Altenhilfe: Einst beispielhaft, nun aufgegeben

Weil die Form die Funktion nicht mehr erfüllt

Die Architektur der Altenheime im Ringelbach und Vollen Brunnen war einst beispielhaft, aber jetzt genügt sie den Pflegestandards nicht mehr.

25.04.2017

Von Uschi Kurz

Einst Vorzeigeobjekt – heute versprüht das Hallenbad im ehemaligen Alten- und Pflegeheim „Ringelbach“ einen morbiden Charme.Bild: Haas

Einst Vorzeigeobjekt – heute versprüht das Hallenbad im ehemaligen Alten- und Pflegeheim „Ringelbach“ einen morbiden Charme.Bild: Haas

Der Standort ist traditionsreich: 1928 wurde im Ringelbach das erste Reutlinger Altenheim eröffnet. Fünf Jahrzehnte später entstand daneben der Neubau, entworfen und realisiert vom Stuttgarter Stararchitekten Günter Behnisch. Ein Bau, der aufgrund seiner zukunftsweisenden Konzeption in den Folgejahren alles abräumte, was es an renommierten Architekturpreisen gab. 1976 ging das Alten- und Pflegeheim Ringelbach in Betrieb; 1977 erhielt es den Deutschen Architekturpreis, zahlreiche weitere Auszeichnungen folgten. Und so war es nicht verwunderlich, dass der Alt- und der Neubau alsbald unter Ensembleschutz gestellte wurden.

Mittlerweile sind im Pflegebereich die Standards sowohl bei den Anforderungen an den Komfort als auch an die Sicherheit gänzlich andere geworden. Vor allem der verschärfte Brandschutz erweist sich als K.o.-Kriterium. Doch es war längst nicht das einzige. Das Altenpflegeheim Ringelbach kann für den ursprünglichen Zweck nicht mehr genutzt werden, eine Sanierung kam aufgrund der Kosten nicht in Frage (siehe Kasten).

Im Sommer 2015 haben die letzten 28 Bewohner den Behnisch-Bau verlassen und sind in den Neubau der Reutlinger Altenhilfe (RAH) nach Sondelfingen gezogen. Was mit dem Ensemble geschehen soll, ist noch unklar. Alle Umnutzungsideen – vom Studentenwohnheim bis zum betreuten Seniorenwohnen – haben sich als unrealistisch erwiesen. Die Stadt möchte das Gebäude verkaufen. Momentan, so Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn, werde ein denkmalpflegerischer Rahmenplan erstellt, damit ein potenzieller Investor weiß, was überhaupt an Nutzung in dem Ensemble möglich wäre. Bei der Untersuchung gab es eine Überraschung: Die Schindelfassade, die die Denkmalschützer gerne erhalten würden, war gar nicht so im Baugesuch enthalten. Hahn ist überzeugt: „Die wäre auch schon damals nicht genehmigt worden.“ Aus Brandschutzgründen.

Eine Sorge, die durchaus berechtigt war, wie RAH-Geschäftsführer Werner Rumpel beim Rundgang durch das verwaiste Gebäude erzählt. Vor Jahren, als das Haus noch voll belegt war, hatte sich bei Arbeiten an der Fassade versehentlich hinter den Schindeln ein Feuer entzündet. Glücklichweise, so Rumpel, hätte es heftige Rauchentwicklung gegeben, so dass man den Brand rasch entdeckte. Dennoch hätte es damals fast ein Inferno gegeben: „Wir standen kurz davor, Evakuierungsalarm zu geben.“

193 Bewohner zählte der Prestigebau einst. Die Senioren wohnten vor allem in Ein- und Zweibettzimmern, von den jeweils zwei zusammen ein eigenes Bad hatten. Jedes Zimmer war gen Süden ausgerichtet und hatte Zugang zu einem Balkon mit Blick auf den Park. Im Erdgeschoss plätscherte ein kleiner Brunnen. Im Untergeschoss lud ein Hallenbad zum Schwimmen ein. „Dieses Haus hat glanzvolle Zeiten erlebt“, erinnert Rumpel an die rauschenden Sommer- und Herbstfeste im Garten, zu denen die Besucher nur so strömten. Doch die gehören längst der Vergangenheit an. Damit das leer stehende Gebäude nicht verfällt, wird es weiterhin beheizt. Die RAH, die sich um die Haustechnik kümmert und auftretende Schäden repariert, unterhält dort eine kleine Werkstatt. In der ehemaligen Kapelle werden regelmäßig Mitarbeiter-Schulungen abgehalten. Dann, so Rumpel, kehre wenigstens etwas Leben zurück.

Der verwinkelte Grundriss, der einst den Charme ausmachte, spricht jetzt gegen eine Nutzung als Pflegeheim. Die Menschen, die heute ins Heim gehen, sind längst nicht mehr so rüstig wie früher. Und wenn die Senioren, wie es immer häufiger der Fall ist, an einer Demenz leiden, sind sie in dem Labyrinth aus Gängen und Treppen gänzlich verloren. Auch für die Mitarbeiter/innen waren die Arbeitsbedingungen zuletzt alles andere als ideal. Rumpel: „Die Leute haben sich wund gelaufen.“
Vincenza Harken, Hauswirtschaftsleiterin im benachbarten Neubau Haus Ringelbach und im Haus Georgenberg, kann das nur bestätigen: „Hier ist alles viel klarer und strukturierter.“

Dass das Alten- und Pflegeheim Ringelbach keine Zukunft hat, war Rumpel deshalb längst klar. Im Falle des „Vollen Brunnen“ sieht das etwas anders aus. „So ein Haus gibt man nicht so schnell auf“, räumt er ein, wie schwer es ihm fällt, dass das architektonisch ebenfalls reizvoll Gebäude nicht nur aufgegeben, sondern sogar abgerissen werden soll: „Aber wir sehen keine Chance mehr für das Haus.“ Und das sagt er nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Denn auch das Pflegeheim „Voller Brunnen“ mit seinen langen Wegen und dem unübersichtlichen Grundriss ist – ähnlich wie der Behnisch-Bau – für die Schwerpflegebedürftige nicht ideal. Der einzige Vorteil im Vergleich zum mehrstöckigen Behnisch-Bau sei, dass alles auf einer Ebene liege und man
das Gebäude im Notfall schneller evakuieren könne.

Das schöne Foyer mit der Voliere oder den Garten mit dem See können die meisten Bewohner ohnehin nicht mehr nutzen.

Wie die RAH ihre Häuser umstrukturieren muss

Der Behnisch-Bau erfüllt weder die Brandschutzbestimmungen noch die Standards moderner Altenhilfe. Ab 1. September 2019 sind nur noch Einzelzimmer zulässig. Die ursprünglich geplante Sanierung wurde wegen der hohen Kosten von 10 Millionen Euro verworfen. 2007 beschloss der Gemeinderat deshalb, den Behnisch-Bau zu entwidmen. Als Ersatz wurden Neubauten erstellt: 2012 wurde das Haus Georgenberg mit 67 Zimmern und 2015 das Haus Ringelbach mit 52 Pflegeplätzen bezogen. Am Ringelbachstandort entstand zudem eine Kindertagesstätte. Der Behnisch-Bau und der unter Ensembleschutz stehende benachbarte Altbau sollen an einen Investor verkauft werden. Zur Zeit wird ein denkmalpflegerischer Rahmenplan erstellt. Momentan steht der Neubau leer, den Altbau hat die Stadt mit 90 Flüchtlingen in der Anschlussunterbringung belegt. Vor kurzem hat der Gemeinderat beschlossen, das Gebäude „Voller Brunnen“ abzureißen.