Pflege

Wenn Einwanderer ins Heim müssen

Wo es bei der Unterstützung älterer und kranker Migranten (noch) Probleme gibt und wie sie behoben werden könnten, ist Thema einer Podiumsdiskussion im Waldhornkino.

11.11.2016

Von Kathrin Löffler

Um „kultursensible Pflege“ geht es in dem Dokumentarfilm „Bittersüße Reise“. Einer der Protagonisten ist Ibrahim Kocaoglu, der sich um seinen im Pflegeheim lebenden Vater Hasan Kocaoglu kümmert. Bild: Tasman

Um „kultursensible Pflege“ geht es in dem Dokumentarfilm „Bittersüße Reise“. Einer der Protagonisten ist Ibrahim Kocaoglu, der sich um seinen im Pflegeheim lebenden Vater Hasan Kocaoglu kümmert. Bild: Tasman

Claudia Kitsch-Derin hat ein Problem. Ihre Arbeitsstelle ist nicht so bekannt, wie sie es gern hätte. Kitsch-Derin leitet den Pflegestützpunkt Rottenburg. Sie berät Menschen, die alt, chronisch krank oder pflegebedürftig sind – und deren Angehörige. Sie informiert, wie eine Versorgung zuhause mit Essen auf Rädern klappt oder was die Krankenversicherung tut. Das Problem: „Damit man sich an mich wenden kann, muss man bereits Erfahrungen mit dem Pflegestützpunkt gemacht – oder von anderen auf seine Existenz hingewiesen worden sein.“ Das ist längst nicht bei allen Menschen, die in Rottenburg aufgewachsen sind, der Fall. Und bei jenen mit Migrationshintergrund noch weniger, sagt Kitsch-Derin.

Die einst als sogenannte Gastarbeiter Eingewanderten kommen nun erst in ein Alter, in dem sie sich mit dem Thema Pflege konfrontiert sehen. Und ihre Elterngeneration lebte im hohen Alter meist noch nicht in Deutschland.

Spezielle Anforderungen bei der Pflege von Migranten werden aber zunehmend ein Thema. Das beschäftigt auch die türkisch-schwäbische Regisseurin Nilgün Tasman in ihrem Dokumentarfilm „Bittersüße Reise“. Er läuft am kommenden Dienstagabend im Kino im Waldhorn. Es geht darin um „kultursensible Pflege“: also um die Frage, wie Pfleger/innen mit nun alt gewordenen und auf Hilfe angewiesenen früheren Gastarbeitern umgehen und sie in ihren kulturellen Werten achten können.

Nach der Filmvorführung ist eine Podiumsdiskussion. Regisseurin Tasman, Ertugrul Uysal-Soylu von der Migrationsberatungsstelle Infö, die Heimleiterin der Rottenburger Hospitalstiftung, Irma Ott und Claudia Kitsch-Derin sprechen darüber, wie und ob sich Menschen mit in- und ausländischen Wurzeln in ihren Bedürfnissen unterscheiden. Nathalie Küster, Koordinatorin für Seniorenarbeit und bürgerschaftliches Engagement beim Landratsamt Tübingen, moderiert.

Kitsch-Derin bemerkt trotz der beschriebenen Barrieren, dass zunehmend auch Menschen mit Migrationshintergrund ihr Beratungsangebot aufsuchen. Dem TAGBLATT sagte sie aber auch: Es gebe Entwicklungsbedarf in der Pflege von Menschen, die anders sozialisiert wurden. Einrichtungsmitarbeiter müssten sich reflektieren. Sie selbst wisse auch oft nicht, wie sie sich beispielsweise muslimischen Älteren gegenüber verhalten solle: Möchten sie ihrem Gegenüber die Hand geben? Oder, dass es die Schuhe auszieht? Können muslimische Frauen es zulassen, von Männern gepflegt zu werden? „Das alles muss man erfragen.“ Manches laufe besser, wenn schon im Vorfeld Kommunikation möglich gewesen sei.

Laut Kitsch-Derin gibt es auch bei niederschwelligen Angeboten Schwierigkeiten. Etwa bei der Nachbarschaftshilfe: Da begleiten ehrenamtlich Engagierte Senioren oder Kranke beispielsweise zu einem Spaziergang oder zum Arzt. Wenn zwischen ihnen sprachliche Hürden stehen, scheitert das schnell. Kitsch-Derins Idealvorstellung ist ein Pool an Unterstützern mit Migrationshintergrund, die einer nicht-deutsche Muttersprache fähig sind und über kulturelles Hintergrundwissen verfügen – und solche Begleitungsdienste übernehmen können.

Sie pocht aber auch darauf, dass Menschen mit Einwanderungsbiografie sich selbst stärker mit dem Thema Pflegebedürftigkeit auseinandersetzen sollen. Die Pflegestützpunktleiterin hält häufig Vorträge vor Clubs und Gruppen. Anfragen von Migrantenvereinigungen bekommt sie nie. „Da ist immer noch eine Schwelle.“ Kitsch-Derin hofft auf Kontakte zu Moscheevereinen, verlässliche Strukturen, größere Netzwerke. Bisher, sagt sie, hänge das immer noch an Einzelpersonen.

„Bittersüße Reise“ im Waldhornkino

Der Dokumentarfilm „Bittersüße Reise“ über die kultursensible Pflege von älterer Migranten von Regisseurin Nilgün Tasman und Filmjournalist Paul Schwarz läuft am Dienstag, 15. November, um 20 Uhr im Rottenburger Kino im Waldhorn. Der Eintritt kostet 5 Euro. Hinterher ist eine Podiumsdiskussion. Veranstalter des Abends sind die Gerontopsychiatrische Beratungsstelle Rottenburg, der Pflegestützpunkt Rottenburg, das Waldhorn-Kino und das Netzwerk Demenz.

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Erstellt:
11.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 43sec
zuletzt aktualisiert: 11.11.2016, 01:00 Uhr

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