Nord Stream 2

Wer schaut in die Röhre ?

Trotz jüngster Annäherungen zwischen Berlin und Washington ist der Ausgang der umstrittenen Pipeline unklar. Rufe nach einem Baustopp werden lauter. Wer würde profitieren?

03.02.2021

Von IGOR STEINLE

Foto: ©Ververidis Vasilis/shutterstock.com

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Berlin. Mit der Verhaftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny sind die Forderungen nach einem Baustopp der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 lauter denn je geworden. Sogar Frankreich hat sich jüngst kritisch geäußert. Zudem sind seit Jahresbeginn US-Sanktionen in Kraft, die ein Ende der Pipeline erzwingen wollen, indem sie am Bau beteiligten Unternehmen drakonische Strafen androhen.

Wie wahrscheinlich ist die Fertigstellung? Russland beteuert, man werde die Pipeline auch ohne ausländische Unternehmen fertigbauen. Doch selbst wenn die letzten Kilometer noch verlegt werden, ist eine Inbetriebnahme unsicher. Das hat mit Zertifi- zierungsfirmen und Versicherungen zu tun, die sich aufgrund der US-Drohungen zurückgezogen haben. Die Hoffnungen der beteiligten Firmen liegen deswegen in einer Annäherung der deutschen und der neuen US-Regierung. Wie das Handelsblatt am Dienstag berichtete, soll es die auch bereits gegeben haben, der Ausgang ist allerdings offen.

Welche Rolle spielen die USA? Seit der Frackinggasrevolution in ihrem Land sind sie zu einem bedeutenden Gasexporteur geworden. Ihr Flüssiggas (LNG) konkurriert mit russischem Erdgas, weswegen sie ein wirtschaftliches Interesse haben, es aus dem Markt zu drängen. Gleichzeitig sehen die USA ihre nationalen Sicherheitsinteressen bedroht: Sie warnen vor einer zunehmenden Abhängigkeit Europas von russischem Gas und einer Schwächung der Ukraine, über die der Gastransit bisher läuft. Das ist ein nicht ganz neuer Konflikt: Nach der sowjetischen Afghanistan-Invasion verhängten die USA 1982 Sanktionen gegen die deutsch-sibirische Jamal-Pipeline. Das Argument: Deutschland könne stattdessen Gas aus Alaska beziehen.

Welche Motive hat Russland? Der Nord-Stream-Betreiber Gazprom möchte bei seinen Gaslieferungen nach Westeuropa vor allem die Ukraine umgehen. Erste Überlegungen dazu gab es bereits in den 1990er Jahren. Schon damals wollte Gazprom Transitgebühren sparen. Zudem bereitete der Ukraine-Transit Schwierigkeiten: Weil die Ukrainer ihre Gasrechnung nicht bezahlten, stoppte Gazprom mehrmals die Lieferungen ins Nachbarland. „Als Antwort darauf fiel aber auch der Druck in der Transitpipeline nach Europa“, heißt es in einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung – die Ukraine verbrauchte das für Europa bestimmte Gas selbst.

Und Deutschland? Spätestens als es wegen russisch-ukrainischer Gasstreitigkeiten 2006 und 2009 zu Lieferengpässen in mehreren europäischen Ländern kam, waren westeuropäische Länder interessiert, die politisch instabile Ukraine zu umgehen. Schon 2011 wurde deswegen die erste Nord-Stream-Pipeline fertiggestellt, die parallel zur zweiten verläuft. Außerdem sind europäische Gasquellen wie das niederländische Groningen bald erschöpft, weswegen Europa auf weitere Quellen angewiesen ist, zumal die Regierung Gas als wichtige Brückentechnologie in der Energiewende sieht. Ob der Bedarf ansteigt, ist aber umstritten. Unklar ist auch, ob die Preise mit Nord Stream fallen werden.

Wie ist die Haltung in der EU? Gespalten, vor allem osteuropäische Länder sind dagegen. Das hat mit eigenen wirtschaftlichen Interessen zu tun. Polen etwa will mit der geplanten dänisch-polnischen „Baltic-Pipe“ selbst osteuropäisches Drehkreuz für norwegisches Gas werden. Vor allem aber haben die Länder eine historisch bedingte Abneigung gegen Russland. Sie befürchten, es könnte im Konfliktfall den Gashebel als Waffe einsetzen. Andere glauben, ein Wegfall des Ukraine-Transits würde den Weg für weitere russische Aggressionen freimachen.

Wie realistisch ist das? Energie- und Osteuropa-Experte Roland Götz, der die russisch-europäischen Energiebeziehungen unter anderem für die Freie Universität Berlin untersucht hat, hält die Befürchtungen für unbegründet: Würde Russland sich für weitere Aggressionen entscheiden, wären die außenpolitischen und wirtschaftlichen Kosten derart hoch, dass der Gastransit nicht ins Gewicht fallen würde. Dass das Projekt dennoch eine geopolitische Dimension hat, hat auch Kanzlerin Angela Merkel eingestanden, indem sie sich aus Rücksicht auf die ukrainischen Interessen erfolgreich für eine Fortsetzung des Ukrainetransits bis 2025 einsetzte, der dem Land zwei Milliarden Dollar im Jahr einbringt.

Ist Deutschland abhängig? Deutschland bezieht die Hälfte seines Gases aus Russland, insofern kann man durchaus von Abhängigkeit sprechen. Weil der noch relativ junge internationale Gasmarkt in seinen Transportmöglichkeiten nicht so weit entwickelt ist wie der Ölmarkt, ist es zudem nicht ohne weiteres möglich, auf andere Quellen umzusteigen, analysiert der Energieexperte der Deutschen Bank Josef Auer. Gleichzeitig betont er, dass Russland seit mehr als 40 Jahren verlässlich Gas liefere. „Und was noch wichtiger ist, es kam nie zu politisch motivierten Lieferunterbrechungen“, so Auer. Das liegt daran, dass die Abhängigkeit beidseitig ist: Russland braucht die Devisen aus dem Gashandel und hat zudem keine andere Wahl, als das Gas der Jamal-Halbinsel nach Europa zu liefern. Es fehlen Verflüssigungskapazitäten, um das Gas nach Asien zu verschiffen. Eine Pipeline nach China wäre unwirtschaftlich.

Was sagen Umweltschützer? Sie werfen der Bundesregierung vor, dem Klima mit Nord Stream zu schaden. „Allerdings würde bei einem Stopp kein Kubikmeter weniger Gas von Gazprom gekauft“, widersprechen Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Kommt die Pipeline nicht, würde das Gas über die Ukraine geliefert. Das sei umweltschädlicher, weil die alten Leitungen mehr Energie verbrauchen. Zudem entweicht aufgrund des schlechten Zustands der Röhren Gas.

Darüber hinaus gibt es die Befürchtung, Nord Stream würde so lange betrieben, bis die hohen Kosten wieder eingespielt sind. Damit würden die Klimaziele torpediert. Dagegen spricht, dass aufgrund des EU-Emissionshandels die Gaspreise steigen werden, womit Erdgas mit der Zeit unattraktiv wird, was die Investoren wissen. Gazprom selbst sagt, man könne die Röhre auch für Wasserstoff nutzen. Ab 2024 will der Konzern in die Wasserstoffproduktion einsteigen.