Horb · Bildung

Wider das Betreuungschaos

Der in Horb ansässige Tageselternverein umschiffte in den vergangenen Wochen einige Klippen. Das Schlimmste scheint überstanden – eine Chronik.

05.06.2020

Von Benjamin Breitmaier

Hinter Geschäftsführer Paul Huber und Fachberaterin Melanie Pontiero liegen stürmische Wochen. Bild: Benjamin Breitmaier

Hinter Geschäftsführer Paul Huber und Fachberaterin Melanie Pontiero liegen stürmische Wochen. Bild: Benjamin Breitmaier

Freitag, der 13. März 2020, ein Datum, das den Verantwortlichen des in Horb ansässigen Tageselternvereins (TEV) wohl lange im Gedächtnis bleibt. „Der Tag hat uns alle ein bisschen aus der Bahn geworfen“, meint Paul Huber. Er ist der stellvertretende Vorsitzende und Geschäftsführer des Vereins, mitverantwortlich für aktuell etwa 90 ausgebildete Tagespflegepersonen, die sich im gesamten Kreis Freudenstadt um etwa 350 Kinder
kümmern.

Der Tageselternverein springt immer dann ein, wenn eine flexible Betreuung von Kindern nötig wird, oft in Zeiten, zu denen kein Kindergarten mehr öffnet – vor sieben Uhr morgens oder nach 17 Uhr. Alleinerziehende oder Schichtarbeiter nutzen das Angebot. Paare, bei denen beide Partner berufstätig sind, die oft in Zeiten Arbeiten, die außerhalb des „9 bis 5“-Rhythmus der Arbeitswelt liegen.

Huber sitzt gemeinsam mit Fachberaterin Melanie Pontiero am vergangenen Mittwoch in den Räumlichkeiten des Vereins gegenüber des ehemaligen Horber Krankenhauses. Seit dem denkwürdigen Datum sind zwölf Wochen vergangenen. Wochen, in denen sie sich fast täglich auf neue Situationen einstellen mussten. Sie mussten sich um die Bezahlung ihrer Pflegepersonen kümmern, alles Freiberufler, die plötzlich ohne Arbeit dastanden, sie mussten Corona-Verordnungen interpretieren, Online-Sprechstunden organisieren. Mehr als 50 Beiträge auf Facebook zeugen davon, wie bewegt diese Wochen für die Betreuungseinrichtung waren.

„Oft kam am Freitag die Verordnung, die wir am Montag direkt besprechen mussten“, erinnert sich Huber. Allein in der Zeit durchlief der Verein drei verschiedene Corona-Betreuungsstufen, die er mit Eltern, Landkreis und Pflegeeltern abstimmen musste.

Notbetreuung

Die Chronik beginnt mit den Tagen nach dem 13. März. Keine Schule, keine Kita, Eltern mussten sich von einem Tag auf den anderen um die Betreuung ihrer Kinder selbst kümmern, die 90 Pflegepersonen des Vereins standen ohne Arbeit da. Eine chaotische Zeit, „erst heißt es, die Einrichtungen werden am Dienstag geschlossen, dann mussten sie doch schon am Montag schließen“, erinnert sich Huber.

Am 18. März tagen die Vereinsverantwortlichen ein letztes Mal in gewohnter Runde. Themen sind zum einen die Notbetreuung und auch die Bezahlung der Pflegepersonen, denen oft ein bedeutender Teil ihres Einkommens wegbrechen würde. „Die Verordnung war im Prinzip ein Betreuungsverbot“, meint Huber, es gab zwar eine Notbetreuung, die Rolle des Tageselternvereins war jedoch zunächst unklar. Pontiero: „Es kam die Frage auf, ob die Soforthilfe für Unternehmen und Freiberufler infrage kommt.“ Das Problem: Soforthilfe erhalten nur Personen, die mehr als ein Drittel ihres Einkommens aus der weggebrochenen Beschäftigung beziehen. Bei vielen Pflegepersonen des TEVs ist das nicht der Fall. „Wir hatten Angst, dass uns Pflegepersonen abspringen“, meint Pontiero. Der März war zwar schon ausbezahlt. Doch wie sollte es im April weitergehen?

