln vor allem die Vergütung und die Eingruppierung der Beschäftigten. Der derzeit gültige Manteltarifvertrag für Tageszeitungsjournalisten ist rückwirkend seit dem 1. Januar 2014 in Kraft und kann frühestens zum Jahresende 2018 gekündigt werden. Der Gehaltstarifvertrag lief Ende letzten Jahres aus, damit sind die Neuregelungen längst überfällig.

Was fordern die

Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften fordern 4,5 Prozent mehr Gehalt für Redakteure und feste Freie, also die regelmäßig arbeitenden Honorarkräfte. Jungredakteure und Volontäre sollen mindestens 200 Euro im Monat mehr bekommen. Der Tarifvertrag soll eine Laufzeit von 12 Monaten haben.

Was bieten die

Arbeitgeber?

Die Verleger boten zunächst eine Erhöhung von 2,4 Prozent in zwei Schritten bei einer Laufzeit von 30 Monaten. „Die Tageszeitungen in Deutschland befinden sich seit Jahren in einem digitalen Transformationsprozess. Sie leisten zu seiner Bewältigung erhebliche Investitionen, um die Zukunft guter journalistischer Leistung zu sichern und ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen“, erklärte Verhandlungsführer Georg Wallraf dazu. Am Ende der fünften Tarifrunde, am 26. April, hatten die Verleger ihr Angebot auf 2,8 Prozent, ausgezahlt in zwei Staffeln, mit einer Laufzeit von 24 Monaten und einer Einmalzahlung von 250 Euro zum 1. Mai 2018 umgewandelt oder alternativ eine Erhöhung in zwei Etappen von insgesamt 3,2 Prozent und eine Einmalzahlung von 300 Euro zum 1. Mai 18 geboten (Laufzeit 30 Monate). Volontäre und Berufseinsteiger sollten 80 beziehungsweise 120 Euro mehr bekommen. Der Manteltarifvertrag sollte bis Juli 2020 laufen.

Warum nahmen die Gewerkschaften das Angebot nicht an?

Sowohl die DJU (Deutsche Journalistenunion), die Verdi angeschlossen ist, als auch der DJV (Deutscher Journalistenverband) betrachten beide Angebote als unannehmbar, denn sie bedeuteten einen Reallohnverlust für die Tageszeitungsjournalisten. Die gebotenen Erhöhungen gleichen aufs Jahr umgerechnet nicht die derzeitige Inflationsrate von 1,6 Prozent aus. Unter dieser Rate wollen die Gewerkschaften auf keinen Fall abschließen, sie verlangen einen Reallohnzuwachs.

Was passiert, wenn sich die

Tarifpartner nicht einigen können?

Die Verhandlungen werden unterbrochen. In der fünften Verhandlungsrunde trennte man sich am 25. April ohne Ergebnis und ohne neuen Termin. Flankierend dazu waren 60 Tageszeitungsredaktionen, etliche darunter mit der Mehrzahl ihrer Redakteure, im ganzen Bundesgebiet in den Warnstreik getreten. Nun haben sich die Tarifparteien zur Weiterverhandlung auf Montag, 4. Juni, geeinigt. Zur Bekräftigung ihrer Position sind wieder etliche Redaktionen in den Warnstreik getreten oder tun dies noch. Zentrum des Protestes sind Redaktionen in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Warum spitzt sich der Arbeitskampf so zu, wo es doch bei den Verhandlungen nicht um die Rahmenbedingungen der journalistischen Tätigkeit, sondern ,nur‘ um die Bezahlung geht?

Der Druck in den Redaktionen ist im Laufe der letzten Jahre gestiegen. Die Redaktionen mussten Personalabbau hinnehmen und auch, dass ihnen immer mehr Aufgaben von Layout bis Online aufgebürdet wurden. Die Gehaltsstufen der Neueinsteiger wurden gekappt. Jungredakteurinnen und -redakteure haben meist ein Studium absolviert und werden nicht entsprechend vergütet. Journalisten beklagen, dass die Attraktivität ihres Berufes für junge Leute damit abgenommen hat und viele in besser bezahlte PR-Jobs abwandern. Journalisten beklagen einen allgemeinen Wert- und Imageverlust ihres Berufes. Sie wollen verhindern, dass der Wert ihrer auch für die Demokratie wichtigen Arbeit schwindet.

Und die Verleger? Ziehen die nicht am gleichen Strang?

Vorbei sind die ,goldenen Zeiten’, als die Auflagen stiegen, ein Zeitungsabo eher die Regel als die Ausnahme war und den Zeitungen auch nicht um ihre Anzeigenkunden bange sein musste. 2017 meldete der Online-Mediendienst „Meedia“ bei Tageszeitungen Verluste von um die 10 Prozent. Die Printmedien haben ihre solide Stellung eingebüßt, die Internetkonkurrenz um Leserschaft und Anzeigengeschäft ist groß. Die Verlage mussten und müssen kostspielige Online-Investitionen tätigen, um sich für die Zukunft zu wappnen. Beim diesjährigen Treffen der Zeitungsverleger forderte sie jedoch ihr Verbandsvorsitzender, Springer-Chef Mathias Döpfner, auf: „Investieren Sie in kritische Querköpfe, die uns manchmal nerven, die aber oft den Finger in die Wunde legen.“ Mittlerweile gibt es eine Reihe von Verlagen, die nicht mehr bereit sind, in ihre Mitarbeiter/innen zu investieren, die die Tarifbindung komplett umgehen und Jungredakteure zu schlechteren Bedingungen einstellen. Das SCHWÄBISCHE TAGBLATT gehört nicht dazu.

Warum bekommt die Öffentlichkeit so wenig vom Arbeitskampf des

Tageszeitungsjournalisten mit?

Viele Verlage bemühen sich, den Arbeitskampf unterm Deckel zu halten. Sie haben Angst, dass die Leserinnen und Leser kein Verständnis für den Streik und eine dünnere Ausgabe ihrer Zeitung aufbringen. Andere glauben hingegen, dass es besser ist, die Leser über die Protestaktionen aufzuklären. Die Leserschaft wisse es durchaus zu schätzen, wenn Journalisten für die Interessen und die Qualität ihres Berufstandes eintreten.

Wie sind die Prognosen für die

kommende Runde?

Die Journalistenverbände wollen nur dann abschließen, wenn das Verlegerangebot deutlich über der Inflationsrate liegt. Der Wille zur Einigung, dies wird von beiden Seiten signalisiert, ist da. Falls Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Basis finden, könnten die Gewerkschaften die Verhandlungen für gescheitert erklären und zur Urabstimmung über Streik aufrufen. Die nächste Stufe wäre dann ein unbefristeter Streik.

Tarifbindung, Warnstreik und längster Streik – ein paar Daten

Journalist(inn)enbei Tageszeitungen, die vom Tarifstreit betroffen sind: 13 000 sowohl Festangestellte als auch arbeitnehmerähnliche Freie.

In Baden-Württemberg sind laut Auskunft von Verdi folgende Zeitungen tarifgebunden: Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten (Gemeinschaftsredaktion), Mannheimer Morgen, Heilbronner Stimme, SÜDWEST PRESSE Ulm (mit ihren Töchtern und der NWZ Göppingen), SCHWÄBISCHES TAGBLATT, Reutlinger Generalanzeiger, Schwäbische Post Aalen, Haller Tagblatt, Hohenloher Tagblatt, Ludwigsburger Kreiszeitung, Nürtinger Zeitung, Esslinger Zeitung, Canstatter Zeitung, Badisches Tagblatt Freiburg, Zollern-Alb-Kurier (möglicherweise unvollständige Liste).

Über Haustarife angekoppelt sind zum Beispiel der Schwarzwälder Bote, die Kreiszeitung Böblinger Bote und die Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe.

Definitiv tariflos sind Schwäbische Zeitung, der Konstanzer Südkurier und die Fränkischen Nachrichten (auch hier könnte es noch weitere Zeitungen geben). Auch in diesen Verlagen haben einzelne Redakteurinnen und Redakteure Tarifbindung über ihre Arbeitsverträge oder über die gesetzliche Nachwirkung von Tarifverträgen.

Bundesweit gesehen sind Baden-Württemberg und Teile Nordrhein-Westfalens die streikfreudigsten Regionen – gefolgt von Zeitungen in Bayern, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Thüringen.

Bei der derzeitigen Tarifauseinandersetzung kamen über Warnstreiks seit dem

12. März in einigen Redaktionen rund drei Streikwochen zusammen.

Der längste Streik von Tageszeitungsredaktionen fand im Jahr 2004 statt, als verschiedene Redaktionen nach einer Urabstimmung zum Manteltarifvertrag bis zu sechs Wochen streikten.

Noch länger, nämlich 96 Tage, streikte die Redaktion des Schwarzwälder Bote 2011, weil ihr Verleger die Tarifbindung verließ. Die Auseinandersetzung endete mit einem Erfolg für die Streikenden, die sich ihre Tarifgeltung sicherten (allerdings nicht für Neueinstellungen).

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Erstellt:
02.06.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 30sec
zuletzt aktualisiert: 02.06.2018, 01:00 Uhr

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