Noch am 18. März schreibt Huber eine Nachricht an den Landrat, in dem er ihn um Unterstützung bei der Bezahlung der Tageseltern bittet. Huber macht deutlich, dass die Kindertagespflege auch nach der Corona-Situation gebraucht wird – im Landkreis Freudenstadt über der durchschnittlichen Betreuungsquote von 5,6 Prozent in Baden-Württemberg.

Klaus Michael Rückert zögert nicht. Schon am 24. März hat Huber eine Zusage des Landrats auf dem Bildschirm: Die Pflegepersonen werden auch im April bezahlt.

„Von dem Tag an war ich ein bisschen beruhigt“, betont der stellvertretende Vorsitzende. Doch der Verein hatte noch weitere Aufgaben. Die Notbetreuung musste organisiert werden. Zur Erinnerung: Ab Mitte März hatten nur Kinder einen Anspruch auf Betreuung, deren beide Elternteile in sogenannten „systemrelevanten“ Berufen arbeiteten. Von Seiten des TEV waren zwölf Pflegepersonen im Einsatz, die sich um 20 Kinder kümmerten.

Erweiterte Notbetreuung

Es dauerte nicht lange, bis sich auch diese Bedingungen änderten: Die erweiterte Notbetreuung startete am 27. April. Ab dem Datum durften Kinder betreut werden, deren Eltern von Seiten des Arbeitgebers bestätigt wurde, dass sie vor Ort gebraucht wurden, also kein Homeoffice möglich war. Die Tageseltern des TEV durften so wieder 120 Kinder betreuen. Problem an der Regelung: Einige Eltern, die es bitternötig gehabt hätten, fielen durchs Raster. Pontiero berichtet von einer Alleinerziehenden, die jeden Tag im Homeoffice von morgens bis abends arbeitete und quasi mit der zweiten Gehirnhälfte zwei Kinder betreut und „gehomeschooled“ hat. „Doch wir durften ihr nicht bei der Betreuung helfen“, erinnert sich die TEV-Fachberaterin Pontiero.

Bizarre Dinge passierten zu der Zeit: Auf Ebay-Kleinanzeigen oder Portalen wie „betreuung.de“ tauchten Annoncen von Erzieherinnen auf, die ihre Dienste privat anboten, weil sie aktuell ohne Arbeit dastanden. Pontiero: „Das hat die Tageseltern gewurmt.“ Die Verordnung wurde wenige Tage später nachgebessert, um die Gesetzeslücke zu schließen.

Eingeschränkter Regelbetrieb

18. Mai – ein weiteres wichtiges Datum. Von der erweiterten Notbetreuung ging es schrittweise in den „eingeschränkten Regelbetrieb“ – die nächste Phase. Wieder war der Übergang schwierig. Die Pressemitteilung des Kultusministeriums wurde wieder zu einem Zeitpunkt verschickt, an dem die eigentliche Verordnung noch gar nicht veröffentlicht war. Huber hatte jedoch den Vorteil, dass er auch Teil des Vorstands im Landesverband der Tageseltervereine ist, was einen direkteren Zugang zu relevanten Informationen bedeutet. „Die ganze Unsicherheit, manchmal widersprüchliche Informationen, das zu filtern, war uns wahnsinnig wichtig“, erklärt der Geschäftsführer. Die Aufrufe der Facebook-Posts schießen laut Huber von wenigen 100 auf bis zu mehr als 3000.

In der dritten und aktuellen Phase kümmern sich die TEV-Kräfte wieder um etwa zwei Drittel ihrer Kinder.

Die Zukunft

Die Kompassnadel zeigt in Richtung einer vorsichtigen Rückkehr zur Normalität. Doch die schwierige Zeit hatte ihren Preis: Die Zahl der angemeldeten Kinder hätte sich laut Pontiero um 15 Prozent verringert. „Viele Eltern sind noch in Kurzarbeit, oder haben sogar ihre Stelle verloren“, erklärt die Fachberaterin. So wurden Kapazitäten frei, die Kinder selbst zu betreuen.

„Wir führen aber schon wieder die ersten Aufnahmegespräche“, erklärt Huber. Außerdem gehe die Ausbildung der Pflegepersonen weiter. Aktuell nur durch Online-Angebote, doch ab September geht der nächste Qualifizierungskurs los.

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Erstellt:
05.06.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 58sec
zuletzt aktualisiert: 05.06.2020, 01:00 Uhr

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